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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Kapitalbesitzer selbst den Absatz, indem sie die Kaufkraft des Volkes nicht steigen
lassen. Obwohl nun diese Theorie eigentlich die Verstaatlichung des Grund-
und des Kapitalbesitzes fordern würde, ist Rodbertns doch weit davon entfernt,
diese Forderung zu stellen. "Für Sie -- so redet er Herrn von Kirchmami
am Schlüsse an -- ist die Hungersnot der arbeitenden Klassen fast eine natür¬
liche Schickung, der im letzten Grunde so wenig abzuhelfen ist, daß sie viel¬
mehr schließlich die ganze Gesellschaft ereilen muß. Für mich ist sie nur die
Folge einer Unerfahrenheit der Gesellschaft, die gegenwärtig noch nicht versteht,
die immer reichlichere Wohlstandsquelle, die sie in ihrer Arbeit besitzt, auch
zum Segen ihrer bedürftigen Regionen strömen zu lassen. Nach Ihnen kann
es kein Mittel zur Linderung dieser Not geben, als die Aufhebung und Ver¬
teilung der Grundrente, d. h. die Aufhebung des Grundeigentums; und auch
dies Mittel könnte vorläufig nur die arbeitenden Klassen, aber immer nicht
zuletzt die ganze Gesellschaft vor der Steigerung des Elends behüten. Nach
mir braucht der gegenwärtigen Grundrente nichts genommen zu werden; es
sind nur Maßregeln nötig, nur den wachsenden Strom des gesellschaftlichen
Reichtums zu verhindern, sich auch noch ferner ausschließlich in die Rente zu
ergießen." Rodbertus leugnet nicht, daß er die Idee einer Behörde hege,
"die das ganze Kapital und den ganzen Grund und Boden verwaltet, die
Kapitalien nusthut, die Rohstoffe zur Fabrikation austeilt, die Produkte sich
zurückliefen! läßt und in Warmhäusern verwahrt, wo sie die Arbeiter gegen
das Zettelgeld kaufen können, das ihnen für die an den Produkten geleistete
Arbeit von der Behörde erteilt ^wird^ und jdas^ in Stunden der Arbeit abgemessen
ist." (In seinem vierten Briefe an Kirchmann hat er diese Idee weiter aus-
gesponnen.) Rodbertns ist in der That der Meinung, daß eine Organisation
aufgefunden werden könnte, die das Grund- und Kapitaleigentum entbehrlich
zu machen und doch zugleich das auf sein wahres Prinzip zurückgeführte Eigen¬
tum heilig zu halten vermöchte. "Aber -- sagt er -- ich bin weit davon
entfernt, eine solche Organisation schon der Gegenwart vorzuschlagen. Ich
glaube allerdings nicht an die absolute Notwendigkeit des Grund- und Kapital-
eigeutums, wohl aber an seine relative, sür die heutige Zeit. Ich glaube, daß
zwar schon die Wissenschaft die staatswirtschaftlichen Funktionen des rentirenden
Eigentums zu ersetzen verstünde, aber ich glaube nicht, daß der freie Wille der
Gesellschaft heute stark genug ist, um auch den Zwang zur Arbeit, den jene
Institution sdas rentirende Eigentums außerdem noch übt, schon unnötig zu
machen. Und Arbeit, werden Sie mir Recht geben, ist das Prinzip des gesell¬
schaftlichen Fortschritts, ist der Initialbuchstabe jeglichen Reichtums und jeg¬
licher Zivilisation. Ich glaube also, um mich kurz auszudrücken, nicht, daß
die Gesellschaft ihren Weg durch die Wüste schon beendigt hat, daß ihre sittliche
Kraft schon groß genug ist, um das gelobte Laud der Erlösung vom Grund-
uud Kapitaleigentum durch freie Arbeit erwerben und behaupten zu können."


Kapitalbesitzer selbst den Absatz, indem sie die Kaufkraft des Volkes nicht steigen
lassen. Obwohl nun diese Theorie eigentlich die Verstaatlichung des Grund-
und des Kapitalbesitzes fordern würde, ist Rodbertns doch weit davon entfernt,
diese Forderung zu stellen. „Für Sie — so redet er Herrn von Kirchmami
am Schlüsse an — ist die Hungersnot der arbeitenden Klassen fast eine natür¬
liche Schickung, der im letzten Grunde so wenig abzuhelfen ist, daß sie viel¬
mehr schließlich die ganze Gesellschaft ereilen muß. Für mich ist sie nur die
Folge einer Unerfahrenheit der Gesellschaft, die gegenwärtig noch nicht versteht,
die immer reichlichere Wohlstandsquelle, die sie in ihrer Arbeit besitzt, auch
zum Segen ihrer bedürftigen Regionen strömen zu lassen. Nach Ihnen kann
es kein Mittel zur Linderung dieser Not geben, als die Aufhebung und Ver¬
teilung der Grundrente, d. h. die Aufhebung des Grundeigentums; und auch
dies Mittel könnte vorläufig nur die arbeitenden Klassen, aber immer nicht
zuletzt die ganze Gesellschaft vor der Steigerung des Elends behüten. Nach
mir braucht der gegenwärtigen Grundrente nichts genommen zu werden; es
sind nur Maßregeln nötig, nur den wachsenden Strom des gesellschaftlichen
Reichtums zu verhindern, sich auch noch ferner ausschließlich in die Rente zu
ergießen." Rodbertus leugnet nicht, daß er die Idee einer Behörde hege,
„die das ganze Kapital und den ganzen Grund und Boden verwaltet, die
Kapitalien nusthut, die Rohstoffe zur Fabrikation austeilt, die Produkte sich
zurückliefen! läßt und in Warmhäusern verwahrt, wo sie die Arbeiter gegen
das Zettelgeld kaufen können, das ihnen für die an den Produkten geleistete
Arbeit von der Behörde erteilt ^wird^ und jdas^ in Stunden der Arbeit abgemessen
ist." (In seinem vierten Briefe an Kirchmann hat er diese Idee weiter aus-
gesponnen.) Rodbertns ist in der That der Meinung, daß eine Organisation
aufgefunden werden könnte, die das Grund- und Kapitaleigentum entbehrlich
zu machen und doch zugleich das auf sein wahres Prinzip zurückgeführte Eigen¬
tum heilig zu halten vermöchte. „Aber — sagt er — ich bin weit davon
entfernt, eine solche Organisation schon der Gegenwart vorzuschlagen. Ich
glaube allerdings nicht an die absolute Notwendigkeit des Grund- und Kapital-
eigeutums, wohl aber an seine relative, sür die heutige Zeit. Ich glaube, daß
zwar schon die Wissenschaft die staatswirtschaftlichen Funktionen des rentirenden
Eigentums zu ersetzen verstünde, aber ich glaube nicht, daß der freie Wille der
Gesellschaft heute stark genug ist, um auch den Zwang zur Arbeit, den jene
Institution sdas rentirende Eigentums außerdem noch übt, schon unnötig zu
machen. Und Arbeit, werden Sie mir Recht geben, ist das Prinzip des gesell¬
schaftlichen Fortschritts, ist der Initialbuchstabe jeglichen Reichtums und jeg¬
licher Zivilisation. Ich glaube also, um mich kurz auszudrücken, nicht, daß
die Gesellschaft ihren Weg durch die Wüste schon beendigt hat, daß ihre sittliche
Kraft schon groß genug ist, um das gelobte Laud der Erlösung vom Grund-
uud Kapitaleigentum durch freie Arbeit erwerben und behaupten zu können."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/274>, abgerufen am 12.05.2024.