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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Klassiker des Sozialismus

Den Kern dieser Nententheorie bildet nlso der Satz, dnß alle Rente,
d. h. jedes Einkommen, das dem Besitzer von Grundstücken oder Geldkapital
lediglich darum zufließt, weil er Besitzer ist, nur durch Verkürzung des den
Arbeitern gebührenden Anteils an der Nationalproduktion gewonnen wird, das;
sie Ertrag der Arbeit andrer ist. "Es grenzt um Lächerlichkeit -- sagt Rod-
bertus --, wenn Herr Thiers die großen Vermögen der Gegenwart nur aus dem
Unterschiede der individuellen Arbeitsfertigkeit in Verbindung mit dem Erbrecht
erklären will. Ich halte das Erbrecht für ein gerade so wohl begründetes
Recht als das Eigentum, und das Eigentum für so wohlbegründet, als über¬
haupt nur ein Rechtsbegriff sein kann, aber wäre es nicht der Gesellschaft
begegnet, daß der Eigentumsbegriff fortwährend falsches Maß und Gewicht
mit sich geführt hätte, so würde wahrscheinlich keine noch so große Verschieden¬
heit individueller Arbeit, auch bei den glücklichsten Zufällen des Erbrechtes,
haben hinreichen können, die heutigen großen Privatvermögen aufzuhäufen. . . .
Meine Theorie beweist, daß jene Lobredner der heutigen Eigentumsverhältnisse,
die sich doch wieder nicht einbrechen können, das Eigentum ans die Arbeit zu
gründen, mit ihrem eignen Prinzip im vollständigsten Widerspruche stehen.
Sie beweist, daß die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade auf einer allge¬
meinen Verletzung dieses Prinzips beruhen, und daß jene großen individuellen
Vermögen, die sich heute tu der Gesellschaft aufhäufen, nicht etwa aus einer
Verschiedenheit der produktiven Fähigkeiten, der allerdings von Rechts wegen
verschiedne Eigentnmslose zufallen, noch aus dem Erbrecht, das gleichfalls von
Rechts wegen so heilig ist als das Eigentum selbst, entspringen, sondern aus
historischen Thatsachen, die in immer größerm Maße jeder Arbeit einen Teil
ihres Produkts entziehen, und also auch mit jedem neugebornen Arbeiter den
schon von Alters her sich in der Gesellschaft anhäufenden Raub vergrößern.
So scheint mir diese Theorie die Unklarheit und die Verirrungen der fran¬
zösischen Sozialisten zu vermeiden und den Grundsatz "Das Eigentum ist Dieb¬
stahl" in den richtigern umzukehren: "Das Eigentum ist vor Diebstahl zu
behüten.""

Daß die stetige Verminderung der Quote (des verhältnismäßigen Anteils)
der Arbeiter am Nationalprvdukt bei steigender Produktivität uns schon mit
dem Pauperismus heimsuchen muß, ehe dessen natürliche Ursache, die Über-
völkerung, eintritt, ist klar. Aber auch die Plage der sogenannten Über¬
produktion und der daraus folgenden Geschäftsstockuugeu oder Handelskrisen
erklärt sich nun leicht. Über den Marktwert der Waren, von dein der Gewinn
des Fabrikanten abhängt, entscheidet bei der jetzigen Ordnung oder Unordnung
nicht das Bedürfnis, sondern die Kaufkraft der Massen; diese aber bleibt klein,
weil der Arbeitslohn niedrig bleibt. Die Kaufkmft des Arbeiters wieder richtet
sich nicht nach dem Werte seiner Leistung, sondern nach dem Anteil, der ihm
von diesem Werte gelassen wird. Und so versperren sich die Grund- und die


Grenzlwten IV 1"9l> 34
Der deutsche Klassiker des Sozialismus

Den Kern dieser Nententheorie bildet nlso der Satz, dnß alle Rente,
d. h. jedes Einkommen, das dem Besitzer von Grundstücken oder Geldkapital
lediglich darum zufließt, weil er Besitzer ist, nur durch Verkürzung des den
Arbeitern gebührenden Anteils an der Nationalproduktion gewonnen wird, das;
sie Ertrag der Arbeit andrer ist. „Es grenzt um Lächerlichkeit — sagt Rod-
bertus —, wenn Herr Thiers die großen Vermögen der Gegenwart nur aus dem
Unterschiede der individuellen Arbeitsfertigkeit in Verbindung mit dem Erbrecht
erklären will. Ich halte das Erbrecht für ein gerade so wohl begründetes
Recht als das Eigentum, und das Eigentum für so wohlbegründet, als über¬
haupt nur ein Rechtsbegriff sein kann, aber wäre es nicht der Gesellschaft
begegnet, daß der Eigentumsbegriff fortwährend falsches Maß und Gewicht
mit sich geführt hätte, so würde wahrscheinlich keine noch so große Verschieden¬
heit individueller Arbeit, auch bei den glücklichsten Zufällen des Erbrechtes,
haben hinreichen können, die heutigen großen Privatvermögen aufzuhäufen. . . .
Meine Theorie beweist, daß jene Lobredner der heutigen Eigentumsverhältnisse,
die sich doch wieder nicht einbrechen können, das Eigentum ans die Arbeit zu
gründen, mit ihrem eignen Prinzip im vollständigsten Widerspruche stehen.
Sie beweist, daß die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade auf einer allge¬
meinen Verletzung dieses Prinzips beruhen, und daß jene großen individuellen
Vermögen, die sich heute tu der Gesellschaft aufhäufen, nicht etwa aus einer
Verschiedenheit der produktiven Fähigkeiten, der allerdings von Rechts wegen
verschiedne Eigentnmslose zufallen, noch aus dem Erbrecht, das gleichfalls von
Rechts wegen so heilig ist als das Eigentum selbst, entspringen, sondern aus
historischen Thatsachen, die in immer größerm Maße jeder Arbeit einen Teil
ihres Produkts entziehen, und also auch mit jedem neugebornen Arbeiter den
schon von Alters her sich in der Gesellschaft anhäufenden Raub vergrößern.
So scheint mir diese Theorie die Unklarheit und die Verirrungen der fran¬
zösischen Sozialisten zu vermeiden und den Grundsatz »Das Eigentum ist Dieb¬
stahl« in den richtigern umzukehren: »Das Eigentum ist vor Diebstahl zu
behüten.«"

Daß die stetige Verminderung der Quote (des verhältnismäßigen Anteils)
der Arbeiter am Nationalprvdukt bei steigender Produktivität uns schon mit
dem Pauperismus heimsuchen muß, ehe dessen natürliche Ursache, die Über-
völkerung, eintritt, ist klar. Aber auch die Plage der sogenannten Über¬
produktion und der daraus folgenden Geschäftsstockuugeu oder Handelskrisen
erklärt sich nun leicht. Über den Marktwert der Waren, von dein der Gewinn
des Fabrikanten abhängt, entscheidet bei der jetzigen Ordnung oder Unordnung
nicht das Bedürfnis, sondern die Kaufkraft der Massen; diese aber bleibt klein,
weil der Arbeitslohn niedrig bleibt. Die Kaufkmft des Arbeiters wieder richtet
sich nicht nach dem Werte seiner Leistung, sondern nach dem Anteil, der ihm
von diesem Werte gelassen wird. Und so versperren sich die Grund- und die


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[0273] Der deutsche Klassiker des Sozialismus Den Kern dieser Nententheorie bildet nlso der Satz, dnß alle Rente, d. h. jedes Einkommen, das dem Besitzer von Grundstücken oder Geldkapital lediglich darum zufließt, weil er Besitzer ist, nur durch Verkürzung des den Arbeitern gebührenden Anteils an der Nationalproduktion gewonnen wird, das; sie Ertrag der Arbeit andrer ist. „Es grenzt um Lächerlichkeit — sagt Rod- bertus —, wenn Herr Thiers die großen Vermögen der Gegenwart nur aus dem Unterschiede der individuellen Arbeitsfertigkeit in Verbindung mit dem Erbrecht erklären will. Ich halte das Erbrecht für ein gerade so wohl begründetes Recht als das Eigentum, und das Eigentum für so wohlbegründet, als über¬ haupt nur ein Rechtsbegriff sein kann, aber wäre es nicht der Gesellschaft begegnet, daß der Eigentumsbegriff fortwährend falsches Maß und Gewicht mit sich geführt hätte, so würde wahrscheinlich keine noch so große Verschieden¬ heit individueller Arbeit, auch bei den glücklichsten Zufällen des Erbrechtes, haben hinreichen können, die heutigen großen Privatvermögen aufzuhäufen. . . . Meine Theorie beweist, daß jene Lobredner der heutigen Eigentumsverhältnisse, die sich doch wieder nicht einbrechen können, das Eigentum ans die Arbeit zu gründen, mit ihrem eignen Prinzip im vollständigsten Widerspruche stehen. Sie beweist, daß die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade auf einer allge¬ meinen Verletzung dieses Prinzips beruhen, und daß jene großen individuellen Vermögen, die sich heute tu der Gesellschaft aufhäufen, nicht etwa aus einer Verschiedenheit der produktiven Fähigkeiten, der allerdings von Rechts wegen verschiedne Eigentnmslose zufallen, noch aus dem Erbrecht, das gleichfalls von Rechts wegen so heilig ist als das Eigentum selbst, entspringen, sondern aus historischen Thatsachen, die in immer größerm Maße jeder Arbeit einen Teil ihres Produkts entziehen, und also auch mit jedem neugebornen Arbeiter den schon von Alters her sich in der Gesellschaft anhäufenden Raub vergrößern. So scheint mir diese Theorie die Unklarheit und die Verirrungen der fran¬ zösischen Sozialisten zu vermeiden und den Grundsatz »Das Eigentum ist Dieb¬ stahl« in den richtigern umzukehren: »Das Eigentum ist vor Diebstahl zu behüten.«" Daß die stetige Verminderung der Quote (des verhältnismäßigen Anteils) der Arbeiter am Nationalprvdukt bei steigender Produktivität uns schon mit dem Pauperismus heimsuchen muß, ehe dessen natürliche Ursache, die Über- völkerung, eintritt, ist klar. Aber auch die Plage der sogenannten Über¬ produktion und der daraus folgenden Geschäftsstockuugeu oder Handelskrisen erklärt sich nun leicht. Über den Marktwert der Waren, von dein der Gewinn des Fabrikanten abhängt, entscheidet bei der jetzigen Ordnung oder Unordnung nicht das Bedürfnis, sondern die Kaufkraft der Massen; diese aber bleibt klein, weil der Arbeitslohn niedrig bleibt. Die Kaufkmft des Arbeiters wieder richtet sich nicht nach dem Werte seiner Leistung, sondern nach dem Anteil, der ihm von diesem Werte gelassen wird. Und so versperren sich die Grund- und die Grenzlwten IV 1»9l> 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/273>, abgerufen am 25.05.2024.