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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Alassiker des Sozicilismus

Rodbertus nicht in Pommern seine Theorie entdeckt, so würde es nach hundert
Jahren vielleicht in Schlesien aussehen wie jetzt in Pommern. Da sie jedoch
zum Glück entdeckt ist, so werden die Berufenen hoffentlich dein drohenden
Unheil vorbeugen. Heute rufen die Schwärmer für den Fortschritt des Kapita¬
lismus: Das Handwerk ist tot! Und morgen werden sie den ländlichen Klein¬
betrieb für "unrentabel" und daher "irrationell" und nicht mehr lebensfähig
erklären. Alle aber, die, von Nvdbertus erleuchtet, das Ende deutlich vor
Augen sehen, zu dem jener Fortschritt mit unerbittlicher Folgerichtigkeit führt,
werden entgegnen: Das darf nicht sein! Sie werden die Bemühungen der Hand¬
werker aufmuntern, durch genossenschaftliche Benutzung kleiner Maschinen einen
Teil des aus Großkapital Verlornen Bodens zurückzuerobern; sie werden
sich nach Kolonialland umsehen, ans dem Bauernsöhne ohne Belastung des
väterlichen Gutes versorgt werden können, sie werden die Frage aufwerfen, ob
der Staat ruhig zusehen dürfe, wie großstädtische Warenhäuser die klein¬
städtischen Handwerker und .Kleinhändler vollends zu Gründe richten und deren
Vermöge" den Grvßfabrikanten und Großhändlern zuführen, zumal da die
Teilnehmer solcher Konsnmvereine nicht einen Pfennig sparen, den sie nicht
ebenfalls sparen könnten, wenn sie sich beim Handwerker und Kaufmann ihres
Wohnortes den Zwang zur Barzahlung freiwillig auflegen wollten.

Ferner: der falsche KVipitalbegriff, den Rodbertus zerstört hat, verleitet
zu falscher Schätzung des Nationalvermögens und zu einer falschen, die sozialen
Nöte verschlimmernden Finanzwirtschaft; sein richtiger Kapitalbegriff lehrt diese
Fehler vermeiden. Jene Nationalökonomie, die sich immer noch als die allein
wissenschaftliche geberdet, wird nicht müde, die durch Sparen aufgehäuften
Reichtümer der Nation zu preisen. In den Preis der dnrch Arbeit geschaffenen:
der wohl angebauten Gefilde, der sorgfältig gepflegten Wein- und Obstgürten,
der schönen bequemen Wohnhäuser, der Fabriken, der Grubenschachte, der Bahn-
und Kanalnetze, der Lokomotiven, der Wagen, der Schiffe stimmen wir ein.
Aber die Lobpreisung des nur zum kleinsten Teile dnrch Sparen aufgehäuften
Geldkapitals -- die Herren Vauderbuilt und Vnrvn Hirsch kennen kräftigere
Mittelchen, die weit rascher zum Ziele führen als das Sparen -- beruht auf
ganz irrigen Vorstellungen. Die Lobpreisung würde allenfalls berechtigt sein,
wenn unser nationales Geldkapital ans lauter Gold und Silber oder aus¬
schließlich aus Schuldverschreibungen fremder Völker bestünde; denn obwohl
man Gold nicht essen und mit Papier sich nicht kleiden kann, würden wir doch
in diesen zwei Arten von Zahlungsanweisungen das Mittel besitzen, andre
Nationen zur Lieferung der Gebrauchsgüter, die wir wünschen, zu zwingen,
sie zu zwingen, daß sie für uns arbeiteten. Nun aber besteht unser Geld¬
kapital nur zum kleinsten Teile in Edelmetall, zu einem etwas größern in
ausländischen, zum größten Teile in heimischen Wertpapieren. Diese letztern
aber sind nicht Bestandteile des Nationalvermögens, vergrößern dieses nicht


Der deutsche Alassiker des Sozicilismus

Rodbertus nicht in Pommern seine Theorie entdeckt, so würde es nach hundert
Jahren vielleicht in Schlesien aussehen wie jetzt in Pommern. Da sie jedoch
zum Glück entdeckt ist, so werden die Berufenen hoffentlich dein drohenden
Unheil vorbeugen. Heute rufen die Schwärmer für den Fortschritt des Kapita¬
lismus: Das Handwerk ist tot! Und morgen werden sie den ländlichen Klein¬
betrieb für „unrentabel" und daher „irrationell" und nicht mehr lebensfähig
erklären. Alle aber, die, von Nvdbertus erleuchtet, das Ende deutlich vor
Augen sehen, zu dem jener Fortschritt mit unerbittlicher Folgerichtigkeit führt,
werden entgegnen: Das darf nicht sein! Sie werden die Bemühungen der Hand¬
werker aufmuntern, durch genossenschaftliche Benutzung kleiner Maschinen einen
Teil des aus Großkapital Verlornen Bodens zurückzuerobern; sie werden
sich nach Kolonialland umsehen, ans dem Bauernsöhne ohne Belastung des
väterlichen Gutes versorgt werden können, sie werden die Frage aufwerfen, ob
der Staat ruhig zusehen dürfe, wie großstädtische Warenhäuser die klein¬
städtischen Handwerker und .Kleinhändler vollends zu Gründe richten und deren
Vermöge» den Grvßfabrikanten und Großhändlern zuführen, zumal da die
Teilnehmer solcher Konsnmvereine nicht einen Pfennig sparen, den sie nicht
ebenfalls sparen könnten, wenn sie sich beim Handwerker und Kaufmann ihres
Wohnortes den Zwang zur Barzahlung freiwillig auflegen wollten.

Ferner: der falsche KVipitalbegriff, den Rodbertus zerstört hat, verleitet
zu falscher Schätzung des Nationalvermögens und zu einer falschen, die sozialen
Nöte verschlimmernden Finanzwirtschaft; sein richtiger Kapitalbegriff lehrt diese
Fehler vermeiden. Jene Nationalökonomie, die sich immer noch als die allein
wissenschaftliche geberdet, wird nicht müde, die durch Sparen aufgehäuften
Reichtümer der Nation zu preisen. In den Preis der dnrch Arbeit geschaffenen:
der wohl angebauten Gefilde, der sorgfältig gepflegten Wein- und Obstgürten,
der schönen bequemen Wohnhäuser, der Fabriken, der Grubenschachte, der Bahn-
und Kanalnetze, der Lokomotiven, der Wagen, der Schiffe stimmen wir ein.
Aber die Lobpreisung des nur zum kleinsten Teile dnrch Sparen aufgehäuften
Geldkapitals — die Herren Vauderbuilt und Vnrvn Hirsch kennen kräftigere
Mittelchen, die weit rascher zum Ziele führen als das Sparen — beruht auf
ganz irrigen Vorstellungen. Die Lobpreisung würde allenfalls berechtigt sein,
wenn unser nationales Geldkapital ans lauter Gold und Silber oder aus¬
schließlich aus Schuldverschreibungen fremder Völker bestünde; denn obwohl
man Gold nicht essen und mit Papier sich nicht kleiden kann, würden wir doch
in diesen zwei Arten von Zahlungsanweisungen das Mittel besitzen, andre
Nationen zur Lieferung der Gebrauchsgüter, die wir wünschen, zu zwingen,
sie zu zwingen, daß sie für uns arbeiteten. Nun aber besteht unser Geld¬
kapital nur zum kleinsten Teile in Edelmetall, zu einem etwas größern in
ausländischen, zum größten Teile in heimischen Wertpapieren. Diese letztern
aber sind nicht Bestandteile des Nationalvermögens, vergrößern dieses nicht


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[0276] Der deutsche Alassiker des Sozicilismus Rodbertus nicht in Pommern seine Theorie entdeckt, so würde es nach hundert Jahren vielleicht in Schlesien aussehen wie jetzt in Pommern. Da sie jedoch zum Glück entdeckt ist, so werden die Berufenen hoffentlich dein drohenden Unheil vorbeugen. Heute rufen die Schwärmer für den Fortschritt des Kapita¬ lismus: Das Handwerk ist tot! Und morgen werden sie den ländlichen Klein¬ betrieb für „unrentabel" und daher „irrationell" und nicht mehr lebensfähig erklären. Alle aber, die, von Nvdbertus erleuchtet, das Ende deutlich vor Augen sehen, zu dem jener Fortschritt mit unerbittlicher Folgerichtigkeit führt, werden entgegnen: Das darf nicht sein! Sie werden die Bemühungen der Hand¬ werker aufmuntern, durch genossenschaftliche Benutzung kleiner Maschinen einen Teil des aus Großkapital Verlornen Bodens zurückzuerobern; sie werden sich nach Kolonialland umsehen, ans dem Bauernsöhne ohne Belastung des väterlichen Gutes versorgt werden können, sie werden die Frage aufwerfen, ob der Staat ruhig zusehen dürfe, wie großstädtische Warenhäuser die klein¬ städtischen Handwerker und .Kleinhändler vollends zu Gründe richten und deren Vermöge» den Grvßfabrikanten und Großhändlern zuführen, zumal da die Teilnehmer solcher Konsnmvereine nicht einen Pfennig sparen, den sie nicht ebenfalls sparen könnten, wenn sie sich beim Handwerker und Kaufmann ihres Wohnortes den Zwang zur Barzahlung freiwillig auflegen wollten. Ferner: der falsche KVipitalbegriff, den Rodbertus zerstört hat, verleitet zu falscher Schätzung des Nationalvermögens und zu einer falschen, die sozialen Nöte verschlimmernden Finanzwirtschaft; sein richtiger Kapitalbegriff lehrt diese Fehler vermeiden. Jene Nationalökonomie, die sich immer noch als die allein wissenschaftliche geberdet, wird nicht müde, die durch Sparen aufgehäuften Reichtümer der Nation zu preisen. In den Preis der dnrch Arbeit geschaffenen: der wohl angebauten Gefilde, der sorgfältig gepflegten Wein- und Obstgürten, der schönen bequemen Wohnhäuser, der Fabriken, der Grubenschachte, der Bahn- und Kanalnetze, der Lokomotiven, der Wagen, der Schiffe stimmen wir ein. Aber die Lobpreisung des nur zum kleinsten Teile dnrch Sparen aufgehäuften Geldkapitals — die Herren Vauderbuilt und Vnrvn Hirsch kennen kräftigere Mittelchen, die weit rascher zum Ziele führen als das Sparen — beruht auf ganz irrigen Vorstellungen. Die Lobpreisung würde allenfalls berechtigt sein, wenn unser nationales Geldkapital ans lauter Gold und Silber oder aus¬ schließlich aus Schuldverschreibungen fremder Völker bestünde; denn obwohl man Gold nicht essen und mit Papier sich nicht kleiden kann, würden wir doch in diesen zwei Arten von Zahlungsanweisungen das Mittel besitzen, andre Nationen zur Lieferung der Gebrauchsgüter, die wir wünschen, zu zwingen, sie zu zwingen, daß sie für uns arbeiteten. Nun aber besteht unser Geld¬ kapital nur zum kleinsten Teile in Edelmetall, zu einem etwas größern in ausländischen, zum größten Teile in heimischen Wertpapieren. Diese letztern aber sind nicht Bestandteile des Nationalvermögens, vergrößern dieses nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/276>, abgerufen am 12.05.2024.