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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsche Alcissiker des Socialismus

um eines Pfennigs Wert; sie sind nichts als Urkunden, die den Besitzer wirk¬
licher Vermögensstücke: eines Landgutes, einer Fabrik, eines Hauses, einer
Eisenbahn zwingen, einen Teil des Ertrages seines Eigentums an den Inhaber
jener Urkunde abzutreten. Die Hypothek vermehrt nicht den Wert des Land¬
gutes, sie vergrößert seinen Acker nicht um eine Furche und seinen Viehstand
nicht um einen Kalbskopf, sondern sie erschwert bloß dem Besitzer das Leben.
Und wie die Hypothek den Guts- oder Hausbesitzer, so belastet die Aktie den
Industriearbeiter, der Staatsschuldschein die Gesamtheit der Steuerzahler. Dus
Sparkassenbuch aber hat mir dadurch Wert, daß die darin verzeichnete Summe
in Hypotheken, Aktien oder Staatsschnldscheinen angelegt ist. Das Sparkapital
ist also nicht Vermögen, sondern Belastung der Produzenten (Unternehmer und
Arbeiter zusammengenommen) zu Gunsten der nicht produzirenden Renten¬
empfänger. Die meisten Rentenempfänger, arbeite" allerdings selbst, wie so
mancher Bauer, der Staatsschuldscheine besitzt und nußer seinem Arbeits¬
verdienst und seiner Grundrente um auch noch eine Staatsrente bezieht, oder
der Arbeiter, der ein Sparkassenbuch besitzt; allein als Rentenempfänger arbeitet
er nicht, sondern laßt vielmehr einen andern für sich arbeiten. Bei sehr vielen
mag die Sache so liegen, daß der Betrag dessen, was sie als Arbeiter von
ihrem Arbeitsverdienst in Nentenform an andre abliefern, und der Betrag dessen,
was sie vom Arbeitserträge andrer als Besitzer in Nentenform einziehen, sich
gegenseitig aufheben. Aber ideal wird man doch wohl diese Verfilzung der
Besitzrechte, die jede Möglichkeit einer Liquidation ausschließt, nicht nennen
wollen. Im großen und ganzen hat sie zur Folge, daß die Nationen sich
selber und einander für reicher halten, als sie sind, daß sie von ihren Regierungen
für reicher gehalten werden, und daß diese zur Freude und zum Segen der
goldnen Internationale jederzeit bereit sind, den Reichtum und die "Kcipitai-
kraft" ihrer Völker durch Auflegung neuer Anleihen zu erproben.

Man wird bei richtiger Einsicht in die Natur des wirkliche" National¬
lapitals und in seinen Unterschied vom Kapitalbesitz oder Geldkapital endlich
auch die Nichtigkeit der thörichten Redensart einsehen, daß die Produktion
vom Kapital befruchtet werde, daß dieses sich wie ein befruchtender Regen
über die Arbeit ergieße. Die französischen Milliarden haben ja freilich unsre
Produktion eine Zeit lang befruchtet, aber die Ernte war auch darnach, und
dabei war dieser Zuwachs von Geldkapital nicht bloß ein scheinbarer, sondern
ein wirklicher Vermögenszuwachs, indem wir dadurch einen Teil des franzö¬
sischen Nationalkapitals empfingen. Gehen wir nochmals auf die Eisenbahn¬
anleihe zurück. Zum Bahubau braucht man weder Gold, noch Silber, noch
Papier, sondern eichne Schwellen, Eisenschienen, Nägel, Speise und Trank,
Kleidung, Tabak u. s. w. für die Arbeiter und deren Familien. Dorf¬
gemeinden bauten früher und bauen in manchen Gegenden heute noch ihre
Dorfstraßen ohne einen Pfennig Geld, und ans Schuldenmachen denken sie


Der deutsche Alcissiker des Socialismus

um eines Pfennigs Wert; sie sind nichts als Urkunden, die den Besitzer wirk¬
licher Vermögensstücke: eines Landgutes, einer Fabrik, eines Hauses, einer
Eisenbahn zwingen, einen Teil des Ertrages seines Eigentums an den Inhaber
jener Urkunde abzutreten. Die Hypothek vermehrt nicht den Wert des Land¬
gutes, sie vergrößert seinen Acker nicht um eine Furche und seinen Viehstand
nicht um einen Kalbskopf, sondern sie erschwert bloß dem Besitzer das Leben.
Und wie die Hypothek den Guts- oder Hausbesitzer, so belastet die Aktie den
Industriearbeiter, der Staatsschuldschein die Gesamtheit der Steuerzahler. Dus
Sparkassenbuch aber hat mir dadurch Wert, daß die darin verzeichnete Summe
in Hypotheken, Aktien oder Staatsschnldscheinen angelegt ist. Das Sparkapital
ist also nicht Vermögen, sondern Belastung der Produzenten (Unternehmer und
Arbeiter zusammengenommen) zu Gunsten der nicht produzirenden Renten¬
empfänger. Die meisten Rentenempfänger, arbeite» allerdings selbst, wie so
mancher Bauer, der Staatsschuldscheine besitzt und nußer seinem Arbeits¬
verdienst und seiner Grundrente um auch noch eine Staatsrente bezieht, oder
der Arbeiter, der ein Sparkassenbuch besitzt; allein als Rentenempfänger arbeitet
er nicht, sondern laßt vielmehr einen andern für sich arbeiten. Bei sehr vielen
mag die Sache so liegen, daß der Betrag dessen, was sie als Arbeiter von
ihrem Arbeitsverdienst in Nentenform an andre abliefern, und der Betrag dessen,
was sie vom Arbeitserträge andrer als Besitzer in Nentenform einziehen, sich
gegenseitig aufheben. Aber ideal wird man doch wohl diese Verfilzung der
Besitzrechte, die jede Möglichkeit einer Liquidation ausschließt, nicht nennen
wollen. Im großen und ganzen hat sie zur Folge, daß die Nationen sich
selber und einander für reicher halten, als sie sind, daß sie von ihren Regierungen
für reicher gehalten werden, und daß diese zur Freude und zum Segen der
goldnen Internationale jederzeit bereit sind, den Reichtum und die „Kcipitai-
kraft" ihrer Völker durch Auflegung neuer Anleihen zu erproben.

Man wird bei richtiger Einsicht in die Natur des wirkliche» National¬
lapitals und in seinen Unterschied vom Kapitalbesitz oder Geldkapital endlich
auch die Nichtigkeit der thörichten Redensart einsehen, daß die Produktion
vom Kapital befruchtet werde, daß dieses sich wie ein befruchtender Regen
über die Arbeit ergieße. Die französischen Milliarden haben ja freilich unsre
Produktion eine Zeit lang befruchtet, aber die Ernte war auch darnach, und
dabei war dieser Zuwachs von Geldkapital nicht bloß ein scheinbarer, sondern
ein wirklicher Vermögenszuwachs, indem wir dadurch einen Teil des franzö¬
sischen Nationalkapitals empfingen. Gehen wir nochmals auf die Eisenbahn¬
anleihe zurück. Zum Bahubau braucht man weder Gold, noch Silber, noch
Papier, sondern eichne Schwellen, Eisenschienen, Nägel, Speise und Trank,
Kleidung, Tabak u. s. w. für die Arbeiter und deren Familien. Dorf¬
gemeinden bauten früher und bauen in manchen Gegenden heute noch ihre
Dorfstraßen ohne einen Pfennig Geld, und ans Schuldenmachen denken sie


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[0277] Der deutsche Alcissiker des Socialismus um eines Pfennigs Wert; sie sind nichts als Urkunden, die den Besitzer wirk¬ licher Vermögensstücke: eines Landgutes, einer Fabrik, eines Hauses, einer Eisenbahn zwingen, einen Teil des Ertrages seines Eigentums an den Inhaber jener Urkunde abzutreten. Die Hypothek vermehrt nicht den Wert des Land¬ gutes, sie vergrößert seinen Acker nicht um eine Furche und seinen Viehstand nicht um einen Kalbskopf, sondern sie erschwert bloß dem Besitzer das Leben. Und wie die Hypothek den Guts- oder Hausbesitzer, so belastet die Aktie den Industriearbeiter, der Staatsschuldschein die Gesamtheit der Steuerzahler. Dus Sparkassenbuch aber hat mir dadurch Wert, daß die darin verzeichnete Summe in Hypotheken, Aktien oder Staatsschnldscheinen angelegt ist. Das Sparkapital ist also nicht Vermögen, sondern Belastung der Produzenten (Unternehmer und Arbeiter zusammengenommen) zu Gunsten der nicht produzirenden Renten¬ empfänger. Die meisten Rentenempfänger, arbeite» allerdings selbst, wie so mancher Bauer, der Staatsschuldscheine besitzt und nußer seinem Arbeits¬ verdienst und seiner Grundrente um auch noch eine Staatsrente bezieht, oder der Arbeiter, der ein Sparkassenbuch besitzt; allein als Rentenempfänger arbeitet er nicht, sondern laßt vielmehr einen andern für sich arbeiten. Bei sehr vielen mag die Sache so liegen, daß der Betrag dessen, was sie als Arbeiter von ihrem Arbeitsverdienst in Nentenform an andre abliefern, und der Betrag dessen, was sie vom Arbeitserträge andrer als Besitzer in Nentenform einziehen, sich gegenseitig aufheben. Aber ideal wird man doch wohl diese Verfilzung der Besitzrechte, die jede Möglichkeit einer Liquidation ausschließt, nicht nennen wollen. Im großen und ganzen hat sie zur Folge, daß die Nationen sich selber und einander für reicher halten, als sie sind, daß sie von ihren Regierungen für reicher gehalten werden, und daß diese zur Freude und zum Segen der goldnen Internationale jederzeit bereit sind, den Reichtum und die „Kcipitai- kraft" ihrer Völker durch Auflegung neuer Anleihen zu erproben. Man wird bei richtiger Einsicht in die Natur des wirkliche» National¬ lapitals und in seinen Unterschied vom Kapitalbesitz oder Geldkapital endlich auch die Nichtigkeit der thörichten Redensart einsehen, daß die Produktion vom Kapital befruchtet werde, daß dieses sich wie ein befruchtender Regen über die Arbeit ergieße. Die französischen Milliarden haben ja freilich unsre Produktion eine Zeit lang befruchtet, aber die Ernte war auch darnach, und dabei war dieser Zuwachs von Geldkapital nicht bloß ein scheinbarer, sondern ein wirklicher Vermögenszuwachs, indem wir dadurch einen Teil des franzö¬ sischen Nationalkapitals empfingen. Gehen wir nochmals auf die Eisenbahn¬ anleihe zurück. Zum Bahubau braucht man weder Gold, noch Silber, noch Papier, sondern eichne Schwellen, Eisenschienen, Nägel, Speise und Trank, Kleidung, Tabak u. s. w. für die Arbeiter und deren Familien. Dorf¬ gemeinden bauten früher und bauen in manchen Gegenden heute noch ihre Dorfstraßen ohne einen Pfennig Geld, und ans Schuldenmachen denken sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/277>, abgerufen am 06.06.2024.