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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Man- Mnley-Bill

Höchst komisch lassen sich die pfälzischen Weinprvduzeutcu vernehmen: die
Rvttraube" hätten trotz ihrer Güte iun Preise verloren; daran trage die Mac
Kiuley-Bill mit schuld. Europa würde sich nicht "abschlachten" lasse", man hoffe
etwas von einer uiitteleiiropäischeii Zollvereiuigulig; sollten freilich darin Zollver¬
günstigungen gegen Italien und Frankreich eintreten, so wollte man denn doch
der Regierung ins Gedächtnis rufen, das; dies eine Unmöglichkeit sei; es würde
die deutschen Winzer ruiniren! Also: Maßregeln gegen Nordamerika! Die
Opfer aber, die einzig und allein solche Maßregeln möglich macheu, wollen
wir nicht bringen; da mögen andre in die Lücke treten. Item, die Mac
Kinley-Bill wird möglichst für jede Ungunst der Verhältnisse verantwortlich
gemacht -- nicht mir an dieser Stelle, wo sich das Sinken des Nottrauben-
Preises einfach daraus erklärt, daß er voriges Jahr auf abnormer Höhe gestanden
hat. Einer spricht es aus, viele reden es nach, und schließlich wird über¬
trieben. Fast in jedem Bericht über einzelne Gewerbszweige oder größere
Etablissements, wie sie im Handelsteile der großen Blätter erschienen sind,
wird wenigstens nebenher des amerikanischen Zollgesetze6 gedacht. Ich werde
nachzuweisen suchen, daß die an die Wirksamkeit dieses Gesetzes geknüpften
Befürchtungen allzugroß sind, und daß durch das Gesetz weder ganze große
Industriezweige, "och eine größere Zahl von Produzenten zu Grunde gerichtet
werden wird. Ich bin nicht weniger davon überzeugt, daß die vielen Petitionen,
die in dieser Angelegenheit an die Reichsregieruug gerichtet worden sind,
erfolglos sein werden, als davon, daß die deutsche Industrie auf der Welt¬
ausstellung zu Chicago 1d>!>2 ebenso zahlreich "ut würdig vertreten sein wird,
als dies ohne jenes Gesetz der Fall gewesen sein würde.

Welches sind die augenblicklichen Wirkungen der Bill? Deutschland und
England, als die Hanptausfuhrländer, sind offenbar zunächst dabei interessirt,
das übrige Europa erst in zweiter Linie. Die Klagen, die bisher ans den
Kreisen der deutschen Industrie laut geworden sind, beschränken sich auf folgende
Gebiete'. I. die Textilindustrie. Es wird ein Rückgang des Geschäfts be¬
fürchtet in Thüringen (Gera, Greiz, Apolda), im Königreich Sachsen, im Vogt¬
lande (Stickerei) und in der schlesischen Lausitz. Aber in Chemnitz ist nach der
ersten Bestürzung bereits Ruhe und Zuversicht zurückgekehrt; in Thüringen
sagt man sich, daß die Hnuptgewerbszweige (Töpfer-, Porzellan-, Puppen-,
Spielwaren, Schiefertafeln, Holz-und Bleistiftfabrikatiou) unberührt bleiben,
die nicht unbedeutende Glasperlenindnstrie aber einen Aufschwung )lehnen
werde. Die vvgtläudische Stickerei erliegt weniger dein Zollgesetz, als dein
Einflüsse der Mode, die ihr ungünstig geworden ist. Lediglich in Spremberg i. L.
hat eine Fabrik die Hälfte ihrer Arbeiter entlassen, und in zwei Dörfern der
Umgegend ist die Arbeitszeit um eine Stunde gekürzt worden. Nehmen wir
an, daß dies selbst in weitern Gebieten der Fall gewesen sei, so außergeU'öhnlich
groß erscheint das Leiden gegenüber sonstigen häufigen Wandlungen des Ge-


Die Man- Mnley-Bill

Höchst komisch lassen sich die pfälzischen Weinprvduzeutcu vernehmen: die
Rvttraube» hätten trotz ihrer Güte iun Preise verloren; daran trage die Mac
Kiuley-Bill mit schuld. Europa würde sich nicht „abschlachten" lasse», man hoffe
etwas von einer uiitteleiiropäischeii Zollvereiuigulig; sollten freilich darin Zollver¬
günstigungen gegen Italien und Frankreich eintreten, so wollte man denn doch
der Regierung ins Gedächtnis rufen, das; dies eine Unmöglichkeit sei; es würde
die deutschen Winzer ruiniren! Also: Maßregeln gegen Nordamerika! Die
Opfer aber, die einzig und allein solche Maßregeln möglich macheu, wollen
wir nicht bringen; da mögen andre in die Lücke treten. Item, die Mac
Kinley-Bill wird möglichst für jede Ungunst der Verhältnisse verantwortlich
gemacht — nicht mir an dieser Stelle, wo sich das Sinken des Nottrauben-
Preises einfach daraus erklärt, daß er voriges Jahr auf abnormer Höhe gestanden
hat. Einer spricht es aus, viele reden es nach, und schließlich wird über¬
trieben. Fast in jedem Bericht über einzelne Gewerbszweige oder größere
Etablissements, wie sie im Handelsteile der großen Blätter erschienen sind,
wird wenigstens nebenher des amerikanischen Zollgesetze6 gedacht. Ich werde
nachzuweisen suchen, daß die an die Wirksamkeit dieses Gesetzes geknüpften
Befürchtungen allzugroß sind, und daß durch das Gesetz weder ganze große
Industriezweige, »och eine größere Zahl von Produzenten zu Grunde gerichtet
werden wird. Ich bin nicht weniger davon überzeugt, daß die vielen Petitionen,
die in dieser Angelegenheit an die Reichsregieruug gerichtet worden sind,
erfolglos sein werden, als davon, daß die deutsche Industrie auf der Welt¬
ausstellung zu Chicago 1d>!>2 ebenso zahlreich »ut würdig vertreten sein wird,
als dies ohne jenes Gesetz der Fall gewesen sein würde.

Welches sind die augenblicklichen Wirkungen der Bill? Deutschland und
England, als die Hanptausfuhrländer, sind offenbar zunächst dabei interessirt,
das übrige Europa erst in zweiter Linie. Die Klagen, die bisher ans den
Kreisen der deutschen Industrie laut geworden sind, beschränken sich auf folgende
Gebiete'. I. die Textilindustrie. Es wird ein Rückgang des Geschäfts be¬
fürchtet in Thüringen (Gera, Greiz, Apolda), im Königreich Sachsen, im Vogt¬
lande (Stickerei) und in der schlesischen Lausitz. Aber in Chemnitz ist nach der
ersten Bestürzung bereits Ruhe und Zuversicht zurückgekehrt; in Thüringen
sagt man sich, daß die Hnuptgewerbszweige (Töpfer-, Porzellan-, Puppen-,
Spielwaren, Schiefertafeln, Holz-und Bleistiftfabrikatiou) unberührt bleiben,
die nicht unbedeutende Glasperlenindnstrie aber einen Aufschwung )lehnen
werde. Die vvgtläudische Stickerei erliegt weniger dein Zollgesetz, als dein
Einflüsse der Mode, die ihr ungünstig geworden ist. Lediglich in Spremberg i. L.
hat eine Fabrik die Hälfte ihrer Arbeiter entlassen, und in zwei Dörfern der
Umgegend ist die Arbeitszeit um eine Stunde gekürzt worden. Nehmen wir
an, daß dies selbst in weitern Gebieten der Fall gewesen sei, so außergeU'öhnlich
groß erscheint das Leiden gegenüber sonstigen häufigen Wandlungen des Ge-


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[0307] Die Man- Mnley-Bill Höchst komisch lassen sich die pfälzischen Weinprvduzeutcu vernehmen: die Rvttraube» hätten trotz ihrer Güte iun Preise verloren; daran trage die Mac Kiuley-Bill mit schuld. Europa würde sich nicht „abschlachten" lasse», man hoffe etwas von einer uiitteleiiropäischeii Zollvereiuigulig; sollten freilich darin Zollver¬ günstigungen gegen Italien und Frankreich eintreten, so wollte man denn doch der Regierung ins Gedächtnis rufen, das; dies eine Unmöglichkeit sei; es würde die deutschen Winzer ruiniren! Also: Maßregeln gegen Nordamerika! Die Opfer aber, die einzig und allein solche Maßregeln möglich macheu, wollen wir nicht bringen; da mögen andre in die Lücke treten. Item, die Mac Kinley-Bill wird möglichst für jede Ungunst der Verhältnisse verantwortlich gemacht — nicht mir an dieser Stelle, wo sich das Sinken des Nottrauben- Preises einfach daraus erklärt, daß er voriges Jahr auf abnormer Höhe gestanden hat. Einer spricht es aus, viele reden es nach, und schließlich wird über¬ trieben. Fast in jedem Bericht über einzelne Gewerbszweige oder größere Etablissements, wie sie im Handelsteile der großen Blätter erschienen sind, wird wenigstens nebenher des amerikanischen Zollgesetze6 gedacht. Ich werde nachzuweisen suchen, daß die an die Wirksamkeit dieses Gesetzes geknüpften Befürchtungen allzugroß sind, und daß durch das Gesetz weder ganze große Industriezweige, »och eine größere Zahl von Produzenten zu Grunde gerichtet werden wird. Ich bin nicht weniger davon überzeugt, daß die vielen Petitionen, die in dieser Angelegenheit an die Reichsregieruug gerichtet worden sind, erfolglos sein werden, als davon, daß die deutsche Industrie auf der Welt¬ ausstellung zu Chicago 1d>!>2 ebenso zahlreich »ut würdig vertreten sein wird, als dies ohne jenes Gesetz der Fall gewesen sein würde. Welches sind die augenblicklichen Wirkungen der Bill? Deutschland und England, als die Hanptausfuhrländer, sind offenbar zunächst dabei interessirt, das übrige Europa erst in zweiter Linie. Die Klagen, die bisher ans den Kreisen der deutschen Industrie laut geworden sind, beschränken sich auf folgende Gebiete'. I. die Textilindustrie. Es wird ein Rückgang des Geschäfts be¬ fürchtet in Thüringen (Gera, Greiz, Apolda), im Königreich Sachsen, im Vogt¬ lande (Stickerei) und in der schlesischen Lausitz. Aber in Chemnitz ist nach der ersten Bestürzung bereits Ruhe und Zuversicht zurückgekehrt; in Thüringen sagt man sich, daß die Hnuptgewerbszweige (Töpfer-, Porzellan-, Puppen-, Spielwaren, Schiefertafeln, Holz-und Bleistiftfabrikatiou) unberührt bleiben, die nicht unbedeutende Glasperlenindnstrie aber einen Aufschwung )lehnen werde. Die vvgtläudische Stickerei erliegt weniger dein Zollgesetz, als dein Einflüsse der Mode, die ihr ungünstig geworden ist. Lediglich in Spremberg i. L. hat eine Fabrik die Hälfte ihrer Arbeiter entlassen, und in zwei Dörfern der Umgegend ist die Arbeitszeit um eine Stunde gekürzt worden. Nehmen wir an, daß dies selbst in weitern Gebieten der Fall gewesen sei, so außergeU'öhnlich groß erscheint das Leiden gegenüber sonstigen häufigen Wandlungen des Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/307>, abgerufen am 28.05.2024.