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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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MÄdchcnerziehnng in Frankreich

(inLliwtvur). El" im Namen des Berfassungsansschnsses von dessen Sekretär
Talleyrand-Pärigord im September 1791 entworfener Plan zu einem Uuterrichts-
gesetz, der jedoch keine Gesetzeskraft erlangte, enthält auch Bestimmungen über
Mädchenerziehung. Es sollen darnach in die Primärschulen Mädchen bis zum
Alter von acht Jahren aufgenommen werden, worauf die Eltern die Erziehung
ihrer Töchter selbst zu übernehmen aufgefordert werden (invito"). Außerdem Null
mau in jedem Departement Anstalten gründen, die den Mädchen mich Austritt
aus der Schule oder nach Beendigung der elterlichen Erziehung die Möglichkeit
gewähren, ihrem Geschlechte angemessene Beschäftigungen (motivr") zu erlernen,
ebenso Pensionate für solche Mädchen einrichten, die im Elternhause nicht er¬
zogen werden können. Der Departeiueutsrat soll die Pensionspreise bestimmen
und die Lehrerinnen der Anstalten ernenne". Aller Unterricht in den öffentlichen
Erziehnngshänsern soll die häuslichen Tugenden und die zur Leitung eines Haus¬
wesens nötigen Fertigkeiten Pflegen. Nach einem Dekret vom 22. Frimaire
!M 1 (12. Dezember 1792) ist in Orten von 500 bis 4000 Bewohner" rede"
einer Knabenschule a"es eine Mädchenschule, in Orten von 4000 bis 8000
Bewohnern sind zwei Mädchenschulen "eben zwei Knabenschulen zu errichten
und so je nach der Bevölkerungszahl weiter. Lehrerinnen sollen 1000 Franks, in
Städten von mehr als 20000 Einwohnern 1200 Franks erhalten. Nach dem
Dekret vom 4. Brumaire -in IV (25). Oktober 17W) wird für jede Primärschule
eine Knaben- und Mädchenabteilung mit je einem Lehrer und einer Lehrerin
vorgeschrieben. Die Mädchen sollen lesen, schreiben, rechnen, die Elemente der
republikanischen Sittenlehre (uwnüu roxuiillcAiirv) und allerhand nützliche Hand¬
arbeiten lernen. Wie man sich die incano r^xuMo-ünL denkt, geht aus einem
Dekret vom ZI. Oktober 17<>.'! hervor, worin es heißt: Man lehre die Kinder
die Grundsätze (ont") der Tugend, die freie Männer hochschätzen, besonders die
Ideen, die der französischen Revolution zu Grunde liegen und am meisten geeignet
sind, die Seele zu erheben (61voor) und für die Gleichheit würdig zu macheu. Die
Kenntnis der Rechte und Pflichten des Menschen und Bürgers soll ihnen ihrer
Fassungskraft gemäß durch Beispiele und ihre eigne Erfahrung beigebracht
werden. Wir erwähnen diese Gesetze, wenn sie auch zunächst nur als Zeugnisse
des Wohlwollens und der Freigebigkeit der Schule gegenüber betrachtet werden
können, weil die Mädchenschnlgesetzgebnng der zweiten und dritten Republik
auf sie znrnckgreift.

Wie wenig Fortschritte das Mädchenschulwesen selbst in Paris und dem
Seinedepartement noch im zweiten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts gemacht
hat, geht aus einem Erlaß der Seinepräfektnr vom 10. Oktober 181'" her¬
vor, worin die Maires sowie die Aufsichtsdamen für den Müdcheunnterricht
im Semedepartement angefordert werden, ihren ganzen Einfluß geltend zu
machen, um Mädchenschulen in Orten ins Leben zu rufen, wo noch keine vor¬
handen sind. Die Lehrerinnen sollen nnter denselben Formen und Bedingungen


MÄdchcnerziehnng in Frankreich

(inLliwtvur). El» im Namen des Berfassungsansschnsses von dessen Sekretär
Talleyrand-Pärigord im September 1791 entworfener Plan zu einem Uuterrichts-
gesetz, der jedoch keine Gesetzeskraft erlangte, enthält auch Bestimmungen über
Mädchenerziehung. Es sollen darnach in die Primärschulen Mädchen bis zum
Alter von acht Jahren aufgenommen werden, worauf die Eltern die Erziehung
ihrer Töchter selbst zu übernehmen aufgefordert werden (invito«). Außerdem Null
mau in jedem Departement Anstalten gründen, die den Mädchen mich Austritt
aus der Schule oder nach Beendigung der elterlichen Erziehung die Möglichkeit
gewähren, ihrem Geschlechte angemessene Beschäftigungen (motivr«) zu erlernen,
ebenso Pensionate für solche Mädchen einrichten, die im Elternhause nicht er¬
zogen werden können. Der Departeiueutsrat soll die Pensionspreise bestimmen
und die Lehrerinnen der Anstalten ernenne». Aller Unterricht in den öffentlichen
Erziehnngshänsern soll die häuslichen Tugenden und die zur Leitung eines Haus¬
wesens nötigen Fertigkeiten Pflegen. Nach einem Dekret vom 22. Frimaire
!M 1 (12. Dezember 1792) ist in Orten von 500 bis 4000 Bewohner» rede»
einer Knabenschule a»es eine Mädchenschule, in Orten von 4000 bis 8000
Bewohnern sind zwei Mädchenschulen »eben zwei Knabenschulen zu errichten
und so je nach der Bevölkerungszahl weiter. Lehrerinnen sollen 1000 Franks, in
Städten von mehr als 20000 Einwohnern 1200 Franks erhalten. Nach dem
Dekret vom 4. Brumaire -in IV (25). Oktober 17W) wird für jede Primärschule
eine Knaben- und Mädchenabteilung mit je einem Lehrer und einer Lehrerin
vorgeschrieben. Die Mädchen sollen lesen, schreiben, rechnen, die Elemente der
republikanischen Sittenlehre (uwnüu roxuiillcAiirv) und allerhand nützliche Hand¬
arbeiten lernen. Wie man sich die incano r^xuMo-ünL denkt, geht aus einem
Dekret vom ZI. Oktober 17<>.'! hervor, worin es heißt: Man lehre die Kinder
die Grundsätze (ont«) der Tugend, die freie Männer hochschätzen, besonders die
Ideen, die der französischen Revolution zu Grunde liegen und am meisten geeignet
sind, die Seele zu erheben (61voor) und für die Gleichheit würdig zu macheu. Die
Kenntnis der Rechte und Pflichten des Menschen und Bürgers soll ihnen ihrer
Fassungskraft gemäß durch Beispiele und ihre eigne Erfahrung beigebracht
werden. Wir erwähnen diese Gesetze, wenn sie auch zunächst nur als Zeugnisse
des Wohlwollens und der Freigebigkeit der Schule gegenüber betrachtet werden
können, weil die Mädchenschnlgesetzgebnng der zweiten und dritten Republik
auf sie znrnckgreift.

Wie wenig Fortschritte das Mädchenschulwesen selbst in Paris und dem
Seinedepartement noch im zweiten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts gemacht
hat, geht aus einem Erlaß der Seinepräfektnr vom 10. Oktober 181'» her¬
vor, worin die Maires sowie die Aufsichtsdamen für den Müdcheunnterricht
im Semedepartement angefordert werden, ihren ganzen Einfluß geltend zu
machen, um Mädchenschulen in Orten ins Leben zu rufen, wo noch keine vor¬
handen sind. Die Lehrerinnen sollen nnter denselben Formen und Bedingungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/326>, abgerufen am 20.05.2024.