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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Aunstcmsstellungen in München und Dresden

Spezialität ausgebildet, die schon nach den ersten Versuchen in völlig bizarre
Manier umgeschlagen ist. Nachdem er sich im vorigen Jahre durch einen mit
dem stammenden Schwerte vor dem Paradiese wachehaltenden Jünglingsengel
und durch den Kampf zweier Faune, die vor einer Zuschauerschaft von männ¬
lichen und weibliche" Vocksmenschcn mit den Köpfen gegen einander rennen,
bekannt gemacht hatte, hat er dies Jahr zwei ähnliche, in einem graugrünen
Halbdunkel spielende Szenen aus dem Treiben der Waldgötter gebracht, zwei
sich um einen Baum hernmjagende Satyrn und die Verfolgung eines Hirsches
mit menschlichem Oberkörper durch einen Centauren, und die überlebensgroße
nackte Figur Lucifers, eines starkknochigen, aus bläulich schillernden Augen
unheimlich vor sich hinstarrenden Gesellen, der, anscheinend soeben von seinem
Sturze aus dem Himmel auf der Erde angelangt, über seinen zukünftige"
Beruf als Höllenfürst und Verderber der Menschheit nachdenkt. Daß solche
Ausgeburten einer phantastischen Laune, die mit Gedanken, Formen und Farben
ein barockes Spiel treiben und nur darauf berechnet sind, um jeden Preis
Aufsehen zu erregen, niemandem eine künstlerische Erhebung oder auch nur
eine ästhetische Befriedigung gewähren können, daß sie die Kunst nicht um
einen Schritt vorwärts bringen, bedarf wohl keines Beweises für den, der sich
in dem Hexensabbat!) der modernen Kunst noch ein Körnchen gesunden Menschen¬
verstandes und ein gesundes Auge bewahrt hat.

Und das gesunde Ange wird nachgerade die Hauptsache bei der Beurtei¬
lung der immer sonderbarer sich gestaltenden Blasen, die ans dein trüben
Sumpfe der modernen Kunstrevolution an die Oberfläche steigen, nachdem der
schrankenlose Subjektivismus und Nihilismus dieser Bewegung alle durch die
Überlieferung und die Arbeit der Jahrhunderte gebildeten Stilbegriffe, alle
philosophischen und ästhetischen Gesetze sür null und nichtig erklärt hat.

Eine Zeit lang schien es, als ob die Sekte der französischen Impressionisten,
die uns weiß machen wollten, daß die Dinge dieser Welt nicht wirkliche, mit
Formen und Farben behaftete Körper seien, sondern daß alles, was wir sehen,
ein Mosaik von körperlosen, farbigen Flecken sei, das erst durch die Willkür
unsrer Augen zu körperlichen Gebilden umgestaltet werde -- eine Zeit laug
schien es, als ob sich diese Sekte aufgelöst habe, nachdem sie die Fruchtlosigkeit
ihrer Bemühungen eingesehen, die Welt zu einer neuen Methode des Sehens
zu bekehren. Sie ist nicht tot; ihre aberwitzige Lehre ist vielmehr im hohen
Norden zu neuem Leben erwacht, in der schottischen Fabrik- und Handelsstadt
Glasgow, wo die Leute freilich oft genug ein Recht haben, die sie umgebende
Natur für ein zufalliges Konglomerat von mehr oder minder farbigen Nebel¬
flecken zu halten. Wir hören, daß sich aus einer Anzahl von Dilettanten, die
an den Wochentagen in den Kondoren der Kaufleute saßen und sich des Sonn¬
tags damit die Zeit vertrieben, ohne Lehre und Beispiel die von der Natur
empfangenen Eindrücke in Farben zu übersetzen, im Laufe von fünfzehn Jahren


Die Aunstcmsstellungen in München und Dresden

Spezialität ausgebildet, die schon nach den ersten Versuchen in völlig bizarre
Manier umgeschlagen ist. Nachdem er sich im vorigen Jahre durch einen mit
dem stammenden Schwerte vor dem Paradiese wachehaltenden Jünglingsengel
und durch den Kampf zweier Faune, die vor einer Zuschauerschaft von männ¬
lichen und weibliche» Vocksmenschcn mit den Köpfen gegen einander rennen,
bekannt gemacht hatte, hat er dies Jahr zwei ähnliche, in einem graugrünen
Halbdunkel spielende Szenen aus dem Treiben der Waldgötter gebracht, zwei
sich um einen Baum hernmjagende Satyrn und die Verfolgung eines Hirsches
mit menschlichem Oberkörper durch einen Centauren, und die überlebensgroße
nackte Figur Lucifers, eines starkknochigen, aus bläulich schillernden Augen
unheimlich vor sich hinstarrenden Gesellen, der, anscheinend soeben von seinem
Sturze aus dem Himmel auf der Erde angelangt, über seinen zukünftige»
Beruf als Höllenfürst und Verderber der Menschheit nachdenkt. Daß solche
Ausgeburten einer phantastischen Laune, die mit Gedanken, Formen und Farben
ein barockes Spiel treiben und nur darauf berechnet sind, um jeden Preis
Aufsehen zu erregen, niemandem eine künstlerische Erhebung oder auch nur
eine ästhetische Befriedigung gewähren können, daß sie die Kunst nicht um
einen Schritt vorwärts bringen, bedarf wohl keines Beweises für den, der sich
in dem Hexensabbat!) der modernen Kunst noch ein Körnchen gesunden Menschen¬
verstandes und ein gesundes Auge bewahrt hat.

Und das gesunde Ange wird nachgerade die Hauptsache bei der Beurtei¬
lung der immer sonderbarer sich gestaltenden Blasen, die ans dein trüben
Sumpfe der modernen Kunstrevolution an die Oberfläche steigen, nachdem der
schrankenlose Subjektivismus und Nihilismus dieser Bewegung alle durch die
Überlieferung und die Arbeit der Jahrhunderte gebildeten Stilbegriffe, alle
philosophischen und ästhetischen Gesetze sür null und nichtig erklärt hat.

Eine Zeit lang schien es, als ob die Sekte der französischen Impressionisten,
die uns weiß machen wollten, daß die Dinge dieser Welt nicht wirkliche, mit
Formen und Farben behaftete Körper seien, sondern daß alles, was wir sehen,
ein Mosaik von körperlosen, farbigen Flecken sei, das erst durch die Willkür
unsrer Augen zu körperlichen Gebilden umgestaltet werde — eine Zeit laug
schien es, als ob sich diese Sekte aufgelöst habe, nachdem sie die Fruchtlosigkeit
ihrer Bemühungen eingesehen, die Welt zu einer neuen Methode des Sehens
zu bekehren. Sie ist nicht tot; ihre aberwitzige Lehre ist vielmehr im hohen
Norden zu neuem Leben erwacht, in der schottischen Fabrik- und Handelsstadt
Glasgow, wo die Leute freilich oft genug ein Recht haben, die sie umgebende
Natur für ein zufalliges Konglomerat von mehr oder minder farbigen Nebel¬
flecken zu halten. Wir hören, daß sich aus einer Anzahl von Dilettanten, die
an den Wochentagen in den Kondoren der Kaufleute saßen und sich des Sonn¬
tags damit die Zeit vertrieben, ohne Lehre und Beispiel die von der Natur
empfangenen Eindrücke in Farben zu übersetzen, im Laufe von fünfzehn Jahren


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[0036] Die Aunstcmsstellungen in München und Dresden Spezialität ausgebildet, die schon nach den ersten Versuchen in völlig bizarre Manier umgeschlagen ist. Nachdem er sich im vorigen Jahre durch einen mit dem stammenden Schwerte vor dem Paradiese wachehaltenden Jünglingsengel und durch den Kampf zweier Faune, die vor einer Zuschauerschaft von männ¬ lichen und weibliche» Vocksmenschcn mit den Köpfen gegen einander rennen, bekannt gemacht hatte, hat er dies Jahr zwei ähnliche, in einem graugrünen Halbdunkel spielende Szenen aus dem Treiben der Waldgötter gebracht, zwei sich um einen Baum hernmjagende Satyrn und die Verfolgung eines Hirsches mit menschlichem Oberkörper durch einen Centauren, und die überlebensgroße nackte Figur Lucifers, eines starkknochigen, aus bläulich schillernden Augen unheimlich vor sich hinstarrenden Gesellen, der, anscheinend soeben von seinem Sturze aus dem Himmel auf der Erde angelangt, über seinen zukünftige» Beruf als Höllenfürst und Verderber der Menschheit nachdenkt. Daß solche Ausgeburten einer phantastischen Laune, die mit Gedanken, Formen und Farben ein barockes Spiel treiben und nur darauf berechnet sind, um jeden Preis Aufsehen zu erregen, niemandem eine künstlerische Erhebung oder auch nur eine ästhetische Befriedigung gewähren können, daß sie die Kunst nicht um einen Schritt vorwärts bringen, bedarf wohl keines Beweises für den, der sich in dem Hexensabbat!) der modernen Kunst noch ein Körnchen gesunden Menschen¬ verstandes und ein gesundes Auge bewahrt hat. Und das gesunde Ange wird nachgerade die Hauptsache bei der Beurtei¬ lung der immer sonderbarer sich gestaltenden Blasen, die ans dein trüben Sumpfe der modernen Kunstrevolution an die Oberfläche steigen, nachdem der schrankenlose Subjektivismus und Nihilismus dieser Bewegung alle durch die Überlieferung und die Arbeit der Jahrhunderte gebildeten Stilbegriffe, alle philosophischen und ästhetischen Gesetze sür null und nichtig erklärt hat. Eine Zeit lang schien es, als ob die Sekte der französischen Impressionisten, die uns weiß machen wollten, daß die Dinge dieser Welt nicht wirkliche, mit Formen und Farben behaftete Körper seien, sondern daß alles, was wir sehen, ein Mosaik von körperlosen, farbigen Flecken sei, das erst durch die Willkür unsrer Augen zu körperlichen Gebilden umgestaltet werde — eine Zeit laug schien es, als ob sich diese Sekte aufgelöst habe, nachdem sie die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen eingesehen, die Welt zu einer neuen Methode des Sehens zu bekehren. Sie ist nicht tot; ihre aberwitzige Lehre ist vielmehr im hohen Norden zu neuem Leben erwacht, in der schottischen Fabrik- und Handelsstadt Glasgow, wo die Leute freilich oft genug ein Recht haben, die sie umgebende Natur für ein zufalliges Konglomerat von mehr oder minder farbigen Nebel¬ flecken zu halten. Wir hören, daß sich aus einer Anzahl von Dilettanten, die an den Wochentagen in den Kondoren der Kaufleute saßen und sich des Sonn¬ tags damit die Zeit vertrieben, ohne Lehre und Beispiel die von der Natur empfangenen Eindrücke in Farben zu übersetzen, im Laufe von fünfzehn Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/36>, abgerufen am 12.05.2024.