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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Aunstansstellungen in München und Dresden

eine blühende Malerkolonie gebildet hat, deren Mitglieder freilich, nachdem sie
ihren ersten Beruf aufgegeben hatten, die hohe Schule von Paris durchgemacht,
haben. Nach ihrer dilettantischen Vorbildung war es begreiflich, daß ihnen
der französische Impressionismus als das für die Nachahmung bequemste Vor¬
bild erschien. Mau nahm noch etwas Japcmismus hinzu, und mit diesem
Rüstzeug allsgestattet zogen die fertigen Künstler heim, deren "kindliche Naivität"
sich u. n. auch darin äußert, daß ihr geselliger Mittelpunkt einen Verein unter
dein Namen I'luz de>/8 bildet. Man thäte aber den französischen Impressio¬
nisten Unrecht, wenn man sie mit ihren schottischen Nachahmern auf eine Stufe
stellen wollte. Selbst in ihren tollsten Verirrungen, in ihren abenteuerlichsten
Zumutungen an die Ailfnahinefähigkeit des menschlichen Auges ist immer noch
eine Spur von koloristischen Geschmack, ein leises Gefühl für farbigen Reiz
zu entdecken. Die Mehrzahl der schottischen Bilder, die nach München gebracht
worden sind, entbehrt auch dieser bescheidenen Vorzüge.

Es ist begreiflich, daß man in München ein großes Interesse hat, das
höchste Maß von Beredsamkeit aufzubieten, um die Leistungen der nen ent¬
deckten Mcilerschnle in ein glänzendes Licht zu rücken. Es ist auch begreiflich,
daß sich viele Leute durch diese Beredsamkeit verleiten lassen, ihre eignen Angen
Lügen zu strafen, und daß sie sich nun in einen noch größern Feuereifer hinein¬
reden, um die Stimme ihres künstlerischen und ihres ästhetischen Gewissens
zum Schweigen zu bringen. Aber wer außerhalb des Kreises dieser Schwarm¬
geister steht, wer -- nach dem vielgepriesenen Beispiele der Glasgower Maler --
sich nur auf seine eignen Augen verläßt, der wird unumwunden erklären
müssen, daß hier eine Erscheinung vorliegt, die sich als eine in der Kunst¬
geschichte beispiellos dastehende krankhafte Verirrung kennzeichnet, deren letztes
Ziel die Vernichtung des menschlichen Kunsttriebes oder doch seine Herab-
drückung auf die unterste Stufe der Kultur bildet.

Ich habe zur Charakteristik dieser Bestrebungen etwas starke Ausdrücke
gebraucht; aber die Mittel, deren sich die Schotten zur Erreichung ihres Zieles
bedienen, sind nicht minder stark. Alle Errungenschaften der zeichnerischen und
malerischen Technik, an denen die Jahrhunderte gearbeitet haben, sind von
ihnen über Bord geworfen worden. Während das Streben der Malerei aller
Schulen und Zeiten, mochten ihre Anhänger dünn oder fett, durchsichtig oder
körperhaft malen, darauf gerichtet war, die tote Masse der Farben gewisser¬
maßen zu beleben und zu durchgeistigen, indem sie die Farben mit einander
mischten, verschmolzen und vertrieben, hierdurch Ton und Stimmung gewannen
und so die Roheit des Materials überwanden, kehren die Schotten zu dem
Urzustande des Kolorismus zurück, indem sie nach Art der Kinder, die zum
erstenmale einen Tuschkasten in die Hand bekommen, einen Farbensleck neben
den andern setzen und es den Augen der Beschauer überlassen, sich aus diesem
Wirrwarr vou bunten Klecksen ein Bild zu mache". Diese rohe, stumpfsinnige,


Die Aunstansstellungen in München und Dresden

eine blühende Malerkolonie gebildet hat, deren Mitglieder freilich, nachdem sie
ihren ersten Beruf aufgegeben hatten, die hohe Schule von Paris durchgemacht,
haben. Nach ihrer dilettantischen Vorbildung war es begreiflich, daß ihnen
der französische Impressionismus als das für die Nachahmung bequemste Vor¬
bild erschien. Mau nahm noch etwas Japcmismus hinzu, und mit diesem
Rüstzeug allsgestattet zogen die fertigen Künstler heim, deren „kindliche Naivität"
sich u. n. auch darin äußert, daß ihr geselliger Mittelpunkt einen Verein unter
dein Namen I'luz de>/8 bildet. Man thäte aber den französischen Impressio¬
nisten Unrecht, wenn man sie mit ihren schottischen Nachahmern auf eine Stufe
stellen wollte. Selbst in ihren tollsten Verirrungen, in ihren abenteuerlichsten
Zumutungen an die Ailfnahinefähigkeit des menschlichen Auges ist immer noch
eine Spur von koloristischen Geschmack, ein leises Gefühl für farbigen Reiz
zu entdecken. Die Mehrzahl der schottischen Bilder, die nach München gebracht
worden sind, entbehrt auch dieser bescheidenen Vorzüge.

Es ist begreiflich, daß man in München ein großes Interesse hat, das
höchste Maß von Beredsamkeit aufzubieten, um die Leistungen der nen ent¬
deckten Mcilerschnle in ein glänzendes Licht zu rücken. Es ist auch begreiflich,
daß sich viele Leute durch diese Beredsamkeit verleiten lassen, ihre eignen Angen
Lügen zu strafen, und daß sie sich nun in einen noch größern Feuereifer hinein¬
reden, um die Stimme ihres künstlerischen und ihres ästhetischen Gewissens
zum Schweigen zu bringen. Aber wer außerhalb des Kreises dieser Schwarm¬
geister steht, wer — nach dem vielgepriesenen Beispiele der Glasgower Maler —
sich nur auf seine eignen Augen verläßt, der wird unumwunden erklären
müssen, daß hier eine Erscheinung vorliegt, die sich als eine in der Kunst¬
geschichte beispiellos dastehende krankhafte Verirrung kennzeichnet, deren letztes
Ziel die Vernichtung des menschlichen Kunsttriebes oder doch seine Herab-
drückung auf die unterste Stufe der Kultur bildet.

Ich habe zur Charakteristik dieser Bestrebungen etwas starke Ausdrücke
gebraucht; aber die Mittel, deren sich die Schotten zur Erreichung ihres Zieles
bedienen, sind nicht minder stark. Alle Errungenschaften der zeichnerischen und
malerischen Technik, an denen die Jahrhunderte gearbeitet haben, sind von
ihnen über Bord geworfen worden. Während das Streben der Malerei aller
Schulen und Zeiten, mochten ihre Anhänger dünn oder fett, durchsichtig oder
körperhaft malen, darauf gerichtet war, die tote Masse der Farben gewisser¬
maßen zu beleben und zu durchgeistigen, indem sie die Farben mit einander
mischten, verschmolzen und vertrieben, hierdurch Ton und Stimmung gewannen
und so die Roheit des Materials überwanden, kehren die Schotten zu dem
Urzustande des Kolorismus zurück, indem sie nach Art der Kinder, die zum
erstenmale einen Tuschkasten in die Hand bekommen, einen Farbensleck neben
den andern setzen und es den Augen der Beschauer überlassen, sich aus diesem
Wirrwarr vou bunten Klecksen ein Bild zu mache». Diese rohe, stumpfsinnige,


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[0037] Die Aunstansstellungen in München und Dresden eine blühende Malerkolonie gebildet hat, deren Mitglieder freilich, nachdem sie ihren ersten Beruf aufgegeben hatten, die hohe Schule von Paris durchgemacht, haben. Nach ihrer dilettantischen Vorbildung war es begreiflich, daß ihnen der französische Impressionismus als das für die Nachahmung bequemste Vor¬ bild erschien. Mau nahm noch etwas Japcmismus hinzu, und mit diesem Rüstzeug allsgestattet zogen die fertigen Künstler heim, deren „kindliche Naivität" sich u. n. auch darin äußert, daß ihr geselliger Mittelpunkt einen Verein unter dein Namen I'luz de>/8 bildet. Man thäte aber den französischen Impressio¬ nisten Unrecht, wenn man sie mit ihren schottischen Nachahmern auf eine Stufe stellen wollte. Selbst in ihren tollsten Verirrungen, in ihren abenteuerlichsten Zumutungen an die Ailfnahinefähigkeit des menschlichen Auges ist immer noch eine Spur von koloristischen Geschmack, ein leises Gefühl für farbigen Reiz zu entdecken. Die Mehrzahl der schottischen Bilder, die nach München gebracht worden sind, entbehrt auch dieser bescheidenen Vorzüge. Es ist begreiflich, daß man in München ein großes Interesse hat, das höchste Maß von Beredsamkeit aufzubieten, um die Leistungen der nen ent¬ deckten Mcilerschnle in ein glänzendes Licht zu rücken. Es ist auch begreiflich, daß sich viele Leute durch diese Beredsamkeit verleiten lassen, ihre eignen Angen Lügen zu strafen, und daß sie sich nun in einen noch größern Feuereifer hinein¬ reden, um die Stimme ihres künstlerischen und ihres ästhetischen Gewissens zum Schweigen zu bringen. Aber wer außerhalb des Kreises dieser Schwarm¬ geister steht, wer — nach dem vielgepriesenen Beispiele der Glasgower Maler — sich nur auf seine eignen Augen verläßt, der wird unumwunden erklären müssen, daß hier eine Erscheinung vorliegt, die sich als eine in der Kunst¬ geschichte beispiellos dastehende krankhafte Verirrung kennzeichnet, deren letztes Ziel die Vernichtung des menschlichen Kunsttriebes oder doch seine Herab- drückung auf die unterste Stufe der Kultur bildet. Ich habe zur Charakteristik dieser Bestrebungen etwas starke Ausdrücke gebraucht; aber die Mittel, deren sich die Schotten zur Erreichung ihres Zieles bedienen, sind nicht minder stark. Alle Errungenschaften der zeichnerischen und malerischen Technik, an denen die Jahrhunderte gearbeitet haben, sind von ihnen über Bord geworfen worden. Während das Streben der Malerei aller Schulen und Zeiten, mochten ihre Anhänger dünn oder fett, durchsichtig oder körperhaft malen, darauf gerichtet war, die tote Masse der Farben gewisser¬ maßen zu beleben und zu durchgeistigen, indem sie die Farben mit einander mischten, verschmolzen und vertrieben, hierdurch Ton und Stimmung gewannen und so die Roheit des Materials überwanden, kehren die Schotten zu dem Urzustande des Kolorismus zurück, indem sie nach Art der Kinder, die zum erstenmale einen Tuschkasten in die Hand bekommen, einen Farbensleck neben den andern setzen und es den Augen der Beschauer überlassen, sich aus diesem Wirrwarr vou bunten Klecksen ein Bild zu mache». Diese rohe, stumpfsinnige,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/37>, abgerufen am 12.05.2024.