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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Z" Stöckers Entlassung

svuen der Gewinnung andrer, um sich weniger zuverlässiger Elemente im
Wege seien.

Sonstige Gründe lassen sich nur so weniger ausfindig machen, je mehr man
in die Tiefe geht, ohne sich von dein Schein der Dinge beirren zu lassen.
Abgesehen von dem berührten Gegensatze ans dem kirchenpolitischen Gebiete
-- nicht nuf dem des Bekenntnisses selbst, wo er nicht besteht -- ist ein wesent¬
licher Unterschied zwischen der kaiserlichen Politik und den Bestrebungen, die
sich um den Namen Stöcker gruppiren, in der That nicht zu erkennen. Die
Forderungen, die den Inhalt der Erlasse vom 4. Februar d. I. ausmachen,
sind in deu "christlich-sozialen" Versammlungen Stöckers und anderswo seit
langen Jahren vertreten worden; in der Kolonialpolitik, wie überall, wo
nationale Interessen in Frage kommen, hat sich Stöcker, wie selbst seine ent¬
schiedensten Gegner nicht in Abrede stellen, stets zu Kaiser und Reich gehalten.
Für die leitenden Grundsätze der gegenwärtigen Steuerpolitik ist er jederzeit
mit Wärme eingetreten.

Insofern, als er Antisemit ist, nimmt Stöcker allerdings einen gesonderten
Standpunkt ein, der amtlich keine Vertretung sindet. Allein sein Verhältnis
zum Judentum ist ausschließlich sozialer Art, hat mit Rassen- und Religionshaß
nicht das mindeste zu thu", weshalb er auch von den Antisemiten Bvckelscher
Richtung nicht für voll angesehen, ja sogar aufs heftigste angefeindet und
verfolgt wird.

Nach dein Gesagten versteht es sich von selbst, daß Stöckers fernere
Thätigkeit keine "frondirende" sein kann und wird, wie die Gegner auszu¬
sprengen suchen, sich vielmehr zu einer Fortsetzung des Bisherigen gestalten
muß, nnr mit größerer Freiheit der Bewegung.

Diese Thatsache, so zweifellos sie schon heute feststeht, wird freilich nicht
hindern, daß jene andre, die Entlassung Stöckers aus seinem Amte, sachlich
eine Wirkung übt, die vom Standpunkte der "Staatsraison" weder gewollt
wird, noch gewollt werden kann. Was dem Politiker von Fach unter Um¬
stünden einleuchten mag, wird man der Masse nie verständlich machen. Wenn
ein Mann, der sich mit der kaiserlichen Politik thatsächlich in voller Überein¬
stimmung befindet und ihr die außerordentlichsten Dienste geleistet hat, plötzlich
aus seiner amtlichen Stellung entlassen wird, so muß die Masse darin einen
Beweis erblicken, daß jene Übereinstimmung eben geschwunden sei, und daß
"neue Bahnen" betreten werden sollen. Das kann aber nach Lage der Dinge
zu einer Erschütterung des Vertrauens führen, das, dank der unermüdlichen
Hetze, wie sie bald in offner, bald in versteckter Weise gegen die kaiserliche
Sozialpolitik getrieben wird, ohnehin auf ziemlich schwachen Füßen steht,
dadurch aber, zunächst wenigstens, nicht gestärkt werden kann, daß die neuen
sozialpolitischen Gesetze für jetzt mehr Lasten aufzulegen als Gewinn zu bringen
scheinen.


Z" Stöckers Entlassung

svuen der Gewinnung andrer, um sich weniger zuverlässiger Elemente im
Wege seien.

Sonstige Gründe lassen sich nur so weniger ausfindig machen, je mehr man
in die Tiefe geht, ohne sich von dein Schein der Dinge beirren zu lassen.
Abgesehen von dem berührten Gegensatze ans dem kirchenpolitischen Gebiete
— nicht nuf dem des Bekenntnisses selbst, wo er nicht besteht — ist ein wesent¬
licher Unterschied zwischen der kaiserlichen Politik und den Bestrebungen, die
sich um den Namen Stöcker gruppiren, in der That nicht zu erkennen. Die
Forderungen, die den Inhalt der Erlasse vom 4. Februar d. I. ausmachen,
sind in deu „christlich-sozialen" Versammlungen Stöckers und anderswo seit
langen Jahren vertreten worden; in der Kolonialpolitik, wie überall, wo
nationale Interessen in Frage kommen, hat sich Stöcker, wie selbst seine ent¬
schiedensten Gegner nicht in Abrede stellen, stets zu Kaiser und Reich gehalten.
Für die leitenden Grundsätze der gegenwärtigen Steuerpolitik ist er jederzeit
mit Wärme eingetreten.

Insofern, als er Antisemit ist, nimmt Stöcker allerdings einen gesonderten
Standpunkt ein, der amtlich keine Vertretung sindet. Allein sein Verhältnis
zum Judentum ist ausschließlich sozialer Art, hat mit Rassen- und Religionshaß
nicht das mindeste zu thu», weshalb er auch von den Antisemiten Bvckelscher
Richtung nicht für voll angesehen, ja sogar aufs heftigste angefeindet und
verfolgt wird.

Nach dein Gesagten versteht es sich von selbst, daß Stöckers fernere
Thätigkeit keine „frondirende" sein kann und wird, wie die Gegner auszu¬
sprengen suchen, sich vielmehr zu einer Fortsetzung des Bisherigen gestalten
muß, nnr mit größerer Freiheit der Bewegung.

Diese Thatsache, so zweifellos sie schon heute feststeht, wird freilich nicht
hindern, daß jene andre, die Entlassung Stöckers aus seinem Amte, sachlich
eine Wirkung übt, die vom Standpunkte der „Staatsraison" weder gewollt
wird, noch gewollt werden kann. Was dem Politiker von Fach unter Um¬
stünden einleuchten mag, wird man der Masse nie verständlich machen. Wenn
ein Mann, der sich mit der kaiserlichen Politik thatsächlich in voller Überein¬
stimmung befindet und ihr die außerordentlichsten Dienste geleistet hat, plötzlich
aus seiner amtlichen Stellung entlassen wird, so muß die Masse darin einen
Beweis erblicken, daß jene Übereinstimmung eben geschwunden sei, und daß
„neue Bahnen" betreten werden sollen. Das kann aber nach Lage der Dinge
zu einer Erschütterung des Vertrauens führen, das, dank der unermüdlichen
Hetze, wie sie bald in offner, bald in versteckter Weise gegen die kaiserliche
Sozialpolitik getrieben wird, ohnehin auf ziemlich schwachen Füßen steht,
dadurch aber, zunächst wenigstens, nicht gestärkt werden kann, daß die neuen
sozialpolitischen Gesetze für jetzt mehr Lasten aufzulegen als Gewinn zu bringen
scheinen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/382>, abgerufen am 17.06.2024.