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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Zu Stöckers Entlassung

Immerhin würde diese Wirkung nicht völlig zum Ausdrucke kommen, wenn
nicht die Tagespresse zum guten Teile dabei eine Rolle spielte, die man geradezu
niederträchtig nennen muß. Das; der furchtbare Haß, mit dem Stöcker seit
Anbeginn seiner Thätigkeit verfolgt wird, bei dieser Gelegenheit wieder aus¬
gelebt ist, mag noch hingehen: ü 1a ssnorre vowrav " ig. Zusrrö. Wie Stöcker
in gewissem Sinne seinen Gegnern keinen Pardon gegeben hat, so erwartet er
auch keinen von ihnen. niederdrückend, demütigend für unser deutsches Be¬
wußtsein, beschämend für unser sittliches Empfinden aber ist dieses Maß von
Gemeinheit!

Vor mir liegt ein Haufe von Zeitungen, die sich alle mit Stöcker be¬
fassen. Ich Hütte nur nötig, ihre Urteile aneinander zu reihen, und jede eigne
Kritik wäre überflüssig. Leider läßt das der Raum nicht zu. Übrigens bedarf
es kaum der Belege. Wir alle haben diesen Knnnibalentanz um den Marter-
Pfahl in der letzten Zeit mit angesehen. Wir alle sind Zeugen des Mangels
un Großmut und ritterlichem Sinn gewesen, der die deutsche Tageslitteratur
der Gegenwart vielfach zu der verächtlichsten der Erde macht.

Wo stammt sie aber her, diese kotbeladene Niedertracht, diese freche Ver¬
achtung der Wahrheit, diese wahnsinnige Rachewut, diese UnVersöhnlichkeit des
Hasses, wo stammt sie her? Deutsch ist das nicht. Was immer unsre
Fehler fein mögen, und es sind ihrer wahrlich genug! nach dieser Richtung
sind sie nicht zu suchen. Stöcker selbst hat den Finger ans die Wunde gelegt:
"Unser Volk ist vcrmauschelt -- hat er gesagt --, daran liegt es." Ja, "ver¬
mauschelt" ist das Volk und ist vor allem die Presse. In Judenhände ist
sie mehr und mehr gelangt, bis wir da stehen, wo uns Lassalle, selbst ein
Jude, vor mehr als fünfundzwanzig Jahren sah, am Rande des sittlichen
Zusammenbruches, dein wir uicht entgehen werden, wenn sich das nicht ändert.
Oder könnte es irgend ein Volk der Welt ertragen, sein ganzes Sein und
Wollen in den Dienst einer fremden Minderheit gestellt zu sehen, die an allein,
was unser nationales Leben zeitigt, nur das eine Interesse hat: Was bringt es ein?

Zu allen Zeiten, vor und nach Gewährung der bürgerlichen Gleich¬
berechtigung an die Juden, hat es Männer gegeben, die das klar erkannt
haben. Von keinem aber ist es öffentlich, uuter der Herrschaft des allgemeinen
Stimmrechts, mit solcher Kraft und Wirkung ausgesprochen worden wie von
Stöcker, nachdem ihn die Juden zur Selbstverteidigung gezwungen hatten --
früher nicht. Wie maßvoll überdies ist es geschehen, mit welcher Schonung,
welcher Pietät sür die heiligen Überlieferungen Israels! Wer aber hat darauf
gehört? Ein "Hetzer" und "Brandredner" mußte er sein, weil er die Juden
zur Bescheidenheit ermahnte, nur von einzelnen weniger verblendeten ist es
ihm gedankt worden, weil sie begriffen, daß die Gesamtheit wieder einmal
^ wie schon so oft in ihrem Übermut -- einer Katastrophe entgegenstürme,
die alles Gewonnene zu verschlingen droht.


Zu Stöckers Entlassung

Immerhin würde diese Wirkung nicht völlig zum Ausdrucke kommen, wenn
nicht die Tagespresse zum guten Teile dabei eine Rolle spielte, die man geradezu
niederträchtig nennen muß. Das; der furchtbare Haß, mit dem Stöcker seit
Anbeginn seiner Thätigkeit verfolgt wird, bei dieser Gelegenheit wieder aus¬
gelebt ist, mag noch hingehen: ü 1a ssnorre vowrav » ig. Zusrrö. Wie Stöcker
in gewissem Sinne seinen Gegnern keinen Pardon gegeben hat, so erwartet er
auch keinen von ihnen. niederdrückend, demütigend für unser deutsches Be¬
wußtsein, beschämend für unser sittliches Empfinden aber ist dieses Maß von
Gemeinheit!

Vor mir liegt ein Haufe von Zeitungen, die sich alle mit Stöcker be¬
fassen. Ich Hütte nur nötig, ihre Urteile aneinander zu reihen, und jede eigne
Kritik wäre überflüssig. Leider läßt das der Raum nicht zu. Übrigens bedarf
es kaum der Belege. Wir alle haben diesen Knnnibalentanz um den Marter-
Pfahl in der letzten Zeit mit angesehen. Wir alle sind Zeugen des Mangels
un Großmut und ritterlichem Sinn gewesen, der die deutsche Tageslitteratur
der Gegenwart vielfach zu der verächtlichsten der Erde macht.

Wo stammt sie aber her, diese kotbeladene Niedertracht, diese freche Ver¬
achtung der Wahrheit, diese wahnsinnige Rachewut, diese UnVersöhnlichkeit des
Hasses, wo stammt sie her? Deutsch ist das nicht. Was immer unsre
Fehler fein mögen, und es sind ihrer wahrlich genug! nach dieser Richtung
sind sie nicht zu suchen. Stöcker selbst hat den Finger ans die Wunde gelegt:
„Unser Volk ist vcrmauschelt — hat er gesagt —, daran liegt es." Ja, „ver¬
mauschelt" ist das Volk und ist vor allem die Presse. In Judenhände ist
sie mehr und mehr gelangt, bis wir da stehen, wo uns Lassalle, selbst ein
Jude, vor mehr als fünfundzwanzig Jahren sah, am Rande des sittlichen
Zusammenbruches, dein wir uicht entgehen werden, wenn sich das nicht ändert.
Oder könnte es irgend ein Volk der Welt ertragen, sein ganzes Sein und
Wollen in den Dienst einer fremden Minderheit gestellt zu sehen, die an allein,
was unser nationales Leben zeitigt, nur das eine Interesse hat: Was bringt es ein?

Zu allen Zeiten, vor und nach Gewährung der bürgerlichen Gleich¬
berechtigung an die Juden, hat es Männer gegeben, die das klar erkannt
haben. Von keinem aber ist es öffentlich, uuter der Herrschaft des allgemeinen
Stimmrechts, mit solcher Kraft und Wirkung ausgesprochen worden wie von
Stöcker, nachdem ihn die Juden zur Selbstverteidigung gezwungen hatten —
früher nicht. Wie maßvoll überdies ist es geschehen, mit welcher Schonung,
welcher Pietät sür die heiligen Überlieferungen Israels! Wer aber hat darauf
gehört? Ein „Hetzer" und „Brandredner" mußte er sein, weil er die Juden
zur Bescheidenheit ermahnte, nur von einzelnen weniger verblendeten ist es
ihm gedankt worden, weil sie begriffen, daß die Gesamtheit wieder einmal
^ wie schon so oft in ihrem Übermut — einer Katastrophe entgegenstürme,
die alles Gewonnene zu verschlingen droht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/383>, abgerufen am 27.05.2024.