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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Sie sind hier zu armen Leuten gekommen, aber Armut schändet nicht,
sondern Dummheit und Gottlosigkeit. Wollen Sie sich nun setzen? Rittergüter
und Kapitalien? setzt es bei meinen Kindern nicht nach meinem Tode; aber die
Erziehung ersetzt alles. Wünschen Sie eng schließend oder -- ?

Weit, sagte ich.

Sehr wohl, fuhr er fort. Eng kann die Stube sein, der Geist aber und
das Herz müssen weit sein. Großes Erbe kann ich meinen Kindern nicht
hinterlassen, aber ich lasse nichts dahinten, wodurch sie sich hervorthun können;
so laß ich sie französisch lernen, und da sie sich eng an die Vorschriften des Magister
Kanderer halten, habe" sich schon recht weit gebracht. Sie wünschen mit Eisen?

Ja, sagte ich.

Eifern, fuhr Herr Fintlein fort, eisern ist aber auch ihr Fleiß. Und
trotzdem, daß unser Magister eigentlich schon unter das alte Eisen der Gelehr¬
samkeit gehört -- Sie kennen ihn wohl?

Nein, sagte ich.

Der gute Mann hat sich eigentlich, fuhr Herr Fiutlein fort, dadurch, daß
er das Eisen nicht zu schmieden verstand, als es warm war, in das Halseisen
der Armut gesteckt -- die Schäfte wünschen Sie?

Lang, sagte ich.

Da es nun, fuhr Herr Fintlein fort, da es nun auf keine Weise mehr
bei ihm langen wollte, hat ihn die Universität in den Spielet eingekauft.
Dadurch wäre die Welt, der er noch lange hätte nütze" können, zu kurz ge¬
kommen, wenn nicht die Langeweile und das Federschleißen wäre, und der
Mann, was seine schwache Seite, deu Schnaps betrifft, nicht zu kurz gehalten
würde. Nun desertirt er, so oft er kann, um sich durch Unterricht ein
Schnäpschen zu verdienen.

Herr Fintlein war mit dem Urneffen fertig. Sie hatten vorhin einen
angenehmen Vesnch, unterbrach ich ihn. Seine Augen begannen vor Freude
zu leuchten; dabei nahmen seine Züge einen geheimnisvollen Ausdruck an.
Haben Sie ihn gesehen?

Er war im Aufbruch begriffen, wie ich kam, sagte ich.

O so ist, sagte er, indem er seine Hände wie segnend auf mich legte, fast
schluchzend, Ihnen die Bahn gebrochen zum Durchbruch; ein Verbrechen wäre es,
brächen Sie nun nicht die Bande der Wollust und Vernunfthvffart durch, die
dem Reiche Gottes ohne Unterbrechung Abbruch thun. Der Mensch, der den
Stolz seiner Vernunft nicht bricht, ist ein elender Bruch, den nur die Hin¬
gebung im Glauben zu einer ganzen Zahl machen kann. O mein Bruder in Gott,
brich mir nicht das Herz, indem du den Umgang nicht abbrichst mit dem Wolfe,
der täglich sinnt, wie er unter die auserwählten Glaubensschäflein brechen möge!

Dabei streckte er den gelben, hagern Arm mit der pechgesalbten Hand, in
der er noch das Maß hielt, gegen die niedrige Decke; an seiner spitzigen Nase


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

Sie sind hier zu armen Leuten gekommen, aber Armut schändet nicht,
sondern Dummheit und Gottlosigkeit. Wollen Sie sich nun setzen? Rittergüter
und Kapitalien? setzt es bei meinen Kindern nicht nach meinem Tode; aber die
Erziehung ersetzt alles. Wünschen Sie eng schließend oder — ?

Weit, sagte ich.

Sehr wohl, fuhr er fort. Eng kann die Stube sein, der Geist aber und
das Herz müssen weit sein. Großes Erbe kann ich meinen Kindern nicht
hinterlassen, aber ich lasse nichts dahinten, wodurch sie sich hervorthun können;
so laß ich sie französisch lernen, und da sie sich eng an die Vorschriften des Magister
Kanderer halten, habe» sich schon recht weit gebracht. Sie wünschen mit Eisen?

Ja, sagte ich.

Eifern, fuhr Herr Fintlein fort, eisern ist aber auch ihr Fleiß. Und
trotzdem, daß unser Magister eigentlich schon unter das alte Eisen der Gelehr¬
samkeit gehört — Sie kennen ihn wohl?

Nein, sagte ich.

Der gute Mann hat sich eigentlich, fuhr Herr Fiutlein fort, dadurch, daß
er das Eisen nicht zu schmieden verstand, als es warm war, in das Halseisen
der Armut gesteckt — die Schäfte wünschen Sie?

Lang, sagte ich.

Da es nun, fuhr Herr Fintlein fort, da es nun auf keine Weise mehr
bei ihm langen wollte, hat ihn die Universität in den Spielet eingekauft.
Dadurch wäre die Welt, der er noch lange hätte nütze» können, zu kurz ge¬
kommen, wenn nicht die Langeweile und das Federschleißen wäre, und der
Mann, was seine schwache Seite, deu Schnaps betrifft, nicht zu kurz gehalten
würde. Nun desertirt er, so oft er kann, um sich durch Unterricht ein
Schnäpschen zu verdienen.

Herr Fintlein war mit dem Urneffen fertig. Sie hatten vorhin einen
angenehmen Vesnch, unterbrach ich ihn. Seine Augen begannen vor Freude
zu leuchten; dabei nahmen seine Züge einen geheimnisvollen Ausdruck an.
Haben Sie ihn gesehen?

Er war im Aufbruch begriffen, wie ich kam, sagte ich.

O so ist, sagte er, indem er seine Hände wie segnend auf mich legte, fast
schluchzend, Ihnen die Bahn gebrochen zum Durchbruch; ein Verbrechen wäre es,
brächen Sie nun nicht die Bande der Wollust und Vernunfthvffart durch, die
dem Reiche Gottes ohne Unterbrechung Abbruch thun. Der Mensch, der den
Stolz seiner Vernunft nicht bricht, ist ein elender Bruch, den nur die Hin¬
gebung im Glauben zu einer ganzen Zahl machen kann. O mein Bruder in Gott,
brich mir nicht das Herz, indem du den Umgang nicht abbrichst mit dem Wolfe,
der täglich sinnt, wie er unter die auserwählten Glaubensschäflein brechen möge!

Dabei streckte er den gelben, hagern Arm mit der pechgesalbten Hand, in
der er noch das Maß hielt, gegen die niedrige Decke; an seiner spitzigen Nase


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[0387] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen Sie sind hier zu armen Leuten gekommen, aber Armut schändet nicht, sondern Dummheit und Gottlosigkeit. Wollen Sie sich nun setzen? Rittergüter und Kapitalien? setzt es bei meinen Kindern nicht nach meinem Tode; aber die Erziehung ersetzt alles. Wünschen Sie eng schließend oder — ? Weit, sagte ich. Sehr wohl, fuhr er fort. Eng kann die Stube sein, der Geist aber und das Herz müssen weit sein. Großes Erbe kann ich meinen Kindern nicht hinterlassen, aber ich lasse nichts dahinten, wodurch sie sich hervorthun können; so laß ich sie französisch lernen, und da sie sich eng an die Vorschriften des Magister Kanderer halten, habe» sich schon recht weit gebracht. Sie wünschen mit Eisen? Ja, sagte ich. Eifern, fuhr Herr Fintlein fort, eisern ist aber auch ihr Fleiß. Und trotzdem, daß unser Magister eigentlich schon unter das alte Eisen der Gelehr¬ samkeit gehört — Sie kennen ihn wohl? Nein, sagte ich. Der gute Mann hat sich eigentlich, fuhr Herr Fiutlein fort, dadurch, daß er das Eisen nicht zu schmieden verstand, als es warm war, in das Halseisen der Armut gesteckt — die Schäfte wünschen Sie? Lang, sagte ich. Da es nun, fuhr Herr Fintlein fort, da es nun auf keine Weise mehr bei ihm langen wollte, hat ihn die Universität in den Spielet eingekauft. Dadurch wäre die Welt, der er noch lange hätte nütze» können, zu kurz ge¬ kommen, wenn nicht die Langeweile und das Federschleißen wäre, und der Mann, was seine schwache Seite, deu Schnaps betrifft, nicht zu kurz gehalten würde. Nun desertirt er, so oft er kann, um sich durch Unterricht ein Schnäpschen zu verdienen. Herr Fintlein war mit dem Urneffen fertig. Sie hatten vorhin einen angenehmen Vesnch, unterbrach ich ihn. Seine Augen begannen vor Freude zu leuchten; dabei nahmen seine Züge einen geheimnisvollen Ausdruck an. Haben Sie ihn gesehen? Er war im Aufbruch begriffen, wie ich kam, sagte ich. O so ist, sagte er, indem er seine Hände wie segnend auf mich legte, fast schluchzend, Ihnen die Bahn gebrochen zum Durchbruch; ein Verbrechen wäre es, brächen Sie nun nicht die Bande der Wollust und Vernunfthvffart durch, die dem Reiche Gottes ohne Unterbrechung Abbruch thun. Der Mensch, der den Stolz seiner Vernunft nicht bricht, ist ein elender Bruch, den nur die Hin¬ gebung im Glauben zu einer ganzen Zahl machen kann. O mein Bruder in Gott, brich mir nicht das Herz, indem du den Umgang nicht abbrichst mit dem Wolfe, der täglich sinnt, wie er unter die auserwählten Glaubensschäflein brechen möge! Dabei streckte er den gelben, hagern Arm mit der pechgesalbten Hand, in der er noch das Maß hielt, gegen die niedrige Decke; an seiner spitzigen Nase

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/387>, abgerufen am 23.05.2024.