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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Iviinschen

rannen zitternd zwei große Thränen herab, die sich mühsam durch die znsammenge-
kniffnen Lider und die buschigen grauen Wimpern hatten hindurcharbeiten müssen.

Mir ward fast graulich. Bester Herr Fintlein, sagte ich, bemühen Sie
sich nicht vergeblich; ich verlange nichts von Ihnen, als die Stiefel und Aus¬
kunft über die Dame.

Madame Fintlein setzte einen Topf beiseite, schneuzte eins der kleinen Wesen,
dann ließ sie ein gutmütiges Lächeln über die fabelhafte Gestalt ihres Gemahls
gleiten und sagte: Sie dürfens dem Fintlein nicht übel nehmen, wenn er Sie
ein bischen bekehren will; er meint es gut in seinen närrischen Gedanke".
Aber was die Dame betrifft, so ist sie eigentlich gar keine Dame, sondern ein
lieber Gvttesengel. Das sagte Fintlein schon, wie sie nur zum erstenmale
dagewesen war. Unser kleiner Jakob, Gott hab ihn selig, war gerade im
sterbe", und ein Polizeidiener wollte Fintlein mit sich "ebenen wegen der sechs
Thaler, die wir dem Herrn Flötenspiel, dem geizigen Fleischer an der Ecke,
schuldig waren. Ich hatte mich über mein sterbendes Kind geworfen und
wollte an Gott, an der Bibel und an allem verzweifeln; da stand auf einmal
das schone Wesen mitten unter uns und gab dem Polizeidiener das Geld, daß
er fortging. Da langte Jakobche", Gott hab es selig, das sonst zu keiner
andern Seele ging als zu nur, "ach der Dame, und sie nahm es auf den
Arm, trug es an das Fenster und sah es so mild an und sang dazu so
wunderbar schön, daß ich es noch immer in den Ohren höre. Und das Kind,
das immer geschriee" hatte und sich gewunden, ehe die Dame hereinkam, war
so ruhig und sein Gesichtchen wurde immer freundlicher. Hier stand ich und
hatte die Hände gefaltet, und dort stand Fintlein und hatte auch die Hände
gefaltet, und wir beide sahen einander lächelnd an; und doch wars, als würf
Sonntag und als wären wir in der Kirche. Aber das Lächeln kam daher, weil
jedes wußte, daß es dem andern ebenso war. Nun legte nur die Dame das
Jakobchen auf den Arm; es war selig verschieden. Und fort war sie, ehe wirs
nus versahen, und auf dem Tische lag Geld, daß wir das Jakobchen begraben
lassen konnten und uns Trauersachen kaufen. Da sagte mein Fintlei": U"s
hat Gott angesehen, denn seiner Engel einer hat uns heimgesucht. Sie ist
auch in allem so ganz anders, wie die jungen Frauenzimmer sind. Dazu
war ihr einmal el"e Locke aufgegangen; wie sie darnach langte, siel ihr das
Obergewand von den: schönen bloßen Arm, und da sah ich, daß durch Arm
und Hand rosenrot die Sonne schien.

Das erzählte mir Madame Fiutlein; Herr Fintlei" aber bekräftigte die
Wahrheit des Erzählte,? durch fortwährendes Nicken und andre Gesten, riben
er mit der einen Seite seines Gesichtes weinte und mit der andern lachte.

Und Sie wissen nicht, wo sie wohnt? wie sie heißt? fragte ich.

Wenn mir, entgegnete Herr Fintlein, diese Fragen anch heiß gemacht
hätten, so hätte ich dennoch die Neugier schweigen heißen, denn es heißt --


Die wahrhaftige Geschichte von den drei Iviinschen

rannen zitternd zwei große Thränen herab, die sich mühsam durch die znsammenge-
kniffnen Lider und die buschigen grauen Wimpern hatten hindurcharbeiten müssen.

Mir ward fast graulich. Bester Herr Fintlein, sagte ich, bemühen Sie
sich nicht vergeblich; ich verlange nichts von Ihnen, als die Stiefel und Aus¬
kunft über die Dame.

Madame Fintlein setzte einen Topf beiseite, schneuzte eins der kleinen Wesen,
dann ließ sie ein gutmütiges Lächeln über die fabelhafte Gestalt ihres Gemahls
gleiten und sagte: Sie dürfens dem Fintlein nicht übel nehmen, wenn er Sie
ein bischen bekehren will; er meint es gut in seinen närrischen Gedanke».
Aber was die Dame betrifft, so ist sie eigentlich gar keine Dame, sondern ein
lieber Gvttesengel. Das sagte Fintlein schon, wie sie nur zum erstenmale
dagewesen war. Unser kleiner Jakob, Gott hab ihn selig, war gerade im
sterbe», und ein Polizeidiener wollte Fintlein mit sich »ebenen wegen der sechs
Thaler, die wir dem Herrn Flötenspiel, dem geizigen Fleischer an der Ecke,
schuldig waren. Ich hatte mich über mein sterbendes Kind geworfen und
wollte an Gott, an der Bibel und an allem verzweifeln; da stand auf einmal
das schone Wesen mitten unter uns und gab dem Polizeidiener das Geld, daß
er fortging. Da langte Jakobche», Gott hab es selig, das sonst zu keiner
andern Seele ging als zu nur, »ach der Dame, und sie nahm es auf den
Arm, trug es an das Fenster und sah es so mild an und sang dazu so
wunderbar schön, daß ich es noch immer in den Ohren höre. Und das Kind,
das immer geschriee» hatte und sich gewunden, ehe die Dame hereinkam, war
so ruhig und sein Gesichtchen wurde immer freundlicher. Hier stand ich und
hatte die Hände gefaltet, und dort stand Fintlein und hatte auch die Hände
gefaltet, und wir beide sahen einander lächelnd an; und doch wars, als würf
Sonntag und als wären wir in der Kirche. Aber das Lächeln kam daher, weil
jedes wußte, daß es dem andern ebenso war. Nun legte nur die Dame das
Jakobchen auf den Arm; es war selig verschieden. Und fort war sie, ehe wirs
nus versahen, und auf dem Tische lag Geld, daß wir das Jakobchen begraben
lassen konnten und uns Trauersachen kaufen. Da sagte mein Fintlei»: U»s
hat Gott angesehen, denn seiner Engel einer hat uns heimgesucht. Sie ist
auch in allem so ganz anders, wie die jungen Frauenzimmer sind. Dazu
war ihr einmal el»e Locke aufgegangen; wie sie darnach langte, siel ihr das
Obergewand von den: schönen bloßen Arm, und da sah ich, daß durch Arm
und Hand rosenrot die Sonne schien.

Das erzählte mir Madame Fiutlein; Herr Fintlei» aber bekräftigte die
Wahrheit des Erzählte,? durch fortwährendes Nicken und andre Gesten, riben
er mit der einen Seite seines Gesichtes weinte und mit der andern lachte.

Und Sie wissen nicht, wo sie wohnt? wie sie heißt? fragte ich.

Wenn mir, entgegnete Herr Fintlein, diese Fragen anch heiß gemacht
hätten, so hätte ich dennoch die Neugier schweigen heißen, denn es heißt —


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[0388] Die wahrhaftige Geschichte von den drei Iviinschen rannen zitternd zwei große Thränen herab, die sich mühsam durch die znsammenge- kniffnen Lider und die buschigen grauen Wimpern hatten hindurcharbeiten müssen. Mir ward fast graulich. Bester Herr Fintlein, sagte ich, bemühen Sie sich nicht vergeblich; ich verlange nichts von Ihnen, als die Stiefel und Aus¬ kunft über die Dame. Madame Fintlein setzte einen Topf beiseite, schneuzte eins der kleinen Wesen, dann ließ sie ein gutmütiges Lächeln über die fabelhafte Gestalt ihres Gemahls gleiten und sagte: Sie dürfens dem Fintlein nicht übel nehmen, wenn er Sie ein bischen bekehren will; er meint es gut in seinen närrischen Gedanke». Aber was die Dame betrifft, so ist sie eigentlich gar keine Dame, sondern ein lieber Gvttesengel. Das sagte Fintlein schon, wie sie nur zum erstenmale dagewesen war. Unser kleiner Jakob, Gott hab ihn selig, war gerade im sterbe», und ein Polizeidiener wollte Fintlein mit sich »ebenen wegen der sechs Thaler, die wir dem Herrn Flötenspiel, dem geizigen Fleischer an der Ecke, schuldig waren. Ich hatte mich über mein sterbendes Kind geworfen und wollte an Gott, an der Bibel und an allem verzweifeln; da stand auf einmal das schone Wesen mitten unter uns und gab dem Polizeidiener das Geld, daß er fortging. Da langte Jakobche», Gott hab es selig, das sonst zu keiner andern Seele ging als zu nur, »ach der Dame, und sie nahm es auf den Arm, trug es an das Fenster und sah es so mild an und sang dazu so wunderbar schön, daß ich es noch immer in den Ohren höre. Und das Kind, das immer geschriee» hatte und sich gewunden, ehe die Dame hereinkam, war so ruhig und sein Gesichtchen wurde immer freundlicher. Hier stand ich und hatte die Hände gefaltet, und dort stand Fintlein und hatte auch die Hände gefaltet, und wir beide sahen einander lächelnd an; und doch wars, als würf Sonntag und als wären wir in der Kirche. Aber das Lächeln kam daher, weil jedes wußte, daß es dem andern ebenso war. Nun legte nur die Dame das Jakobchen auf den Arm; es war selig verschieden. Und fort war sie, ehe wirs nus versahen, und auf dem Tische lag Geld, daß wir das Jakobchen begraben lassen konnten und uns Trauersachen kaufen. Da sagte mein Fintlei»: U»s hat Gott angesehen, denn seiner Engel einer hat uns heimgesucht. Sie ist auch in allem so ganz anders, wie die jungen Frauenzimmer sind. Dazu war ihr einmal el»e Locke aufgegangen; wie sie darnach langte, siel ihr das Obergewand von den: schönen bloßen Arm, und da sah ich, daß durch Arm und Hand rosenrot die Sonne schien. Das erzählte mir Madame Fiutlein; Herr Fintlei» aber bekräftigte die Wahrheit des Erzählte,? durch fortwährendes Nicken und andre Gesten, riben er mit der einen Seite seines Gesichtes weinte und mit der andern lachte. Und Sie wissen nicht, wo sie wohnt? wie sie heißt? fragte ich. Wenn mir, entgegnete Herr Fintlein, diese Fragen anch heiß gemacht hätten, so hätte ich dennoch die Neugier schweigen heißen, denn es heißt —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/388>, abgerufen am 16.06.2024.