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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Verteuerung wird die amtsgerichtliche Zuständigkeit verringert; ein aufmerksamer
Gesetzgeber wird dem Steigen der Preise nicht laugsam und verspätet folgen,
soudern an einer auch für die zukünftigen Verhältnisse ausreichenden Zuständig¬
keitsgrenze vorsprungartig Fuß fassen. Dazu kommt, daß die Rechtsprechung
des Einzelrichters, der bereits in vielen Sachen, z. V. in der freiwilligen Gerichts¬
barkeit, bei Konkursen, Zwangsvollstreckungen, Grundbuchangclegenheiten un¬
beschränkt zuständig ist, Vertrauen verdient und gefunden hat. Dem heutigen
Prozeß sind sogenannte Bagatellsachen, für die ein weniger gründliches Ver¬
fahren gilt, fremd; vielmehr ist der amtsgerichtliche Prozeß durch besondre
Vorschriften ausgestattet, um die Laienpartei vor den Gefahren unzureichender
Prozeßführung zu schützen. In diesem Sinne besteht das erhöhte Frage- und
Aufkläruugsrecht des Richters und die Zugünglichkeit der Gerichtsschreiberei
für Aufnahme von Klagen und sonstigen Anträgen. Wenn bei manchen Amts¬
gerichten an eine Vermehrung des Richterpersonals wird gedacht werden müssen,
so ist die Errichtung neuer Stellen für die einsitzigen Gerichte nur ein Vorteil;
dann können die Geschäfte gegenständlich zweckmäßig eingeteilt werden, die Se߬
haftigkeit im Amte und die Stündigkeit der Praxis wird im Falle der Versetzung
des einen Richters durch den Inhaber der zweiten Richterstelle gewahrt; auf¬
hören wird an vielen Gerichten die Anwaltslofigkeit. Ohne Einbuße an den
Gerichtskosten wird trotzdem die amtsgerichtliche Prozeßführung billiger; für
Streitgegenstände von dreihundert bis fünfhundert Mark fällt der Anwaltszwang
weg, die teure Zuziehung auswärtiger Anwälte wird seltener, die Partei spart
die Auslagen für die Informationsreisen zu dem am Landgerichtssitz wohnenden
Anwalt. Und jede Ersparnis an Kosten der kleinen Prozesse ist, da sich gerade
die vielen notwendigen Nebenanslagen so drückend aufsummiren, bedeutungsvoll,

2. Im Prozeßverfahren kommt es auffallend oft vor, daß der Beklagte
im Termin zur Verhandlung über die Klage nicht erscheint und deswegen
nach dem Klageantrage verurteilt wird, sodaß mau fragen muß, ob dieses
Verfahren nicht einfacher und billiger zu gestalten wäre. Zwar kaun der
Gläubiger vielfach gegen deu Schuldner einen gerichtlichen Zahlungsbefehl er¬
wirken; kommt der Schuldner diesem nach, so ist der Rechtsstreit allerdings
kurz erledigt. Aber noch mehr würden die sogenannten Versämnnisurteile
vermindert werden, wenn der Schuldner seine Schuld vor dem Prvzeßbeginn
in einer Form anzuerkennen Gelegenheit hätte, daß ohne weiteres eine Zwangs¬
vollstreckung gerichtlich zugelassen werden könnte. Der Nutzen dieser Verein¬
fachung würde nicht nur darin liegen, daß der Gläubiger leichter und schneller
zu seinem Gelde käme, sondern auch darin, daß der Schuldner von den mit
einer Klage und Klageverhandlung verbundeneu Kosten verschont bliebe. Es
ist diese Idee nicht aus theoretischen Erwägungen hervorgegangen , sondern
aus der Beobachtung entstanden, daß die allermeisten Klagen ans Wechsu
mit einem Versäumnisurteile gegen den Beklagten abschließen, und daß gerade


Verteuerung wird die amtsgerichtliche Zuständigkeit verringert; ein aufmerksamer
Gesetzgeber wird dem Steigen der Preise nicht laugsam und verspätet folgen,
soudern an einer auch für die zukünftigen Verhältnisse ausreichenden Zuständig¬
keitsgrenze vorsprungartig Fuß fassen. Dazu kommt, daß die Rechtsprechung
des Einzelrichters, der bereits in vielen Sachen, z. V. in der freiwilligen Gerichts¬
barkeit, bei Konkursen, Zwangsvollstreckungen, Grundbuchangclegenheiten un¬
beschränkt zuständig ist, Vertrauen verdient und gefunden hat. Dem heutigen
Prozeß sind sogenannte Bagatellsachen, für die ein weniger gründliches Ver¬
fahren gilt, fremd; vielmehr ist der amtsgerichtliche Prozeß durch besondre
Vorschriften ausgestattet, um die Laienpartei vor den Gefahren unzureichender
Prozeßführung zu schützen. In diesem Sinne besteht das erhöhte Frage- und
Aufkläruugsrecht des Richters und die Zugünglichkeit der Gerichtsschreiberei
für Aufnahme von Klagen und sonstigen Anträgen. Wenn bei manchen Amts¬
gerichten an eine Vermehrung des Richterpersonals wird gedacht werden müssen,
so ist die Errichtung neuer Stellen für die einsitzigen Gerichte nur ein Vorteil;
dann können die Geschäfte gegenständlich zweckmäßig eingeteilt werden, die Se߬
haftigkeit im Amte und die Stündigkeit der Praxis wird im Falle der Versetzung
des einen Richters durch den Inhaber der zweiten Richterstelle gewahrt; auf¬
hören wird an vielen Gerichten die Anwaltslofigkeit. Ohne Einbuße an den
Gerichtskosten wird trotzdem die amtsgerichtliche Prozeßführung billiger; für
Streitgegenstände von dreihundert bis fünfhundert Mark fällt der Anwaltszwang
weg, die teure Zuziehung auswärtiger Anwälte wird seltener, die Partei spart
die Auslagen für die Informationsreisen zu dem am Landgerichtssitz wohnenden
Anwalt. Und jede Ersparnis an Kosten der kleinen Prozesse ist, da sich gerade
die vielen notwendigen Nebenanslagen so drückend aufsummiren, bedeutungsvoll,

2. Im Prozeßverfahren kommt es auffallend oft vor, daß der Beklagte
im Termin zur Verhandlung über die Klage nicht erscheint und deswegen
nach dem Klageantrage verurteilt wird, sodaß mau fragen muß, ob dieses
Verfahren nicht einfacher und billiger zu gestalten wäre. Zwar kaun der
Gläubiger vielfach gegen deu Schuldner einen gerichtlichen Zahlungsbefehl er¬
wirken; kommt der Schuldner diesem nach, so ist der Rechtsstreit allerdings
kurz erledigt. Aber noch mehr würden die sogenannten Versämnnisurteile
vermindert werden, wenn der Schuldner seine Schuld vor dem Prvzeßbeginn
in einer Form anzuerkennen Gelegenheit hätte, daß ohne weiteres eine Zwangs¬
vollstreckung gerichtlich zugelassen werden könnte. Der Nutzen dieser Verein¬
fachung würde nicht nur darin liegen, daß der Gläubiger leichter und schneller
zu seinem Gelde käme, sondern auch darin, daß der Schuldner von den mit
einer Klage und Klageverhandlung verbundeneu Kosten verschont bliebe. Es
ist diese Idee nicht aus theoretischen Erwägungen hervorgegangen , sondern
aus der Beobachtung entstanden, daß die allermeisten Klagen ans Wechsu
mit einem Versäumnisurteile gegen den Beklagten abschließen, und daß gerade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/415>, abgerufen am 06.06.2024.