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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Rupfersnchkabinet

Rembrandts in einer bisher unerreichten Weise ermöglicht, weist mich ans diese
Entstehungsart hin. Von dein ersten noch unvollendeten Zustande des Lvvv
uomo besitzen wir z. B. ein Exemplar im Lritisb Nu8sum, das Bisterretvnchen
offenbar von der Hand des überwachenden Meisters zeigt. Daß in diesem
ersten Zustand außerdem die Mitte der Komposition noch ganz fehlt, während die
äußern Teile bereits ausgeführt sind, scheint mir ein deutlicher Beweis, daß
der Radirer hier nach einer Vorlage arbeitete, als die wir wohl die im
Besitze der Lady Eastlake befindliche Grisaille betrachten dürfen. Auch der
Umstand, daß diese Nadirnng und die oben erwähnte Kreuzabnahme die
einzigen sind, die die Bezeichnung: van su'ivilsg'lo tragen, die dem Verkäufer
den Rechtsschutz der Behörden zusichert, unterstützt die Vermutung, daß es
sich um Werkstattarbeiten handelt, die mit Rembrandts Einwilligung unter
seinem Namen auf den Kunstmarkt gebracht wurden. Daß das große Looo
llomv im Beginne des achtzehnten Jahrhunderts den damals auffallenden
Preis von vierzig Gulden erzielte, was ihm den Namen des Vierziggulden¬
blattes -- ähnlich dem später noch zu erwähnenden "Hundertgnldenblatte" --
eintrug, und daß man in neuerer Zeit für den dritten Zustand desselben noch
über viertausend Franks zahlte, darf uns in der wissenschaftlichen Erkenntnis
nicht weiter beirren. Wurde doch noch im vergangenen Jahre in der Ver¬
steigerung Danlvs der sogenannte "Goldwieger" Rembrandts (16W) mit fünf¬
tausend Franks bezahlt, obwohl die Überzeugung, daß hier eine Arbeit Fer¬
dinand Bois vorlieg", der Rembrandt höchstens den Kops des Dargestellten
hinzufügte, in Kennerkreisen heute kaum noch einem Zweifel begegnet. Wenn
man in Berlin dieses Blatt und die große Kreuzabnahme uicht, das lleov
lloirio dagegen doch ausgestellt hat, läßt sich das wohl uur damit erklären, daß
hier in einen: einzelnen Falle dem Publikum Gelegenheit geboten werden sollte, sich
selbst sein Urteil zu bilden. Ein Vermerk auf der Beischrift des Blattes würde
dem Verständnis der Besucher vielleicht zu Hilfe gekommen sein. Freilich
sollte man meinen, daß ein Blick auf das in unmittelbarer Nähe ausgestellte
echte Blatt, das den Tod Mariä darstellt, auch dem Laien den letzten Zweifel
benehmen müßte: beide Leistungen sind so grundverschieden in Auffassung und
Ausführung, daß auch der Zwischenraum von drei Jahren, der sie trennt
-- der Tod Mariä entstand l">Z9 -- keinen genügenden Grund dafür abzu¬
geben vermag. Man hat wohl verflicht, die merkwürdig von alleu andern
Arbeiten der Zeit abweichende Technik des Leop llonro aus der Absicht Rem¬
brandts zu erklären, hier ein dekorativ wirksames, als Wandschmuck gedachtes
Werk zu schaffen, wozu die großen Maße des Blattes sehr wohl Anlaß bieten
konnten. Doch sehen wir im Tode der Marin, daß der Künstler derartige
Absichten, wenn wir sie ihm überhaupt zuschreiben dürfen, ganz anders zu
erreichen wußte. In dieser Beziehung ist die Nebeneinanderstellung der beiden
Blätter überaus lehrreich.


Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Rupfersnchkabinet

Rembrandts in einer bisher unerreichten Weise ermöglicht, weist mich ans diese
Entstehungsart hin. Von dein ersten noch unvollendeten Zustande des Lvvv
uomo besitzen wir z. B. ein Exemplar im Lritisb Nu8sum, das Bisterretvnchen
offenbar von der Hand des überwachenden Meisters zeigt. Daß in diesem
ersten Zustand außerdem die Mitte der Komposition noch ganz fehlt, während die
äußern Teile bereits ausgeführt sind, scheint mir ein deutlicher Beweis, daß
der Radirer hier nach einer Vorlage arbeitete, als die wir wohl die im
Besitze der Lady Eastlake befindliche Grisaille betrachten dürfen. Auch der
Umstand, daß diese Nadirnng und die oben erwähnte Kreuzabnahme die
einzigen sind, die die Bezeichnung: van su'ivilsg'lo tragen, die dem Verkäufer
den Rechtsschutz der Behörden zusichert, unterstützt die Vermutung, daß es
sich um Werkstattarbeiten handelt, die mit Rembrandts Einwilligung unter
seinem Namen auf den Kunstmarkt gebracht wurden. Daß das große Looo
llomv im Beginne des achtzehnten Jahrhunderts den damals auffallenden
Preis von vierzig Gulden erzielte, was ihm den Namen des Vierziggulden¬
blattes — ähnlich dem später noch zu erwähnenden „Hundertgnldenblatte" —
eintrug, und daß man in neuerer Zeit für den dritten Zustand desselben noch
über viertausend Franks zahlte, darf uns in der wissenschaftlichen Erkenntnis
nicht weiter beirren. Wurde doch noch im vergangenen Jahre in der Ver¬
steigerung Danlvs der sogenannte „Goldwieger" Rembrandts (16W) mit fünf¬
tausend Franks bezahlt, obwohl die Überzeugung, daß hier eine Arbeit Fer¬
dinand Bois vorlieg«, der Rembrandt höchstens den Kops des Dargestellten
hinzufügte, in Kennerkreisen heute kaum noch einem Zweifel begegnet. Wenn
man in Berlin dieses Blatt und die große Kreuzabnahme uicht, das lleov
lloirio dagegen doch ausgestellt hat, läßt sich das wohl uur damit erklären, daß
hier in einen: einzelnen Falle dem Publikum Gelegenheit geboten werden sollte, sich
selbst sein Urteil zu bilden. Ein Vermerk auf der Beischrift des Blattes würde
dem Verständnis der Besucher vielleicht zu Hilfe gekommen sein. Freilich
sollte man meinen, daß ein Blick auf das in unmittelbarer Nähe ausgestellte
echte Blatt, das den Tod Mariä darstellt, auch dem Laien den letzten Zweifel
benehmen müßte: beide Leistungen sind so grundverschieden in Auffassung und
Ausführung, daß auch der Zwischenraum von drei Jahren, der sie trennt
— der Tod Mariä entstand l«>Z9 — keinen genügenden Grund dafür abzu¬
geben vermag. Man hat wohl verflicht, die merkwürdig von alleu andern
Arbeiten der Zeit abweichende Technik des Leop llonro aus der Absicht Rem¬
brandts zu erklären, hier ein dekorativ wirksames, als Wandschmuck gedachtes
Werk zu schaffen, wozu die großen Maße des Blattes sehr wohl Anlaß bieten
konnten. Doch sehen wir im Tode der Marin, daß der Künstler derartige
Absichten, wenn wir sie ihm überhaupt zuschreiben dürfen, ganz anders zu
erreichen wußte. In dieser Beziehung ist die Nebeneinanderstellung der beiden
Blätter überaus lehrreich.


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[0419] Die Rembrandt-Ausstellung im Berliner Rupfersnchkabinet Rembrandts in einer bisher unerreichten Weise ermöglicht, weist mich ans diese Entstehungsart hin. Von dein ersten noch unvollendeten Zustande des Lvvv uomo besitzen wir z. B. ein Exemplar im Lritisb Nu8sum, das Bisterretvnchen offenbar von der Hand des überwachenden Meisters zeigt. Daß in diesem ersten Zustand außerdem die Mitte der Komposition noch ganz fehlt, während die äußern Teile bereits ausgeführt sind, scheint mir ein deutlicher Beweis, daß der Radirer hier nach einer Vorlage arbeitete, als die wir wohl die im Besitze der Lady Eastlake befindliche Grisaille betrachten dürfen. Auch der Umstand, daß diese Nadirnng und die oben erwähnte Kreuzabnahme die einzigen sind, die die Bezeichnung: van su'ivilsg'lo tragen, die dem Verkäufer den Rechtsschutz der Behörden zusichert, unterstützt die Vermutung, daß es sich um Werkstattarbeiten handelt, die mit Rembrandts Einwilligung unter seinem Namen auf den Kunstmarkt gebracht wurden. Daß das große Looo llomv im Beginne des achtzehnten Jahrhunderts den damals auffallenden Preis von vierzig Gulden erzielte, was ihm den Namen des Vierziggulden¬ blattes — ähnlich dem später noch zu erwähnenden „Hundertgnldenblatte" — eintrug, und daß man in neuerer Zeit für den dritten Zustand desselben noch über viertausend Franks zahlte, darf uns in der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht weiter beirren. Wurde doch noch im vergangenen Jahre in der Ver¬ steigerung Danlvs der sogenannte „Goldwieger" Rembrandts (16W) mit fünf¬ tausend Franks bezahlt, obwohl die Überzeugung, daß hier eine Arbeit Fer¬ dinand Bois vorlieg«, der Rembrandt höchstens den Kops des Dargestellten hinzufügte, in Kennerkreisen heute kaum noch einem Zweifel begegnet. Wenn man in Berlin dieses Blatt und die große Kreuzabnahme uicht, das lleov lloirio dagegen doch ausgestellt hat, läßt sich das wohl uur damit erklären, daß hier in einen: einzelnen Falle dem Publikum Gelegenheit geboten werden sollte, sich selbst sein Urteil zu bilden. Ein Vermerk auf der Beischrift des Blattes würde dem Verständnis der Besucher vielleicht zu Hilfe gekommen sein. Freilich sollte man meinen, daß ein Blick auf das in unmittelbarer Nähe ausgestellte echte Blatt, das den Tod Mariä darstellt, auch dem Laien den letzten Zweifel benehmen müßte: beide Leistungen sind so grundverschieden in Auffassung und Ausführung, daß auch der Zwischenraum von drei Jahren, der sie trennt — der Tod Mariä entstand l«>Z9 — keinen genügenden Grund dafür abzu¬ geben vermag. Man hat wohl verflicht, die merkwürdig von alleu andern Arbeiten der Zeit abweichende Technik des Leop llonro aus der Absicht Rem¬ brandts zu erklären, hier ein dekorativ wirksames, als Wandschmuck gedachtes Werk zu schaffen, wozu die großen Maße des Blattes sehr wohl Anlaß bieten konnten. Doch sehen wir im Tode der Marin, daß der Künstler derartige Absichten, wenn wir sie ihm überhaupt zuschreiben dürfen, ganz anders zu erreichen wußte. In dieser Beziehung ist die Nebeneinanderstellung der beiden Blätter überaus lehrreich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/419>, abgerufen am 28.05.2024.