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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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gewagt hat, könnte am besten dnrch die Satire begegnet werden, wenn Deutsch¬
land wie Frankreich ein Land wäre, in dein die Lächerlichkeit tötet. Wir sind
ernster angelegt, und deshalb bedarf es stärkerer Beweismittel, als sie die Macht
allgemeiner Heiterkeit gewährt hat. Wir haben einen Ersatz dafür, indem wir
auf Originalität sehen und in Kunst und Litteratur nichts so sehr bemängeln
wie die Manier. In seinem Schauspiel "Die Ehre" hat Sudermann -- nicht
als der erste, die selige Birch-Pfeiffer hat diesen Pfiff mich schon gekannt,
aber mit starker Betonung der gegenwärtigen Verhältnisse -- die Bewohner
des Vorderhauses in scharfen Gegensatz zu den Insassen des Hinterhauses
gebracht, die besitzende oder doch reichlich erwerbende Klasse in Gegensatz zu
dem von der Hand in den Mund lebenden Proletariat. Das hat einmal ge¬
zündet, obwohl die eine Hälfte nicht Natur, sondern romanhafte Phantasie,
die andre Hälfte nicht reine, sondern jene stark übertriebene Natur war, wie
sie die Bühne für ihre Wirkungen braucht. Die Keckheit, eine felle Dirne
in ihrem gedankenlosen Cynismus auf die Bühne zu bringen, hat Glück ge¬
macht, und das Ostendtheater hat die Frechheit gehabt, in "Zimmermanns
Lene" das weitere Leben der Prostituirten abzumalen. Das ist der geringere
Schaden, da solche Dinge sich selbst richten. Aber Sudermann hat ernsthaftere
Mitbewerber gehabt: Ernst von Wildenbruch hat in seiner "Haubenlerche"
und Ludwig Fulda in einem dreiattigen Schauspiele "Das verlorene Paradies,"
dessen Konflikt sich gleichfalls zwischen dem Wohlleben des Fabrikherrn und
der Not seiner gedrückten Arbeiter bewegt, dasselbe dramatische Gerüst, das¬
selbe Gegenspiel der Interessen, den gleichen Gegensatz der herrschenden und
der leidenden Charaktere benutzt. Als Sudermmm zum zweitenmale mit seiner
sittlichen Entrüstung kam, traf er ans lange Gesichter. Wirkliche Dichter haben
solches nicht zu befürchten, sondern nur wagehalsige Spekulanten, die vom
Übermut eines großen Erfolges geschwellt eine Welt für sich zu haben
glauben, die nur dein ihre Mittel gewährt, der sich ihr mit Haut und Haaren
verkauft.




Sodoms <Lüde

gewagt hat, könnte am besten dnrch die Satire begegnet werden, wenn Deutsch¬
land wie Frankreich ein Land wäre, in dein die Lächerlichkeit tötet. Wir sind
ernster angelegt, und deshalb bedarf es stärkerer Beweismittel, als sie die Macht
allgemeiner Heiterkeit gewährt hat. Wir haben einen Ersatz dafür, indem wir
auf Originalität sehen und in Kunst und Litteratur nichts so sehr bemängeln
wie die Manier. In seinem Schauspiel „Die Ehre" hat Sudermann — nicht
als der erste, die selige Birch-Pfeiffer hat diesen Pfiff mich schon gekannt,
aber mit starker Betonung der gegenwärtigen Verhältnisse — die Bewohner
des Vorderhauses in scharfen Gegensatz zu den Insassen des Hinterhauses
gebracht, die besitzende oder doch reichlich erwerbende Klasse in Gegensatz zu
dem von der Hand in den Mund lebenden Proletariat. Das hat einmal ge¬
zündet, obwohl die eine Hälfte nicht Natur, sondern romanhafte Phantasie,
die andre Hälfte nicht reine, sondern jene stark übertriebene Natur war, wie
sie die Bühne für ihre Wirkungen braucht. Die Keckheit, eine felle Dirne
in ihrem gedankenlosen Cynismus auf die Bühne zu bringen, hat Glück ge¬
macht, und das Ostendtheater hat die Frechheit gehabt, in „Zimmermanns
Lene" das weitere Leben der Prostituirten abzumalen. Das ist der geringere
Schaden, da solche Dinge sich selbst richten. Aber Sudermann hat ernsthaftere
Mitbewerber gehabt: Ernst von Wildenbruch hat in seiner „Haubenlerche"
und Ludwig Fulda in einem dreiattigen Schauspiele „Das verlorene Paradies,"
dessen Konflikt sich gleichfalls zwischen dem Wohlleben des Fabrikherrn und
der Not seiner gedrückten Arbeiter bewegt, dasselbe dramatische Gerüst, das¬
selbe Gegenspiel der Interessen, den gleichen Gegensatz der herrschenden und
der leidenden Charaktere benutzt. Als Sudermmm zum zweitenmale mit seiner
sittlichen Entrüstung kam, traf er ans lange Gesichter. Wirkliche Dichter haben
solches nicht zu befürchten, sondern nur wagehalsige Spekulanten, die vom
Übermut eines großen Erfolges geschwellt eine Welt für sich zu haben
glauben, die nur dein ihre Mittel gewährt, der sich ihr mit Haut und Haaren
verkauft.




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[0426] Sodoms <Lüde gewagt hat, könnte am besten dnrch die Satire begegnet werden, wenn Deutsch¬ land wie Frankreich ein Land wäre, in dein die Lächerlichkeit tötet. Wir sind ernster angelegt, und deshalb bedarf es stärkerer Beweismittel, als sie die Macht allgemeiner Heiterkeit gewährt hat. Wir haben einen Ersatz dafür, indem wir auf Originalität sehen und in Kunst und Litteratur nichts so sehr bemängeln wie die Manier. In seinem Schauspiel „Die Ehre" hat Sudermann — nicht als der erste, die selige Birch-Pfeiffer hat diesen Pfiff mich schon gekannt, aber mit starker Betonung der gegenwärtigen Verhältnisse — die Bewohner des Vorderhauses in scharfen Gegensatz zu den Insassen des Hinterhauses gebracht, die besitzende oder doch reichlich erwerbende Klasse in Gegensatz zu dem von der Hand in den Mund lebenden Proletariat. Das hat einmal ge¬ zündet, obwohl die eine Hälfte nicht Natur, sondern romanhafte Phantasie, die andre Hälfte nicht reine, sondern jene stark übertriebene Natur war, wie sie die Bühne für ihre Wirkungen braucht. Die Keckheit, eine felle Dirne in ihrem gedankenlosen Cynismus auf die Bühne zu bringen, hat Glück ge¬ macht, und das Ostendtheater hat die Frechheit gehabt, in „Zimmermanns Lene" das weitere Leben der Prostituirten abzumalen. Das ist der geringere Schaden, da solche Dinge sich selbst richten. Aber Sudermann hat ernsthaftere Mitbewerber gehabt: Ernst von Wildenbruch hat in seiner „Haubenlerche" und Ludwig Fulda in einem dreiattigen Schauspiele „Das verlorene Paradies," dessen Konflikt sich gleichfalls zwischen dem Wohlleben des Fabrikherrn und der Not seiner gedrückten Arbeiter bewegt, dasselbe dramatische Gerüst, das¬ selbe Gegenspiel der Interessen, den gleichen Gegensatz der herrschenden und der leidenden Charaktere benutzt. Als Sudermmm zum zweitenmale mit seiner sittlichen Entrüstung kam, traf er ans lange Gesichter. Wirkliche Dichter haben solches nicht zu befürchten, sondern nur wagehalsige Spekulanten, die vom Übermut eines großen Erfolges geschwellt eine Welt für sich zu haben glauben, die nur dein ihre Mittel gewährt, der sich ihr mit Haut und Haaren verkauft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/426>, abgerufen am 09.05.2024.