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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die Socialdemokratie

leider wird sie auch anderwärts blutig ernst genommen und nachgebetet. Trotz
"Sodoms Ende/' dessen vernichtendste Kritik das Lob des "Volksblattes" ist
(7. November: "Was für Vertreter der obern Zehntausend zeigt uns Suder¬
mann! "Bestien" und "Hallunken," das ist der Fünftelsaft, zu dem der Held
seine Erfahrung über sich und seine Klassengenossen destillirt"), ist die Moral
der besitzenden Klassen nicht so gesunken, wie man es darzustellen beliebt.
Freilich mehr Einigkeit wäre der "Bourgeoisie" zu wünschen und zu empfehlen;
will man den Mangel daran als Zersetzung bezeichnen, so mag man das
thun; die Uneinigkeit ist stets der Fluch der deutschen Nation gewesen.
Da steht auf der einen Seite einer großen Zeitung das Wort des Reichs¬
kanzlers von Caprivi: "Wir werden von Jahr zu Jahr mehr, wie mir
scheint, zu der Überzeugung kommen, daß gegenüber der staatsgcfährdendcn
Tendenz, die sich immer breiter macht, das Zusammenhalten aller staats-
erhaltenden Elemente immer notwendiger wird. Ist das richtig, was sind
denn alle die Fragen, die etwa hier Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten
zwischen den Parteien hervorrufen können, gegenüber den Fragen, vor die uns
die Sozialdemokratin? stellt?" Und auf der nächsten Seite erklärt dieselbe Zei¬
tung, daß es fast unmöglich sei, mit einem Blatte jener andern (auch einer
Ordnungs-) Partei, "welcher Schattirung es auch angehören möge," eine sach¬
liche Erörterung zu führen; ein konservatives Blatt ist für die neugegründete
"Sozialmonarchische Vereinigung," das andre dagegen n. s. w., denn gesündigt
wird in dieser Hinsicht überall. Die Verlegenheit, in der sich die Ordnnngs-
parteien bei ihrem gegenseitigen Hader ("Unsre Gegner arbeiten für uns,"
triumphirt der gemeinschaftliche Feind) befinden, zeigt sich drastisch in der Pa¬
role: Getrennt marschiren, vereint (!) schlagen. Zu der Uneinigkeit gesellt sich
die Trägheit und Bequemlichkeit in Erfüllung ihrer öffentlichen Pflichten, der
man bei den Männern der Ordnuugsparteieu, "den Zufriedenen und Gut¬
gesinnten," so häufig begegnet. Als Muster für das Zusammenfassen der ge¬
sellschaftlichen Kräfte können die Kricgervereine gelten, die sich eines so erfreu¬
lichen Hasses bei der Sozialdemokratie rühmen können; nur die nationale Idee
scheint auch heute noch mächtig genug, die verschiednen Parteien zum Zu¬
sammengehen zu veranlassen. Ebenso empfiehlt Graf Moltke dringend die
Erweckung patriotischen Sinnes in der Jugend nach dem Austritt aus der
Schule bis zum Eintritt in die Armee. "Hier das Vaterland!" Alles andre
findet sich von selbst.

Eine neue Hilfstruppe foll jetzt zum sozialen Kampfe mobil gemacht
werden, die sich bisher davon fast ganz ferngehalten hatte: die Schule. Auch
die Sozialdemokratie hatte bisher die Schule bei ihren Angriffen auf die gegen¬
wärtige Gesellschaftsordnung verhältnismäßig wenig bedacht. Das Thema:
Schule und Sozialdemokratie ist freilich litterarisch öfter behandelt worden
und wird es künftig sicherlich noch weit mehr werden; insbesondre wurde auf


Der Kampf mit geistigen Waffen gegen die Socialdemokratie

leider wird sie auch anderwärts blutig ernst genommen und nachgebetet. Trotz
„Sodoms Ende/' dessen vernichtendste Kritik das Lob des „Volksblattes" ist
(7. November: „Was für Vertreter der obern Zehntausend zeigt uns Suder¬
mann! »Bestien« und »Hallunken,« das ist der Fünftelsaft, zu dem der Held
seine Erfahrung über sich und seine Klassengenossen destillirt"), ist die Moral
der besitzenden Klassen nicht so gesunken, wie man es darzustellen beliebt.
Freilich mehr Einigkeit wäre der „Bourgeoisie" zu wünschen und zu empfehlen;
will man den Mangel daran als Zersetzung bezeichnen, so mag man das
thun; die Uneinigkeit ist stets der Fluch der deutschen Nation gewesen.
Da steht auf der einen Seite einer großen Zeitung das Wort des Reichs¬
kanzlers von Caprivi: „Wir werden von Jahr zu Jahr mehr, wie mir
scheint, zu der Überzeugung kommen, daß gegenüber der staatsgcfährdendcn
Tendenz, die sich immer breiter macht, das Zusammenhalten aller staats-
erhaltenden Elemente immer notwendiger wird. Ist das richtig, was sind
denn alle die Fragen, die etwa hier Streitigkeiten, Meinungsverschiedenheiten
zwischen den Parteien hervorrufen können, gegenüber den Fragen, vor die uns
die Sozialdemokratin? stellt?" Und auf der nächsten Seite erklärt dieselbe Zei¬
tung, daß es fast unmöglich sei, mit einem Blatte jener andern (auch einer
Ordnungs-) Partei, „welcher Schattirung es auch angehören möge," eine sach¬
liche Erörterung zu führen; ein konservatives Blatt ist für die neugegründete
„Sozialmonarchische Vereinigung," das andre dagegen n. s. w., denn gesündigt
wird in dieser Hinsicht überall. Die Verlegenheit, in der sich die Ordnnngs-
parteien bei ihrem gegenseitigen Hader („Unsre Gegner arbeiten für uns,"
triumphirt der gemeinschaftliche Feind) befinden, zeigt sich drastisch in der Pa¬
role: Getrennt marschiren, vereint (!) schlagen. Zu der Uneinigkeit gesellt sich
die Trägheit und Bequemlichkeit in Erfüllung ihrer öffentlichen Pflichten, der
man bei den Männern der Ordnuugsparteieu, „den Zufriedenen und Gut¬
gesinnten," so häufig begegnet. Als Muster für das Zusammenfassen der ge¬
sellschaftlichen Kräfte können die Kricgervereine gelten, die sich eines so erfreu¬
lichen Hasses bei der Sozialdemokratie rühmen können; nur die nationale Idee
scheint auch heute noch mächtig genug, die verschiednen Parteien zum Zu¬
sammengehen zu veranlassen. Ebenso empfiehlt Graf Moltke dringend die
Erweckung patriotischen Sinnes in der Jugend nach dem Austritt aus der
Schule bis zum Eintritt in die Armee. „Hier das Vaterland!" Alles andre
findet sich von selbst.

Eine neue Hilfstruppe foll jetzt zum sozialen Kampfe mobil gemacht
werden, die sich bisher davon fast ganz ferngehalten hatte: die Schule. Auch
die Sozialdemokratie hatte bisher die Schule bei ihren Angriffen auf die gegen¬
wärtige Gesellschaftsordnung verhältnismäßig wenig bedacht. Das Thema:
Schule und Sozialdemokratie ist freilich litterarisch öfter behandelt worden
und wird es künftig sicherlich noch weit mehr werden; insbesondre wurde auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/509>, abgerufen am 16.06.2024.