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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Vor Rampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie

Hervorgehoben werden muß hier die mehrfach und besonders auf den Versamm¬
lungen der preußischen Provinzialsynvden abgegebene Erklärung, daß die Kirche
nicht das Amt habe, die soziale Frage an sich zu lösen, da diese zum großen
Teile rein wirtschaftlich sei, sondern nur um ihrer Lösung mit thätig zu sei".
Von mehreren Seiten wurde ferner angeregt, die Dogmenlehre gegen die
praktisch-fürsorgliche Liebesthätigkeit zurücktreten zu lassen; "pietistische Methoden
können hier nicht zur Anwendung kommen, weil es gilt, mit Thatsachen gegen
Thatsachen zu kämpfen," wurde auf der sechsten lutherischen Konferenz in
Hannover geäußert. Wahrscheinlich würde die Kirche bei dieser "Taktik" nur
gewinnen können. In der Predigt bei Eröffnung des preußischen Landtages
führte Konsistoricilrat Drhander aus, daß "jede Zeit ihre besondre Seite habe,
nach der hin sich die Gotteskraft des Evangeliums befreiend offenbaren soll,
und die Not der Zeit weise nach einer andern Seite (als der Glanbenskraft):
liegt heute noch im Evangelium von Christo befreiende und erlösende Gottes¬
kraft, so muß es sich vor allem als eine Macht neuer Liebe offenbaren. . . .
In der Macht dieser Liebe liegt auch heute der Sieg. Wo sie ist, sind zwar
die Fragen an sich nicht gelöst, die uns gestellt sind, aber sie haben ihre Schärfe,
ihre Gefahr verloren. Wer Kräfte verbindender Liebe in die zerrissene Welt
von heute trügt, der erhält, bewahrt, heilt, rettet. Man hat Theorien auf¬
gestellt über den Anteil der Kirche an der Lösung der sozialen Nöte der Zeit:
die Kirche trägt ihren Anteil hinzu, welche Kräfte der Liebe in die Herzen
hineinträgt." Daß diese schönen Worte auf den rechten Weg weisen, möchten
wir auch aus dem wunderbaren Erfolge eines vielgelesenen Büchleins ent¬
nehmen, das die Liebe als "das Beste in der Welt" bezeichnet und den Spruch
immer wiederholt und erläutert (1. Kor. 13): die Liebe hört nimmer auf;
ebensowohl wie man aus Zola und Sudermann, aus einer einzelnen Erscheinung
wie "Sodoms Ende" die Zersetzung der Gesellschaft folgert, kann man aus dieser
kleinen Schrift Henry Drnmmonds die Gewißheit ihrer Erneuerung folgern.
Es ist ebenfalls ein Engländer, es ist Thomas Carlyle (auf den jetzt das
Buch: "Zum sozialen Frieden" von v. Schulze-Gävernitz die Aufmerksamkeit
wieder lenkt), der gesagt hat: "Liebe nicht dein Vergnügen, sondern liebe Gott:
dies ist das ewige Ja, worin aller Widerspruch gelöst wird." Nicht die Wort-,
sondern die Thatliebe, die echte Menschenliebe kann die Versöhnung der Gegen¬
sätze bewirken: In boo siguo viuvöluuL.


G, Wiechmann


Vor Rampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie

Hervorgehoben werden muß hier die mehrfach und besonders auf den Versamm¬
lungen der preußischen Provinzialsynvden abgegebene Erklärung, daß die Kirche
nicht das Amt habe, die soziale Frage an sich zu lösen, da diese zum großen
Teile rein wirtschaftlich sei, sondern nur um ihrer Lösung mit thätig zu sei».
Von mehreren Seiten wurde ferner angeregt, die Dogmenlehre gegen die
praktisch-fürsorgliche Liebesthätigkeit zurücktreten zu lassen; „pietistische Methoden
können hier nicht zur Anwendung kommen, weil es gilt, mit Thatsachen gegen
Thatsachen zu kämpfen," wurde auf der sechsten lutherischen Konferenz in
Hannover geäußert. Wahrscheinlich würde die Kirche bei dieser „Taktik" nur
gewinnen können. In der Predigt bei Eröffnung des preußischen Landtages
führte Konsistoricilrat Drhander aus, daß „jede Zeit ihre besondre Seite habe,
nach der hin sich die Gotteskraft des Evangeliums befreiend offenbaren soll,
und die Not der Zeit weise nach einer andern Seite (als der Glanbenskraft):
liegt heute noch im Evangelium von Christo befreiende und erlösende Gottes¬
kraft, so muß es sich vor allem als eine Macht neuer Liebe offenbaren. . . .
In der Macht dieser Liebe liegt auch heute der Sieg. Wo sie ist, sind zwar
die Fragen an sich nicht gelöst, die uns gestellt sind, aber sie haben ihre Schärfe,
ihre Gefahr verloren. Wer Kräfte verbindender Liebe in die zerrissene Welt
von heute trügt, der erhält, bewahrt, heilt, rettet. Man hat Theorien auf¬
gestellt über den Anteil der Kirche an der Lösung der sozialen Nöte der Zeit:
die Kirche trägt ihren Anteil hinzu, welche Kräfte der Liebe in die Herzen
hineinträgt." Daß diese schönen Worte auf den rechten Weg weisen, möchten
wir auch aus dem wunderbaren Erfolge eines vielgelesenen Büchleins ent¬
nehmen, das die Liebe als „das Beste in der Welt" bezeichnet und den Spruch
immer wiederholt und erläutert (1. Kor. 13): die Liebe hört nimmer auf;
ebensowohl wie man aus Zola und Sudermann, aus einer einzelnen Erscheinung
wie „Sodoms Ende" die Zersetzung der Gesellschaft folgert, kann man aus dieser
kleinen Schrift Henry Drnmmonds die Gewißheit ihrer Erneuerung folgern.
Es ist ebenfalls ein Engländer, es ist Thomas Carlyle (auf den jetzt das
Buch: „Zum sozialen Frieden" von v. Schulze-Gävernitz die Aufmerksamkeit
wieder lenkt), der gesagt hat: „Liebe nicht dein Vergnügen, sondern liebe Gott:
dies ist das ewige Ja, worin aller Widerspruch gelöst wird." Nicht die Wort-,
sondern die Thatliebe, die echte Menschenliebe kann die Versöhnung der Gegen¬
sätze bewirken: In boo siguo viuvöluuL.


G, Wiechmann


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[0511] Vor Rampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie Hervorgehoben werden muß hier die mehrfach und besonders auf den Versamm¬ lungen der preußischen Provinzialsynvden abgegebene Erklärung, daß die Kirche nicht das Amt habe, die soziale Frage an sich zu lösen, da diese zum großen Teile rein wirtschaftlich sei, sondern nur um ihrer Lösung mit thätig zu sei». Von mehreren Seiten wurde ferner angeregt, die Dogmenlehre gegen die praktisch-fürsorgliche Liebesthätigkeit zurücktreten zu lassen; „pietistische Methoden können hier nicht zur Anwendung kommen, weil es gilt, mit Thatsachen gegen Thatsachen zu kämpfen," wurde auf der sechsten lutherischen Konferenz in Hannover geäußert. Wahrscheinlich würde die Kirche bei dieser „Taktik" nur gewinnen können. In der Predigt bei Eröffnung des preußischen Landtages führte Konsistoricilrat Drhander aus, daß „jede Zeit ihre besondre Seite habe, nach der hin sich die Gotteskraft des Evangeliums befreiend offenbaren soll, und die Not der Zeit weise nach einer andern Seite (als der Glanbenskraft): liegt heute noch im Evangelium von Christo befreiende und erlösende Gottes¬ kraft, so muß es sich vor allem als eine Macht neuer Liebe offenbaren. . . . In der Macht dieser Liebe liegt auch heute der Sieg. Wo sie ist, sind zwar die Fragen an sich nicht gelöst, die uns gestellt sind, aber sie haben ihre Schärfe, ihre Gefahr verloren. Wer Kräfte verbindender Liebe in die zerrissene Welt von heute trügt, der erhält, bewahrt, heilt, rettet. Man hat Theorien auf¬ gestellt über den Anteil der Kirche an der Lösung der sozialen Nöte der Zeit: die Kirche trägt ihren Anteil hinzu, welche Kräfte der Liebe in die Herzen hineinträgt." Daß diese schönen Worte auf den rechten Weg weisen, möchten wir auch aus dem wunderbaren Erfolge eines vielgelesenen Büchleins ent¬ nehmen, das die Liebe als „das Beste in der Welt" bezeichnet und den Spruch immer wiederholt und erläutert (1. Kor. 13): die Liebe hört nimmer auf; ebensowohl wie man aus Zola und Sudermann, aus einer einzelnen Erscheinung wie „Sodoms Ende" die Zersetzung der Gesellschaft folgert, kann man aus dieser kleinen Schrift Henry Drnmmonds die Gewißheit ihrer Erneuerung folgern. Es ist ebenfalls ein Engländer, es ist Thomas Carlyle (auf den jetzt das Buch: „Zum sozialen Frieden" von v. Schulze-Gävernitz die Aufmerksamkeit wieder lenkt), der gesagt hat: „Liebe nicht dein Vergnügen, sondern liebe Gott: dies ist das ewige Ja, worin aller Widerspruch gelöst wird." Nicht die Wort-, sondern die Thatliebe, die echte Menschenliebe kann die Versöhnung der Gegen¬ sätze bewirken: In boo siguo viuvöluuL. G, Wiechmann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/511>, abgerufen am 12.05.2024.