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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Entwurf des preußischen volksschnlgesctzes

Schullehrer" zu verstehen ist. Die Vorstellung darüber ist in all den Kreisen,
die größtenteils selbst erzengen, was sie brauchen, erschreckend unklar und
unrichtig. Ortliche und amtliche Unterschiede können trotzdem berücksichtigt
werden, sollten aber weniger den Grundgehalt als vielmehr die Zulagen beein¬
flussen. Für die arme Niederlattsitz sind etwa folgende Wünsche und Vorschläge
das mindeste, was den Lehrer im allgemeinen zufriedenstellen könnte: 1. Der
gesetzlich bestimmte Grundgehalt beträgt für jeden fest angestellten Lehrer außer
freier Wohnung und freier Feuerung 1290 Mark. 2. Jeder Lehrer hat nach
fünf Jahren rechtlichen Anspruch auf eine Zulage vou 200 Mark, die sich
uach je fünf Jahren um denselben Betrag erhöht und nach dreißig Dicnst-
jahren 1200 Mark ausmacht. Kirchendienst und sonstige Mehrarbeit sowie
Teuerungsverhältnisse werden besonders berücksichtigt, und jede Bezirksregierung
und jede Gemeinde hat das Recht zur Erhöhung obiger Sätze. Mau kann
nicht sagen, daß die hier ausgesprochenen Wünsche unbescheiden wären. Wenn
aber der Einsender vermutet, daß in reichem Gegenden eine bessere Fürsorge
der ländlichen Bevölkerung für ihre Lehrer zu treffen sei, so muß ich nach
meiner Erfnhrnng das bestreiten. Der engherzige, kurzsichtige Geiz herrscht
überall und da am meisten, wo die fettesten Bauern sitzen.

Wenn ich recht unterrichtet bin, findet eine lebhafte und allgemeine Be¬
wegung in der Lehrerschaft gegen das Gesetz statt. Es ist sehr beachtenswert,
daß diese Bewegung sich nicht in erster Linie ans die Gehaltsfrage, die doch
sonst immer die brennende Frage ist, bezieht, sondern ans die gefürchtete Unter¬
ordnung des Lehrers unter die bürgerliche Gemeinde, dos heißt auf dem Dorfe:
nnter den Schulzen und neben deu Nachtwächter. Die Lehrer, die sich vor
deu Folgen des Gesetzes fürchten, dürfen als Sachverständige in ländlichen
Dingen betrachtet werden; man muß annehmen, daß sie die in Frage kommenden
Verhältnisse und Personen vielleicht richtiger beurteilen, als das hohe Ministe¬
rium aus seiner gesetzgeberischen Ferne aus.

Ich kann auch meinerseits nicht umhin, dem Zweifel Ausdruck zu geben,
ob die bürgerliche Gemeinde -- ich denke immer zunächst an das flache Land
und die kleinen Städte ^ geeignet ist, der Träger der Schule in der in Aus¬
sicht genommenen Weise zu sein. Sie empfängt die staatlichen Zuschüsse und
hat das Recht der Verwendung. Wenn die Herren Bauern den Sinn des
Gesetzes begriffen haben werden, werden sie schön schmunzeln. Der Bauer
sieht vor allem darauf, wie und wo er einen Profit machen kann. Mit dem
staatlichen Zuschuß läßt sich aber auf Kosten des Lehrers ein ganz gutes Ge¬
schäft macheu. Es ist uicht nuznnehmen, daß man es anders ansaugen werde,
als jetzt in der Verwendung der Mittel des Schnldotationsgesetzcs. Ja ich
möchte allen Ernstes die Frage aufwerfen: Ist es gut gethan, den Gemeinden
Steuererträge zuzuweisen? Diese Erträge werden verwirtschaftet, und sowie eine
größere Ausgabe kommt, erhebt sich das alte Geschrei von unerträglichen Lasten.


Der Entwurf des preußischen volksschnlgesctzes

Schullehrer" zu verstehen ist. Die Vorstellung darüber ist in all den Kreisen,
die größtenteils selbst erzengen, was sie brauchen, erschreckend unklar und
unrichtig. Ortliche und amtliche Unterschiede können trotzdem berücksichtigt
werden, sollten aber weniger den Grundgehalt als vielmehr die Zulagen beein¬
flussen. Für die arme Niederlattsitz sind etwa folgende Wünsche und Vorschläge
das mindeste, was den Lehrer im allgemeinen zufriedenstellen könnte: 1. Der
gesetzlich bestimmte Grundgehalt beträgt für jeden fest angestellten Lehrer außer
freier Wohnung und freier Feuerung 1290 Mark. 2. Jeder Lehrer hat nach
fünf Jahren rechtlichen Anspruch auf eine Zulage vou 200 Mark, die sich
uach je fünf Jahren um denselben Betrag erhöht und nach dreißig Dicnst-
jahren 1200 Mark ausmacht. Kirchendienst und sonstige Mehrarbeit sowie
Teuerungsverhältnisse werden besonders berücksichtigt, und jede Bezirksregierung
und jede Gemeinde hat das Recht zur Erhöhung obiger Sätze. Mau kann
nicht sagen, daß die hier ausgesprochenen Wünsche unbescheiden wären. Wenn
aber der Einsender vermutet, daß in reichem Gegenden eine bessere Fürsorge
der ländlichen Bevölkerung für ihre Lehrer zu treffen sei, so muß ich nach
meiner Erfnhrnng das bestreiten. Der engherzige, kurzsichtige Geiz herrscht
überall und da am meisten, wo die fettesten Bauern sitzen.

Wenn ich recht unterrichtet bin, findet eine lebhafte und allgemeine Be¬
wegung in der Lehrerschaft gegen das Gesetz statt. Es ist sehr beachtenswert,
daß diese Bewegung sich nicht in erster Linie ans die Gehaltsfrage, die doch
sonst immer die brennende Frage ist, bezieht, sondern ans die gefürchtete Unter¬
ordnung des Lehrers unter die bürgerliche Gemeinde, dos heißt auf dem Dorfe:
nnter den Schulzen und neben deu Nachtwächter. Die Lehrer, die sich vor
deu Folgen des Gesetzes fürchten, dürfen als Sachverständige in ländlichen
Dingen betrachtet werden; man muß annehmen, daß sie die in Frage kommenden
Verhältnisse und Personen vielleicht richtiger beurteilen, als das hohe Ministe¬
rium aus seiner gesetzgeberischen Ferne aus.

Ich kann auch meinerseits nicht umhin, dem Zweifel Ausdruck zu geben,
ob die bürgerliche Gemeinde — ich denke immer zunächst an das flache Land
und die kleinen Städte ^ geeignet ist, der Träger der Schule in der in Aus¬
sicht genommenen Weise zu sein. Sie empfängt die staatlichen Zuschüsse und
hat das Recht der Verwendung. Wenn die Herren Bauern den Sinn des
Gesetzes begriffen haben werden, werden sie schön schmunzeln. Der Bauer
sieht vor allem darauf, wie und wo er einen Profit machen kann. Mit dem
staatlichen Zuschuß läßt sich aber auf Kosten des Lehrers ein ganz gutes Ge¬
schäft macheu. Es ist uicht nuznnehmen, daß man es anders ansaugen werde,
als jetzt in der Verwendung der Mittel des Schnldotationsgesetzcs. Ja ich
möchte allen Ernstes die Frage aufwerfen: Ist es gut gethan, den Gemeinden
Steuererträge zuzuweisen? Diese Erträge werden verwirtschaftet, und sowie eine
größere Ausgabe kommt, erhebt sich das alte Geschrei von unerträglichen Lasten.


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[0599] Der Entwurf des preußischen volksschnlgesctzes Schullehrer" zu verstehen ist. Die Vorstellung darüber ist in all den Kreisen, die größtenteils selbst erzengen, was sie brauchen, erschreckend unklar und unrichtig. Ortliche und amtliche Unterschiede können trotzdem berücksichtigt werden, sollten aber weniger den Grundgehalt als vielmehr die Zulagen beein¬ flussen. Für die arme Niederlattsitz sind etwa folgende Wünsche und Vorschläge das mindeste, was den Lehrer im allgemeinen zufriedenstellen könnte: 1. Der gesetzlich bestimmte Grundgehalt beträgt für jeden fest angestellten Lehrer außer freier Wohnung und freier Feuerung 1290 Mark. 2. Jeder Lehrer hat nach fünf Jahren rechtlichen Anspruch auf eine Zulage vou 200 Mark, die sich uach je fünf Jahren um denselben Betrag erhöht und nach dreißig Dicnst- jahren 1200 Mark ausmacht. Kirchendienst und sonstige Mehrarbeit sowie Teuerungsverhältnisse werden besonders berücksichtigt, und jede Bezirksregierung und jede Gemeinde hat das Recht zur Erhöhung obiger Sätze. Mau kann nicht sagen, daß die hier ausgesprochenen Wünsche unbescheiden wären. Wenn aber der Einsender vermutet, daß in reichem Gegenden eine bessere Fürsorge der ländlichen Bevölkerung für ihre Lehrer zu treffen sei, so muß ich nach meiner Erfnhrnng das bestreiten. Der engherzige, kurzsichtige Geiz herrscht überall und da am meisten, wo die fettesten Bauern sitzen. Wenn ich recht unterrichtet bin, findet eine lebhafte und allgemeine Be¬ wegung in der Lehrerschaft gegen das Gesetz statt. Es ist sehr beachtenswert, daß diese Bewegung sich nicht in erster Linie ans die Gehaltsfrage, die doch sonst immer die brennende Frage ist, bezieht, sondern ans die gefürchtete Unter¬ ordnung des Lehrers unter die bürgerliche Gemeinde, dos heißt auf dem Dorfe: nnter den Schulzen und neben deu Nachtwächter. Die Lehrer, die sich vor deu Folgen des Gesetzes fürchten, dürfen als Sachverständige in ländlichen Dingen betrachtet werden; man muß annehmen, daß sie die in Frage kommenden Verhältnisse und Personen vielleicht richtiger beurteilen, als das hohe Ministe¬ rium aus seiner gesetzgeberischen Ferne aus. Ich kann auch meinerseits nicht umhin, dem Zweifel Ausdruck zu geben, ob die bürgerliche Gemeinde — ich denke immer zunächst an das flache Land und die kleinen Städte ^ geeignet ist, der Träger der Schule in der in Aus¬ sicht genommenen Weise zu sein. Sie empfängt die staatlichen Zuschüsse und hat das Recht der Verwendung. Wenn die Herren Bauern den Sinn des Gesetzes begriffen haben werden, werden sie schön schmunzeln. Der Bauer sieht vor allem darauf, wie und wo er einen Profit machen kann. Mit dem staatlichen Zuschuß läßt sich aber auf Kosten des Lehrers ein ganz gutes Ge¬ schäft macheu. Es ist uicht nuznnehmen, daß man es anders ansaugen werde, als jetzt in der Verwendung der Mittel des Schnldotationsgesetzcs. Ja ich möchte allen Ernstes die Frage aufwerfen: Ist es gut gethan, den Gemeinden Steuererträge zuzuweisen? Diese Erträge werden verwirtschaftet, und sowie eine größere Ausgabe kommt, erhebt sich das alte Geschrei von unerträglichen Lasten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/599>, abgerufen am 06.06.2024.