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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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sein Glück war, denn darin lug sein einziger Schutz, wenn die Dummheit hin-
durchleuchteu wollte.

Aha, ja! sagte er und sah aus das sauftiuütige alte Gesicht mit den
vielen Furchen, Runzeln und Rändern,

Dieses "Aha, ja" war für ihn eine Art Gesellschafter, Es vermochte aus
alles zu antworten und alles auszusagen. Ganze Tage konnten vergehen,
ohne daß er einen andern Umgang hatte, als dieses Wort. Aber es
genügte, denn eigentlich bestand er aus zwei Personen, Das war eben das,
was ihn ärgerte.

Er war die lauge Strecke von Lund nach Stockholm gezogen, nur um
sich einer dieser beiden zu entledigen. Und nun war er auf alles vorbereitet.
Daher kam es auch, daß er sein Gesicht in die Höhe zog, sodaß der Mund
zu einem einzigen Strich und das Kinn bis zur Nase gelüstet wurde. Von
den Augen war fast keine Spur zu sehen: die Gardinen waren herabgelassen;
und Herr Tobiasseu rieb sich den Nacken, wenn überhaupt noch ein Platz zum
Reibe" dawar. Ja, aus zwei Personen bestand er. Die eine war ein alter
Narr, der nicht unterlassen konnte, die ganze Welt lieb zu haben, die andre
ein eingefleischter Skeptiker, der über diese Sentimentalität hohnlachte.

Wenn mir irgendwo jemand, der der Hilfe bedürfte, Herrn Tobiasseu
begegnete, so war der Narr da lind pochte daraus, daß er in Vereitschaft sei:
und wenn Herr Tobiasseu antwortete, daß jeder sich nach seinen Mitteln
richten müsse, so bekam er seinen Plagegeist zu fühlen. Denn dieser ließ ihn
nicht frei. Er konnte den armen Maun Nächte hindurch wach erhalte", er
endete in seine Ohren, daß er ein alter verstockter Sünder sei, ja er verbitterte
ihm jeden Bissen und brachte es dahin, daß er schließlich meinte, er sei
gestohlen.

War dann Herr Tobiasseu so zermartert, daß er nicht mehr konnte, so
that er dem Narren seinen Willen, Aber nun kam der Skeptiker an die Reihe,
lind war es Herr" Tobiasseu früher schon heiß geworden, so wurde es nur
noch schlimmer. Denn der Skeptiker war viel geriebener al-? der Narr, und
er verstand das Ganze so grnndlächerlich zu machen, daß Herr Tobiassen sich
die Augen ans dem Kopfe hätte schämen möge". Er verfolgte deu armen Mann
mit seinem Hohn, er marterte ihn mit Selbstvorwürfen, er zeigte ihm mit
mathematischer Genauigkeit, wie ein gewisses kleines Kapital durch die Tasche
der Mildthätigkeit hindurchlnufeu werde, ohne einem gewissen alten Herrn
etwas andres zurückzulassen, als das Bewußtsein, daß er wie ein Narr ge¬
wirtschaftet habe. Das Schlnßtablean bestand dann immer aus Herrn Tobiassen
selbst: einem alten Armenhäusler in magischer Beleuchtung.

Mit letzterm konnte der Skeptiker Herrn Tobiassen verrückt machen; in
seiner Verbitterung schalt der alte Herr den Narren, ballte ihm die Faust
sozusagen vor der Nase und sagte, er sei leine Prise Tabak wert.


sein Glück war, denn darin lug sein einziger Schutz, wenn die Dummheit hin-
durchleuchteu wollte.

Aha, ja! sagte er und sah aus das sauftiuütige alte Gesicht mit den
vielen Furchen, Runzeln und Rändern,

Dieses „Aha, ja" war für ihn eine Art Gesellschafter, Es vermochte aus
alles zu antworten und alles auszusagen. Ganze Tage konnten vergehen,
ohne daß er einen andern Umgang hatte, als dieses Wort. Aber es
genügte, denn eigentlich bestand er aus zwei Personen, Das war eben das,
was ihn ärgerte.

Er war die lauge Strecke von Lund nach Stockholm gezogen, nur um
sich einer dieser beiden zu entledigen. Und nun war er auf alles vorbereitet.
Daher kam es auch, daß er sein Gesicht in die Höhe zog, sodaß der Mund
zu einem einzigen Strich und das Kinn bis zur Nase gelüstet wurde. Von
den Augen war fast keine Spur zu sehen: die Gardinen waren herabgelassen;
und Herr Tobiasseu rieb sich den Nacken, wenn überhaupt noch ein Platz zum
Reibe« dawar. Ja, aus zwei Personen bestand er. Die eine war ein alter
Narr, der nicht unterlassen konnte, die ganze Welt lieb zu haben, die andre
ein eingefleischter Skeptiker, der über diese Sentimentalität hohnlachte.

Wenn mir irgendwo jemand, der der Hilfe bedürfte, Herrn Tobiasseu
begegnete, so war der Narr da lind pochte daraus, daß er in Vereitschaft sei:
und wenn Herr Tobiasseu antwortete, daß jeder sich nach seinen Mitteln
richten müsse, so bekam er seinen Plagegeist zu fühlen. Denn dieser ließ ihn
nicht frei. Er konnte den armen Maun Nächte hindurch wach erhalte», er
endete in seine Ohren, daß er ein alter verstockter Sünder sei, ja er verbitterte
ihm jeden Bissen und brachte es dahin, daß er schließlich meinte, er sei
gestohlen.

War dann Herr Tobiasseu so zermartert, daß er nicht mehr konnte, so
that er dem Narren seinen Willen, Aber nun kam der Skeptiker an die Reihe,
lind war es Herr« Tobiasseu früher schon heiß geworden, so wurde es nur
noch schlimmer. Denn der Skeptiker war viel geriebener al-? der Narr, und
er verstand das Ganze so grnndlächerlich zu machen, daß Herr Tobiassen sich
die Augen ans dem Kopfe hätte schämen möge». Er verfolgte deu armen Mann
mit seinem Hohn, er marterte ihn mit Selbstvorwürfen, er zeigte ihm mit
mathematischer Genauigkeit, wie ein gewisses kleines Kapital durch die Tasche
der Mildthätigkeit hindurchlnufeu werde, ohne einem gewissen alten Herrn
etwas andres zurückzulassen, als das Bewußtsein, daß er wie ein Narr ge¬
wirtschaftet habe. Das Schlnßtablean bestand dann immer aus Herrn Tobiassen
selbst: einem alten Armenhäusler in magischer Beleuchtung.

Mit letzterm konnte der Skeptiker Herrn Tobiassen verrückt machen; in
seiner Verbitterung schalt der alte Herr den Narren, ballte ihm die Faust
sozusagen vor der Nase und sagte, er sei leine Prise Tabak wert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/619>, abgerufen am 14.05.2024.