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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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wurde sticht auf die Kissen gelegt und zugedeckt. Die Nachtlcnnpe brannte ans
einem kleinen Gestell und warf einen niatteu Schein über das Zimmer,

Die Mutter küßte die kleinen roten Backen, die wie eine feinschalige Frucht
über den Rand der Decke hervorleuchteten, der Vater küßte sie, und die
Schüchternheit seines Herzens überwindend beugte Herr Tobiassen seine alten
Kniee vor dem Bett, nahm die daunenwarme kleine Hand und drückte sie gegen
seine Angen.

Er liebte dieses Kind, das er heute zum erstenmale gesehen hatte. Er
liebte es so, wie nur einer, der fühlt, daß er vom Leben scheiden soll, den
lieben kann, der i" das Leben eintritt.

Dann ging Herr Tobiassen heim in seine kleine Junggesellenmohnung mit
seinem Paket unter dem Arm. Und obgleich nichts geäußert wurde, war sich
der Fortgehende ebenso klar darüber wie die Zurückbleibenden, daß, wenn sich
der Alle in Zukunft bei jemand in 5lost geben wollte, es bei niemand anders
sein könne als bei ihnen.

Nachdem er heimgekommen war, Licht im Schlafzimmer gemacht und
begonnen hatte, sich auszukleiden, war er ganz erfüllt von zwei Dingen: von
Ludwigs Knaben und Tildes Wvllweste.

Er hatte den Bvrsaalschlüssel bei sich gehabt und selbst geöffnet; er
konnte also sein Geschenk erst am ander" Morgen anbringe". Sie mußte ja
liereinkommen mit dem Kaffeebrett und ihn wecken. Aber dann hätte sie das
Paket gesehen! Nein, er wollte es recht gut aufheben, sodaß sie nichts aHute,
ehe er ihr das weiche Kleidungsstück gab. Wie fühlte er die Wärme durch
sein Gemüt dringen! Nun konnte ihm doch das zerrissene Kleid nicht alle
Tage vorspuken. Aber wo sollte er das Paket aufhebe" ? Hier, unter dem
Kopfkissen, Das war vortrefflich! Morgen wollte er es ihr geben und ver¬
suchen, sich nicht feiner eignen Freundlichkeit zu schämen lind nicht seine Gut¬
mütigkeit durch Bosheit zu verscheuchen. Einfach und natürlich wollte er sei",
mie die Mensche", die er heute Abend gesehen hatte.

Ah! atmete er mit großem Wohlbehagen ans u"d warf sich nach alter
Gewohnheit so ungeschickt in sein Bett wie el" fallender Block, Dann sah er
noch eine" A"ge"blick ins Licht, i" Gedanken versunken, ehe er es übers Herz
bringen konnte, es auszulöschen. Er dachte an deu Kleinen, der nun auch in
seinem Bettchen lag, den Kleine", der so schwer zu heben war, den Kleinen,
der in die Höhe wachsen sollte und groß werde", während er selbst in
seinem Grabe ruhen und zu Staub werden würde. Den Kleinen, der vielleicht
auch einmal ein alter Mann werden würde. Aber nicht el" alter Einsiedler --
el" aller Mau" mit Kindern und Kindeskindern,

Dann blies Herr Tobiassen sein Licht ano und schlief selbst el" wie ein
Ki"d "ach seiner Weihnachtsfreude, schlief ein mit dem Gedanken a" deu
kleine" und mit Zilde5 Wvllweste nnter dem Kopfkissen,




wurde sticht auf die Kissen gelegt und zugedeckt. Die Nachtlcnnpe brannte ans
einem kleinen Gestell und warf einen niatteu Schein über das Zimmer,

Die Mutter küßte die kleinen roten Backen, die wie eine feinschalige Frucht
über den Rand der Decke hervorleuchteten, der Vater küßte sie, und die
Schüchternheit seines Herzens überwindend beugte Herr Tobiassen seine alten
Kniee vor dem Bett, nahm die daunenwarme kleine Hand und drückte sie gegen
seine Angen.

Er liebte dieses Kind, das er heute zum erstenmale gesehen hatte. Er
liebte es so, wie nur einer, der fühlt, daß er vom Leben scheiden soll, den
lieben kann, der i» das Leben eintritt.

Dann ging Herr Tobiassen heim in seine kleine Junggesellenmohnung mit
seinem Paket unter dem Arm. Und obgleich nichts geäußert wurde, war sich
der Fortgehende ebenso klar darüber wie die Zurückbleibenden, daß, wenn sich
der Alle in Zukunft bei jemand in 5lost geben wollte, es bei niemand anders
sein könne als bei ihnen.

Nachdem er heimgekommen war, Licht im Schlafzimmer gemacht und
begonnen hatte, sich auszukleiden, war er ganz erfüllt von zwei Dingen: von
Ludwigs Knaben und Tildes Wvllweste.

Er hatte den Bvrsaalschlüssel bei sich gehabt und selbst geöffnet; er
konnte also sein Geschenk erst am ander» Morgen anbringe«. Sie mußte ja
liereinkommen mit dem Kaffeebrett und ihn wecken. Aber dann hätte sie das
Paket gesehen! Nein, er wollte es recht gut aufheben, sodaß sie nichts aHute,
ehe er ihr das weiche Kleidungsstück gab. Wie fühlte er die Wärme durch
sein Gemüt dringen! Nun konnte ihm doch das zerrissene Kleid nicht alle
Tage vorspuken. Aber wo sollte er das Paket aufhebe» ? Hier, unter dem
Kopfkissen, Das war vortrefflich! Morgen wollte er es ihr geben und ver¬
suchen, sich nicht feiner eignen Freundlichkeit zu schämen lind nicht seine Gut¬
mütigkeit durch Bosheit zu verscheuchen. Einfach und natürlich wollte er sei»,
mie die Mensche», die er heute Abend gesehen hatte.

Ah! atmete er mit großem Wohlbehagen ans u»d warf sich nach alter
Gewohnheit so ungeschickt in sein Bett wie el» fallender Block, Dann sah er
noch eine» A»ge»blick ins Licht, i» Gedanken versunken, ehe er es übers Herz
bringen konnte, es auszulöschen. Er dachte an deu Kleinen, der nun auch in
seinem Bettchen lag, den Kleine», der so schwer zu heben war, den Kleinen,
der in die Höhe wachsen sollte und groß werde«, während er selbst in
seinem Grabe ruhen und zu Staub werden würde. Den Kleinen, der vielleicht
auch einmal ein alter Mann werden würde. Aber nicht el» alter Einsiedler —
el» aller Mau» mit Kindern und Kindeskindern,

Dann blies Herr Tobiassen sein Licht ano und schlief selbst el« wie ein
Ki«d «ach seiner Weihnachtsfreude, schlief ein mit dem Gedanken a« deu
kleine» und mit Zilde5 Wvllweste nnter dem Kopfkissen,




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/637>, abgerufen am 11.05.2024.