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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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sich zu sammeln in Liebe zu diesem Kinde, das gleich einem angeschossenen
Nöglein auf seinem Knie hing, wohlgeborgen mit dem goldlockigen Köpfchen
an seiner Brust ruhend.

Er schläft, flüsterte die Mutter und beugte sich herab, um ihm ins Gesicht
zu sehen, er ist müde, er ist eingeschlummert. Sieh, wie hübsch er beim
Onkel sitzt.

Dieser bejahte den Ausruf durch ein Kopfnicken feierlich, wichtig, fast
andächtig.

Man lächelte einander zu und ging auf den Zehe". Die junge Frau
gab Herrn Tvbiassen eine Tasse in die Hand, und man servirte ihm auf seinen
Platz, damit er uicht nötig hätte, sich zu erheben. Man trank Kaffee und
unterhielt sich halblaut. Herr Tvbiassen lächelte und nickte, war aber sparsam
mit Antworten. Wie konnte man auch erwarten, daß er antworten sollte, da
er doch ganz in Anspruch genommen war von einer so wichtigen Aufgabe!
Ab und zu sah er mit liebender Sorgfalt hinab ans das Köpfchen, das willen¬
los und schwer vom Schlaf an seiner Brust lag.

Die junge Mutter meinte, das Mädchen sollte hereinkomme" und den
Kleinen nehmen, er könnte beschwerlich fallen. Aber Herr Tvbiassen schob
seine Lippen vor, sodaß das Kinn sich zu einem Nichts abflachte, und zog sein
ganzes Gnmmigesicht zu einem einzigen Protest zusammen, indem er mit der
freien Hand eine abwehrende Bewegung machte.

lind man war Herrn Tvbiassen dankbar dafür, man war entzückt von
ihm, er war das reine Ideal eines Großonkels. Man trank seinen Äquenr
mit dem Gefühl, als bildete man eine heilige kleine Freimaurerloge.

Schließlich mußte aber doch der Kleine zu Bett gebracht werden, und das
Mädchen erschien auf der Thürschwelle.

Darf ich ihn nicht tragen? wandte sich Herr Tvbiassen schüchtern fragend
an die junge Fran.

Sie nickte bejahend, und das Mädchen erhielt einen Wink, zu ver¬
schwinden.

Die Mutter ging voran und öffnete die Thüre" bis zur Schlafstube;
dann kam Herr Tvbiassen mit kleinen Schritten, von denen jeder ^- bei seinem
eifrigen Versuch, aus den Fußspitzen zu gehen - ihn einen so nachdrücklichen
knicks mit dem Oberkörper machen ließ, daß die bewunderungswürdigste Schlaf
gäbe einer kerngesunden Kindernatur dazu gehörte, nicht zu erwachen. Ansetzt
kam der junge Familienvater, ganz stolz, ans eigner Anregung diese Perle
von einem Onkel ins Haus gebracht zu haben.

Nun wurde der Kleine unter fortwährender Bemnnderung entkleidet,
Stück für Stück, und als es den behenden Fingern der Mutter geglückt war,
ihn "och schlafend in sein langes Nachthemd zu stecke", das ihm wie ein Tauf¬
kleid über die Füße hing, da sah mau sich mit feuchten Alicken an, und er


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sich zu sammeln in Liebe zu diesem Kinde, das gleich einem angeschossenen
Nöglein auf seinem Knie hing, wohlgeborgen mit dem goldlockigen Köpfchen
an seiner Brust ruhend.

Er schläft, flüsterte die Mutter und beugte sich herab, um ihm ins Gesicht
zu sehen, er ist müde, er ist eingeschlummert. Sieh, wie hübsch er beim
Onkel sitzt.

Dieser bejahte den Ausruf durch ein Kopfnicken feierlich, wichtig, fast
andächtig.

Man lächelte einander zu und ging auf den Zehe». Die junge Frau
gab Herrn Tvbiassen eine Tasse in die Hand, und man servirte ihm auf seinen
Platz, damit er uicht nötig hätte, sich zu erheben. Man trank Kaffee und
unterhielt sich halblaut. Herr Tvbiassen lächelte und nickte, war aber sparsam
mit Antworten. Wie konnte man auch erwarten, daß er antworten sollte, da
er doch ganz in Anspruch genommen war von einer so wichtigen Aufgabe!
Ab und zu sah er mit liebender Sorgfalt hinab ans das Köpfchen, das willen¬
los und schwer vom Schlaf an seiner Brust lag.

Die junge Mutter meinte, das Mädchen sollte hereinkomme» und den
Kleinen nehmen, er könnte beschwerlich fallen. Aber Herr Tvbiassen schob
seine Lippen vor, sodaß das Kinn sich zu einem Nichts abflachte, und zog sein
ganzes Gnmmigesicht zu einem einzigen Protest zusammen, indem er mit der
freien Hand eine abwehrende Bewegung machte.

lind man war Herrn Tvbiassen dankbar dafür, man war entzückt von
ihm, er war das reine Ideal eines Großonkels. Man trank seinen Äquenr
mit dem Gefühl, als bildete man eine heilige kleine Freimaurerloge.

Schließlich mußte aber doch der Kleine zu Bett gebracht werden, und das
Mädchen erschien auf der Thürschwelle.

Darf ich ihn nicht tragen? wandte sich Herr Tvbiassen schüchtern fragend
an die junge Fran.

Sie nickte bejahend, und das Mädchen erhielt einen Wink, zu ver¬
schwinden.

Die Mutter ging voran und öffnete die Thüre» bis zur Schlafstube;
dann kam Herr Tvbiassen mit kleinen Schritten, von denen jeder ^- bei seinem
eifrigen Versuch, aus den Fußspitzen zu gehen - ihn einen so nachdrücklichen
knicks mit dem Oberkörper machen ließ, daß die bewunderungswürdigste Schlaf
gäbe einer kerngesunden Kindernatur dazu gehörte, nicht zu erwachen. Ansetzt
kam der junge Familienvater, ganz stolz, ans eigner Anregung diese Perle
von einem Onkel ins Haus gebracht zu haben.

Nun wurde der Kleine unter fortwährender Bemnnderung entkleidet,
Stück für Stück, und als es den behenden Fingern der Mutter geglückt war,
ihn »och schlafend in sein langes Nachthemd zu stecke», das ihm wie ein Tauf¬
kleid über die Füße hing, da sah mau sich mit feuchten Alicken an, und er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/636>, abgerufen am 25.05.2024.