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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

die UM die Musikempore gedrängten Schciren jedesmal wie erlöst auf, wahre
Beifallsstürme erbrausten und pflanzten sich bis in die lauschigen fernen Gänge
fort, aus denen man jenseits der großen Terrasse in die borghesischen Gurten
hinabschaut.

Aber, wie gesagt, die Musik spielt bei dem lebhaftem Verkehr auf den
Promenaden des Monte Pincio unter allen Umständen nur eine untergeordnete
Rolle, die Hauptsache bleibt der Zusammenstrom Einheimischer und Fremder,
das Sehen und Gescheuwerdeu bei der Spazierfahrt, die eigentümlichste Form
der Geselligkeit, die sich trotz aller Wandlung der Zeiten, Anschauungen und
Trachten in Italien so ziemlich unverändert erhalten hat. Diese tägliche Aus¬
fahrt aller irgend Höhergestellten und Glückbegünstigten und die immer noch
frische Schaulust der zu Fuß Wandelnden, dieser Reichtum und Scheinrcichtnm,
der in Pferden, Wagen und Toiletten entfaltet wird, diese eintönige Wieder¬
kehr der gleichen Erholung gehören entschieden zu jenen überlieferten Landes-
sitten, über die dem Fremden kein Urteil zusteht. Die tägliche Begrüßung
zahlreicher Bekannten anch nur aus dem Wagen heraus mag für die geselligen
Römer ihre Reize haben, für den Fremden liegt der Hauptreiz im Anschauen
so vieler Gestalten und Gesichter, die nur bei der Korsvfahrt und sonst nirgends
sichtbar werdeu. Mit der Erinnerung an den Monte Pincio und das fröhliche
Getümmel auf ihm verbindet sich die Erinnerung an anmutige Gestalten und
Züge, an wirklich schöne Frauenerscheinungen, die in den mittlern und untern
Volksschichten selbst in Trastevere viel seltener und in den obern Schichten
viel häufiger geworden sind, als wir nach unzähligen Berichten erwarten durften.
Wahrscheinlich hat Neurom diesen Umschwung dem Zuzug aus ganz Italien
zu danken. Auch deutsche Augen gewöhnen sich übrigens nach wenigen Tagen
an alle die Besonderheiten, die zunächst auffallend sind: an die Vorliebe der
Damen sür bunte, helle, gelegentlich schreiende Farben, an die wunderliche
Vorsicht, die bei einer heißen strahlenden Frühlingssonne Pelzwerk und dicke
Mäntel spazieren fährt, an die lautlose Gleichgiltigkeit, mit der gewisse vornehm
dreinschauende Paare neben einander auf demselben Wagenkissen sitzen und
hartnäckig von einander weg nach rechts und links sehen. Was dem Nord¬
länder immer wieder unbegreiflich dünkt, sind die korsofahrenden einzelnen
Herren. Junge Männer, ja Männer in höhern Jahren zu sehen, die peinlich
herausgeputzt, in stundenlanger Arbeit rasirt und frisirt, als lebendige Aus¬
hängeschilder aller Neuheiten der Kravatten-, Hut- und Handschuhläden, ganz
allein in eleganten Wagen sitzen und sich stundenlang zur Schau stellen, sind
ein Anblick, den man ans dem Monte Pincio an jedem Tage nicht ein halbes
Dutzend mal, sondern hundertmal haben kann. Trotz der Achtung, die das
neue Italien einflößt, muß in seiner goldnen Jugend ein unerfreulicher Rest
jener müssigen Eitelkeit zurückgeblieben sein, die vor länger als einem Jahr¬
hundert Giuseppe Parmi dem Gelächter der Welt schonungslos preisgegeben hat.


Römische Frühlingsbilder

die UM die Musikempore gedrängten Schciren jedesmal wie erlöst auf, wahre
Beifallsstürme erbrausten und pflanzten sich bis in die lauschigen fernen Gänge
fort, aus denen man jenseits der großen Terrasse in die borghesischen Gurten
hinabschaut.

Aber, wie gesagt, die Musik spielt bei dem lebhaftem Verkehr auf den
Promenaden des Monte Pincio unter allen Umständen nur eine untergeordnete
Rolle, die Hauptsache bleibt der Zusammenstrom Einheimischer und Fremder,
das Sehen und Gescheuwerdeu bei der Spazierfahrt, die eigentümlichste Form
der Geselligkeit, die sich trotz aller Wandlung der Zeiten, Anschauungen und
Trachten in Italien so ziemlich unverändert erhalten hat. Diese tägliche Aus¬
fahrt aller irgend Höhergestellten und Glückbegünstigten und die immer noch
frische Schaulust der zu Fuß Wandelnden, dieser Reichtum und Scheinrcichtnm,
der in Pferden, Wagen und Toiletten entfaltet wird, diese eintönige Wieder¬
kehr der gleichen Erholung gehören entschieden zu jenen überlieferten Landes-
sitten, über die dem Fremden kein Urteil zusteht. Die tägliche Begrüßung
zahlreicher Bekannten anch nur aus dem Wagen heraus mag für die geselligen
Römer ihre Reize haben, für den Fremden liegt der Hauptreiz im Anschauen
so vieler Gestalten und Gesichter, die nur bei der Korsvfahrt und sonst nirgends
sichtbar werdeu. Mit der Erinnerung an den Monte Pincio und das fröhliche
Getümmel auf ihm verbindet sich die Erinnerung an anmutige Gestalten und
Züge, an wirklich schöne Frauenerscheinungen, die in den mittlern und untern
Volksschichten selbst in Trastevere viel seltener und in den obern Schichten
viel häufiger geworden sind, als wir nach unzähligen Berichten erwarten durften.
Wahrscheinlich hat Neurom diesen Umschwung dem Zuzug aus ganz Italien
zu danken. Auch deutsche Augen gewöhnen sich übrigens nach wenigen Tagen
an alle die Besonderheiten, die zunächst auffallend sind: an die Vorliebe der
Damen sür bunte, helle, gelegentlich schreiende Farben, an die wunderliche
Vorsicht, die bei einer heißen strahlenden Frühlingssonne Pelzwerk und dicke
Mäntel spazieren fährt, an die lautlose Gleichgiltigkeit, mit der gewisse vornehm
dreinschauende Paare neben einander auf demselben Wagenkissen sitzen und
hartnäckig von einander weg nach rechts und links sehen. Was dem Nord¬
länder immer wieder unbegreiflich dünkt, sind die korsofahrenden einzelnen
Herren. Junge Männer, ja Männer in höhern Jahren zu sehen, die peinlich
herausgeputzt, in stundenlanger Arbeit rasirt und frisirt, als lebendige Aus¬
hängeschilder aller Neuheiten der Kravatten-, Hut- und Handschuhläden, ganz
allein in eleganten Wagen sitzen und sich stundenlang zur Schau stellen, sind
ein Anblick, den man ans dem Monte Pincio an jedem Tage nicht ein halbes
Dutzend mal, sondern hundertmal haben kann. Trotz der Achtung, die das
neue Italien einflößt, muß in seiner goldnen Jugend ein unerfreulicher Rest
jener müssigen Eitelkeit zurückgeblieben sein, die vor länger als einem Jahr¬
hundert Giuseppe Parmi dem Gelächter der Welt schonungslos preisgegeben hat.


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[0088] Römische Frühlingsbilder die UM die Musikempore gedrängten Schciren jedesmal wie erlöst auf, wahre Beifallsstürme erbrausten und pflanzten sich bis in die lauschigen fernen Gänge fort, aus denen man jenseits der großen Terrasse in die borghesischen Gurten hinabschaut. Aber, wie gesagt, die Musik spielt bei dem lebhaftem Verkehr auf den Promenaden des Monte Pincio unter allen Umständen nur eine untergeordnete Rolle, die Hauptsache bleibt der Zusammenstrom Einheimischer und Fremder, das Sehen und Gescheuwerdeu bei der Spazierfahrt, die eigentümlichste Form der Geselligkeit, die sich trotz aller Wandlung der Zeiten, Anschauungen und Trachten in Italien so ziemlich unverändert erhalten hat. Diese tägliche Aus¬ fahrt aller irgend Höhergestellten und Glückbegünstigten und die immer noch frische Schaulust der zu Fuß Wandelnden, dieser Reichtum und Scheinrcichtnm, der in Pferden, Wagen und Toiletten entfaltet wird, diese eintönige Wieder¬ kehr der gleichen Erholung gehören entschieden zu jenen überlieferten Landes- sitten, über die dem Fremden kein Urteil zusteht. Die tägliche Begrüßung zahlreicher Bekannten anch nur aus dem Wagen heraus mag für die geselligen Römer ihre Reize haben, für den Fremden liegt der Hauptreiz im Anschauen so vieler Gestalten und Gesichter, die nur bei der Korsvfahrt und sonst nirgends sichtbar werdeu. Mit der Erinnerung an den Monte Pincio und das fröhliche Getümmel auf ihm verbindet sich die Erinnerung an anmutige Gestalten und Züge, an wirklich schöne Frauenerscheinungen, die in den mittlern und untern Volksschichten selbst in Trastevere viel seltener und in den obern Schichten viel häufiger geworden sind, als wir nach unzähligen Berichten erwarten durften. Wahrscheinlich hat Neurom diesen Umschwung dem Zuzug aus ganz Italien zu danken. Auch deutsche Augen gewöhnen sich übrigens nach wenigen Tagen an alle die Besonderheiten, die zunächst auffallend sind: an die Vorliebe der Damen sür bunte, helle, gelegentlich schreiende Farben, an die wunderliche Vorsicht, die bei einer heißen strahlenden Frühlingssonne Pelzwerk und dicke Mäntel spazieren fährt, an die lautlose Gleichgiltigkeit, mit der gewisse vornehm dreinschauende Paare neben einander auf demselben Wagenkissen sitzen und hartnäckig von einander weg nach rechts und links sehen. Was dem Nord¬ länder immer wieder unbegreiflich dünkt, sind die korsofahrenden einzelnen Herren. Junge Männer, ja Männer in höhern Jahren zu sehen, die peinlich herausgeputzt, in stundenlanger Arbeit rasirt und frisirt, als lebendige Aus¬ hängeschilder aller Neuheiten der Kravatten-, Hut- und Handschuhläden, ganz allein in eleganten Wagen sitzen und sich stundenlang zur Schau stellen, sind ein Anblick, den man ans dem Monte Pincio an jedem Tage nicht ein halbes Dutzend mal, sondern hundertmal haben kann. Trotz der Achtung, die das neue Italien einflößt, muß in seiner goldnen Jugend ein unerfreulicher Rest jener müssigen Eitelkeit zurückgeblieben sein, die vor länger als einem Jahr¬ hundert Giuseppe Parmi dem Gelächter der Welt schonungslos preisgegeben hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/88>, abgerufen am 23.05.2024.