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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

politischen Traktat als gewichtige Gegnerschaft (nach Bayle) dargestellt wird,
während Buhle im weitern zeigt, daß dieser Bredenburg sich (zu seinem eignen
Kummer) schließlich im Prinzip in das geometrische Beweisnetz des Spinozismus
perstrickte und also insofern den Angriff des Jsnak Orobio auch Perdiente (vergl.
Leibniz, Theodicee § 373). Doch gehört derartiges auch bereits in die fach-
wisseuschaftliche Auseinandersetzung. Thatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein
in der stattlichen Bändereihe aufzustöbern, die die Einzeluntersuchung von sechs
Gelehrten ehrenboll darstellen könnte. Diese Fülle philosophischer Vertiefung macht
dieses historische Werk zu einer für die spätern Zeiten denkwürdigen Vertretung der
Spekulation in einer ihr teils abgekehrten, teils wenig förderlichen Zeit und bildet
so mit der kongenialen Geschichte der griechischen Philosophie Zelters den leuchtenden
Beweis, daß der Philosophische Trieb sich nicht unterdrücken läßt, sondern stets in
irgendwelcher Form die Achtung und Bewunderung der Zeitgenossen zu erzwingen
Permag.


Der Modedichter. Eine litterarische Humoreske von Julius Lieder. Elberfeld,
Baedeker, 1890

Am liebsten hätten wir lange Auszüge aus diesem heiter-ernsten Büchlein
gebracht, so gut hat es uns gefallen; aber wir "vollen ihm sein Publikum nicht
verkürzen und begnügen uns daher mit einem kurzen Hinweis. Lieder ist offenbar ein
sehr eingeweihter Kenner der Zustände in unsrer Litteratur und Journalistik. Er
hat eine Übersicht über alle Formen des litterarischen Strebertums und kennt alle
faule" Punkte. In der Lebeusbeschreibung des Modedichters Victor Practicus
sammelt er alle Sünden der Gegenwart in einen Brennpunkt und schwingt die
Geißel der Satire und der Parodie nach allen Richtungen. Niemand wird ver¬
schont: die Gelehrten der Litteraturgeschichte, die zur Waschzettelfvrschuug herab¬
gestiegen sind, die Butzenscheibenlyriker, die Fabrikanten historischer Romane, die
Naturalisten, die Tnntiemeujäger, die Klikeukritiker, die Handel mit Rezensionen
treiben, die Redakteure der poetischen Zeitschriften, die Gedichte nur von Abonnenten
annehmen, auf der ersten Seite aber zur Reklame einige Verse von berühmten
Namen drucken, die sich einen witzelnden "Briefkasten der Redaktion" schreiben an
erfundene Korrespondenten u. s. w. -- alle bekommen sie in diesen Knittelversen
nach dem Muster Wilhelm Bnschs ihren Teil. Wer eine solche Kenntnis der
Schaden und Schwächen unsrer Zustände aufweist, besitzt jedenfalls ein reineres
Ideal vom Beruf der Litteratur als die, die er perhöhnt, und es blickt auch hinter
der parodislischen Maske dnrch, so z. B. wenn er von der Geringschätzung der
Lyrik spricht, die in unsrer Zeit verbreitet ist. Einzelne Bemerkungen dürfen
sogar als neu bezeichnet werden, z. B. die Satire auf die Poeten, die an den
schönsten Orten Europas Stimmung zur Arbeit suche" (Ossip Schubin). Das
Büchlein perdient die Empfehlung, die ihm Gustav Freytag mit auf den Weg ge¬
geben hat.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

politischen Traktat als gewichtige Gegnerschaft (nach Bayle) dargestellt wird,
während Buhle im weitern zeigt, daß dieser Bredenburg sich (zu seinem eignen
Kummer) schließlich im Prinzip in das geometrische Beweisnetz des Spinozismus
perstrickte und also insofern den Angriff des Jsnak Orobio auch Perdiente (vergl.
Leibniz, Theodicee § 373). Doch gehört derartiges auch bereits in die fach-
wisseuschaftliche Auseinandersetzung. Thatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein
in der stattlichen Bändereihe aufzustöbern, die die Einzeluntersuchung von sechs
Gelehrten ehrenboll darstellen könnte. Diese Fülle philosophischer Vertiefung macht
dieses historische Werk zu einer für die spätern Zeiten denkwürdigen Vertretung der
Spekulation in einer ihr teils abgekehrten, teils wenig förderlichen Zeit und bildet
so mit der kongenialen Geschichte der griechischen Philosophie Zelters den leuchtenden
Beweis, daß der Philosophische Trieb sich nicht unterdrücken läßt, sondern stets in
irgendwelcher Form die Achtung und Bewunderung der Zeitgenossen zu erzwingen
Permag.


Der Modedichter. Eine litterarische Humoreske von Julius Lieder. Elberfeld,
Baedeker, 1890

Am liebsten hätten wir lange Auszüge aus diesem heiter-ernsten Büchlein
gebracht, so gut hat es uns gefallen; aber wir »vollen ihm sein Publikum nicht
verkürzen und begnügen uns daher mit einem kurzen Hinweis. Lieder ist offenbar ein
sehr eingeweihter Kenner der Zustände in unsrer Litteratur und Journalistik. Er
hat eine Übersicht über alle Formen des litterarischen Strebertums und kennt alle
faule» Punkte. In der Lebeusbeschreibung des Modedichters Victor Practicus
sammelt er alle Sünden der Gegenwart in einen Brennpunkt und schwingt die
Geißel der Satire und der Parodie nach allen Richtungen. Niemand wird ver¬
schont: die Gelehrten der Litteraturgeschichte, die zur Waschzettelfvrschuug herab¬
gestiegen sind, die Butzenscheibenlyriker, die Fabrikanten historischer Romane, die
Naturalisten, die Tnntiemeujäger, die Klikeukritiker, die Handel mit Rezensionen
treiben, die Redakteure der poetischen Zeitschriften, die Gedichte nur von Abonnenten
annehmen, auf der ersten Seite aber zur Reklame einige Verse von berühmten
Namen drucken, die sich einen witzelnden „Briefkasten der Redaktion" schreiben an
erfundene Korrespondenten u. s. w. — alle bekommen sie in diesen Knittelversen
nach dem Muster Wilhelm Bnschs ihren Teil. Wer eine solche Kenntnis der
Schaden und Schwächen unsrer Zustände aufweist, besitzt jedenfalls ein reineres
Ideal vom Beruf der Litteratur als die, die er perhöhnt, und es blickt auch hinter
der parodislischen Maske dnrch, so z. B. wenn er von der Geringschätzung der
Lyrik spricht, die in unsrer Zeit verbreitet ist. Einzelne Bemerkungen dürfen
sogar als neu bezeichnet werden, z. B. die Satire auf die Poeten, die an den
schönsten Orten Europas Stimmung zur Arbeit suche» (Ossip Schubin). Das
Büchlein perdient die Empfehlung, die ihm Gustav Freytag mit auf den Weg ge¬
geben hat.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0344] Litteratur politischen Traktat als gewichtige Gegnerschaft (nach Bayle) dargestellt wird, während Buhle im weitern zeigt, daß dieser Bredenburg sich (zu seinem eignen Kummer) schließlich im Prinzip in das geometrische Beweisnetz des Spinozismus perstrickte und also insofern den Angriff des Jsnak Orobio auch Perdiente (vergl. Leibniz, Theodicee § 373). Doch gehört derartiges auch bereits in die fach- wisseuschaftliche Auseinandersetzung. Thatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein in der stattlichen Bändereihe aufzustöbern, die die Einzeluntersuchung von sechs Gelehrten ehrenboll darstellen könnte. Diese Fülle philosophischer Vertiefung macht dieses historische Werk zu einer für die spätern Zeiten denkwürdigen Vertretung der Spekulation in einer ihr teils abgekehrten, teils wenig förderlichen Zeit und bildet so mit der kongenialen Geschichte der griechischen Philosophie Zelters den leuchtenden Beweis, daß der Philosophische Trieb sich nicht unterdrücken läßt, sondern stets in irgendwelcher Form die Achtung und Bewunderung der Zeitgenossen zu erzwingen Permag. Der Modedichter. Eine litterarische Humoreske von Julius Lieder. Elberfeld, Baedeker, 1890 Am liebsten hätten wir lange Auszüge aus diesem heiter-ernsten Büchlein gebracht, so gut hat es uns gefallen; aber wir »vollen ihm sein Publikum nicht verkürzen und begnügen uns daher mit einem kurzen Hinweis. Lieder ist offenbar ein sehr eingeweihter Kenner der Zustände in unsrer Litteratur und Journalistik. Er hat eine Übersicht über alle Formen des litterarischen Strebertums und kennt alle faule» Punkte. In der Lebeusbeschreibung des Modedichters Victor Practicus sammelt er alle Sünden der Gegenwart in einen Brennpunkt und schwingt die Geißel der Satire und der Parodie nach allen Richtungen. Niemand wird ver¬ schont: die Gelehrten der Litteraturgeschichte, die zur Waschzettelfvrschuug herab¬ gestiegen sind, die Butzenscheibenlyriker, die Fabrikanten historischer Romane, die Naturalisten, die Tnntiemeujäger, die Klikeukritiker, die Handel mit Rezensionen treiben, die Redakteure der poetischen Zeitschriften, die Gedichte nur von Abonnenten annehmen, auf der ersten Seite aber zur Reklame einige Verse von berühmten Namen drucken, die sich einen witzelnden „Briefkasten der Redaktion" schreiben an erfundene Korrespondenten u. s. w. — alle bekommen sie in diesen Knittelversen nach dem Muster Wilhelm Bnschs ihren Teil. Wer eine solche Kenntnis der Schaden und Schwächen unsrer Zustände aufweist, besitzt jedenfalls ein reineres Ideal vom Beruf der Litteratur als die, die er perhöhnt, und es blickt auch hinter der parodislischen Maske dnrch, so z. B. wenn er von der Geringschätzung der Lyrik spricht, die in unsrer Zeit verbreitet ist. Einzelne Bemerkungen dürfen sogar als neu bezeichnet werden, z. B. die Satire auf die Poeten, die an den schönsten Orten Europas Stimmung zur Arbeit suche» (Ossip Schubin). Das Büchlein perdient die Empfehlung, die ihm Gustav Freytag mit auf den Weg ge¬ geben hat. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/344>, abgerufen am 25.05.2024.