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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Ranke und Gentz

napoleonischer Zwingherrschaft bedeutet hatte. Die einen waren seines Ruhmes
voll, die andern schmähten ihn, aber er erregte das Interesse eines jeden, der
den Gang der politischen Ereignisse verfolgte. Man durfte annehmen, daß
auch der junge Verfasser der "Geschichten romanischer und germanischer Völker"
dieser Erscheinung nicht mit Gleichgiltigkeit gegenübergestanden habe. Hierin
bestärkte ein Brief von Nadel Levin an Ranke, der schon seit 1834 bekannt ist*);
sie schrieb ihn, gleich nachdem sie die Nachricht von Gentz Tode erhalten hatte,
am 15. Juni 1832. Es ist ein lauger Brief, und es ist nur von Gentz darin
die Rede, schon der Eingang verrät, daß der Hingeschiedene Freund oft Gegen¬
stand ihrer Gespräche gewesen ist: "Ich kann, ich darf diesen Tag nicht vorbei¬
lassen, ohne Ihnen zu schreiben."

Aus dem vor wenigen Monaten veröffentlichten letzten Bande von Rankes
Werken**) erfahren wir nun Näheres über das Verhältnis der beiden Männer.
Der Band enthält zum Teil Briefe Rankes, wahrend seines ersten Wiener
Aufenthaltes in die Heimat geschrieben, zum Teil selbstbiographische Aufzeich¬
nungen, die ans den siebziger und achtziger Jahren stammen, wo der greise
Historiker öfters zu einem Rückblick auf sein langes reiches Leben angeregt
wurde.

Ranke kam um 24. September 1827 zum erstenmale nach Wien. Er war
dort nicht unbekannt. Die Wiener Jahrbücher der Litteratur, an denen
Hormayr der Geschichtschreiber, Hammer-Pnrgstall, der Orientalist, Kopitar, der
Slawist, teilnahmen, sür die Gentz selber in frühern Jahren einen höchst be¬
deutenden Beitrag geliefert hatte,***) die unter der unmittelbaren Aufsicht der
Staatskanzlei standen -- diese hatten im zweiten Hefte des Jahrganges 1826
die "Geschichten romanischer und germanischer Völker," sowie deren Anhang
"Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber" in einer ausführlichen Anzeige -- sie
zählt vierzig große Oktavseiten -- rühmend besprochen. "Werke, wie das vor¬
liegende -- heißt es da --, wie Menzels Geschichte der Deutschen, wie
Raumers Hohenstaufen halten den Glanben an deutsche Kraft und deutschen
Fleiß mächtig aufrecht. In der Frag-, Kuudschafts- und Fabrikslitteratnr
unsrer Tage muß diese ausgezeichnete Erscheinung jeden Redlichen mit Freude
und mit dankbarer Anerkennung erfüllen." Schon in der Vorrede findet der
Rezensent "schöpferische Eigentümlichkeit," er nennt Ranke den "edeln Ver¬
fasser," giebt ihm den Rat, Krittlern, die an der Neuheit der Behandlung und
an der kühnen Schreibart Anstoß nehmen sollten, eine Antwort zu geben, wie
Tillh dem windigen Franzosen Gramont, der den abenteuerlich gekleideten Feld-





") Gedruckt in Varnhagens "Rahel." Ein Buch des Andenkens. Dritter Band.
Zur citiren Lebensgeschichte. Von Leopold von Ranke. Herausgegeben
von Alfred Dove. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890.
Über Preßfreiheit. Jahrgang 1818.
Ranke und Gentz

napoleonischer Zwingherrschaft bedeutet hatte. Die einen waren seines Ruhmes
voll, die andern schmähten ihn, aber er erregte das Interesse eines jeden, der
den Gang der politischen Ereignisse verfolgte. Man durfte annehmen, daß
auch der junge Verfasser der „Geschichten romanischer und germanischer Völker"
dieser Erscheinung nicht mit Gleichgiltigkeit gegenübergestanden habe. Hierin
bestärkte ein Brief von Nadel Levin an Ranke, der schon seit 1834 bekannt ist*);
sie schrieb ihn, gleich nachdem sie die Nachricht von Gentz Tode erhalten hatte,
am 15. Juni 1832. Es ist ein lauger Brief, und es ist nur von Gentz darin
die Rede, schon der Eingang verrät, daß der Hingeschiedene Freund oft Gegen¬
stand ihrer Gespräche gewesen ist: „Ich kann, ich darf diesen Tag nicht vorbei¬
lassen, ohne Ihnen zu schreiben."

Aus dem vor wenigen Monaten veröffentlichten letzten Bande von Rankes
Werken**) erfahren wir nun Näheres über das Verhältnis der beiden Männer.
Der Band enthält zum Teil Briefe Rankes, wahrend seines ersten Wiener
Aufenthaltes in die Heimat geschrieben, zum Teil selbstbiographische Aufzeich¬
nungen, die ans den siebziger und achtziger Jahren stammen, wo der greise
Historiker öfters zu einem Rückblick auf sein langes reiches Leben angeregt
wurde.

Ranke kam um 24. September 1827 zum erstenmale nach Wien. Er war
dort nicht unbekannt. Die Wiener Jahrbücher der Litteratur, an denen
Hormayr der Geschichtschreiber, Hammer-Pnrgstall, der Orientalist, Kopitar, der
Slawist, teilnahmen, sür die Gentz selber in frühern Jahren einen höchst be¬
deutenden Beitrag geliefert hatte,***) die unter der unmittelbaren Aufsicht der
Staatskanzlei standen — diese hatten im zweiten Hefte des Jahrganges 1826
die „Geschichten romanischer und germanischer Völker," sowie deren Anhang
„Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber" in einer ausführlichen Anzeige — sie
zählt vierzig große Oktavseiten — rühmend besprochen. „Werke, wie das vor¬
liegende — heißt es da —, wie Menzels Geschichte der Deutschen, wie
Raumers Hohenstaufen halten den Glanben an deutsche Kraft und deutschen
Fleiß mächtig aufrecht. In der Frag-, Kuudschafts- und Fabrikslitteratnr
unsrer Tage muß diese ausgezeichnete Erscheinung jeden Redlichen mit Freude
und mit dankbarer Anerkennung erfüllen." Schon in der Vorrede findet der
Rezensent „schöpferische Eigentümlichkeit," er nennt Ranke den „edeln Ver¬
fasser," giebt ihm den Rat, Krittlern, die an der Neuheit der Behandlung und
an der kühnen Schreibart Anstoß nehmen sollten, eine Antwort zu geben, wie
Tillh dem windigen Franzosen Gramont, der den abenteuerlich gekleideten Feld-





») Gedruckt in Varnhagens „Rahel." Ein Buch des Andenkens. Dritter Band.
Zur citiren Lebensgeschichte. Von Leopold von Ranke. Herausgegeben
von Alfred Dove. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890.
Über Preßfreiheit. Jahrgang 1818.
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[0418] Ranke und Gentz napoleonischer Zwingherrschaft bedeutet hatte. Die einen waren seines Ruhmes voll, die andern schmähten ihn, aber er erregte das Interesse eines jeden, der den Gang der politischen Ereignisse verfolgte. Man durfte annehmen, daß auch der junge Verfasser der „Geschichten romanischer und germanischer Völker" dieser Erscheinung nicht mit Gleichgiltigkeit gegenübergestanden habe. Hierin bestärkte ein Brief von Nadel Levin an Ranke, der schon seit 1834 bekannt ist*); sie schrieb ihn, gleich nachdem sie die Nachricht von Gentz Tode erhalten hatte, am 15. Juni 1832. Es ist ein lauger Brief, und es ist nur von Gentz darin die Rede, schon der Eingang verrät, daß der Hingeschiedene Freund oft Gegen¬ stand ihrer Gespräche gewesen ist: „Ich kann, ich darf diesen Tag nicht vorbei¬ lassen, ohne Ihnen zu schreiben." Aus dem vor wenigen Monaten veröffentlichten letzten Bande von Rankes Werken**) erfahren wir nun Näheres über das Verhältnis der beiden Männer. Der Band enthält zum Teil Briefe Rankes, wahrend seines ersten Wiener Aufenthaltes in die Heimat geschrieben, zum Teil selbstbiographische Aufzeich¬ nungen, die ans den siebziger und achtziger Jahren stammen, wo der greise Historiker öfters zu einem Rückblick auf sein langes reiches Leben angeregt wurde. Ranke kam um 24. September 1827 zum erstenmale nach Wien. Er war dort nicht unbekannt. Die Wiener Jahrbücher der Litteratur, an denen Hormayr der Geschichtschreiber, Hammer-Pnrgstall, der Orientalist, Kopitar, der Slawist, teilnahmen, sür die Gentz selber in frühern Jahren einen höchst be¬ deutenden Beitrag geliefert hatte,***) die unter der unmittelbaren Aufsicht der Staatskanzlei standen — diese hatten im zweiten Hefte des Jahrganges 1826 die „Geschichten romanischer und germanischer Völker," sowie deren Anhang „Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber" in einer ausführlichen Anzeige — sie zählt vierzig große Oktavseiten — rühmend besprochen. „Werke, wie das vor¬ liegende — heißt es da —, wie Menzels Geschichte der Deutschen, wie Raumers Hohenstaufen halten den Glanben an deutsche Kraft und deutschen Fleiß mächtig aufrecht. In der Frag-, Kuudschafts- und Fabrikslitteratnr unsrer Tage muß diese ausgezeichnete Erscheinung jeden Redlichen mit Freude und mit dankbarer Anerkennung erfüllen." Schon in der Vorrede findet der Rezensent „schöpferische Eigentümlichkeit," er nennt Ranke den „edeln Ver¬ fasser," giebt ihm den Rat, Krittlern, die an der Neuheit der Behandlung und an der kühnen Schreibart Anstoß nehmen sollten, eine Antwort zu geben, wie Tillh dem windigen Franzosen Gramont, der den abenteuerlich gekleideten Feld- ») Gedruckt in Varnhagens „Rahel." Ein Buch des Andenkens. Dritter Band. Zur citiren Lebensgeschichte. Von Leopold von Ranke. Herausgegeben von Alfred Dove. Leipzig, Duncker und Humblot, 1890. Über Preßfreiheit. Jahrgang 1818.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/418>, abgerufen am 19.05.2024.