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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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GeschichKphilosc>phische Gedanken

Aber machen wir damit nicht den Menschen muss neue zum Mittelpunkte
der Schöpfung, nachdem dieser "cmthrvpo- und geozentrische" Standpunkt schon
vor beinahe vierhundert Jahren dem "helivzentrischen" hat weichen müssen?
Wenn das ptolemäische Weltgebäude eine kindliche Vorstellung N>ar, so ist die
Vorstellung, daß mit der Annahme des kvpernikanischeu Systems die Stellung
des Menschen in der Schöpfung verändert worden sei, kindisch zu nennen,
doppelt und zehnfach kindisch, nachdem Kant die Idealität von Zeit und Raum
gelehrt hat-


Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen!

Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch giebt?
Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume,

Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.


Die Ansicht, daß dein örtlichen Mittelpunkte unsers Planetensystems eine höhere
geistige Bedeutung zukomme, als dem Menschengeschlecht, ist ungefähr ebenso
gescheit, wie wenn sich jemand einbildete, die Leitung des deutschen Reiches
könne nur von seinem geometrischen Mittelpunkte ausgehen. Nehmen wir an,
daß die Lebensbedingungen des Menschengeschlechtes ebeu mir auf unserm Pla¬
neten herzustellen gewesen seien, so hat es durchaus nichts Widersinniges, in
der Bereitung einer passenden Wohnstätte für unser Geschlecht den Zweck des
gauzen Planetensystems zu sehen. Für uus Menschen ist die Sonne thatsächlich
"das große Licht, zu beherrschen den Tag," und Mond und Sterne sind "kleinere
Lichter, zu beherrschen die Nacht." Wenn wir Heutigen außerdem wissen, daß die
Sonne die physikalische Bedingung alles Lebens auf Erden und die einzige
Wärmequelle ist, so wird dadurch das Menschengeschlecht, dem diese Sonnen¬
thätigkeit zu gute kommt und ohne das sie gar keine Bedeutung hätte, nur noch
mehr erhöht. Wollte jemand die ungeheure Masse der Sonne gegen die christ¬
liche Auffassung anführen, so wäre das doch mehr als lächerlich. Ebenso gut
könnte man den winzigen Enden des Sehnerven in der Netzhaut sagen: Bildet
euch doch nicht ein, daß dieses ungeheure Weltschauspiel euch zu Gefallen auf¬
geführt wird! Und dem Gehörnerven: Bilde dir doch nicht ein, daß diese
großen Bässe und Posaunen und Pauken und Kirchenglocken für dich in Be¬
wegung gesetzt werden! Und den Schauspielern auf der Bühne: Bildet euch
doch nicht ein, daß dieser gewaltige Bühnenraum für euch Zwerge da sei!
Und dem elektrischen Funken auf dem Leuchtturm: Bilde dir doch nicht ein,
daß der riesenhafte Turm, auf dem dn blitzest, für dich gebaut worden sei!
Nicht weniger lächerlich wäre es, wenn man glaubte, das Höhere dürfe nicht
auf dem umkreisenden, sondern müsse ans dem umkreisten Körper gesucht
werden, um so lächerlicher, da ja auch die Sonne nicht stillsteht, sonder" sich
mitsamt ihren Planeten und Trabanten selbst wieder um einen Zentralkörper
höherer Ordnung (das "höher" bloß geometrisch verstanden) bewegt. Wir
wissen zu wenig vom Weltall, um entscheiden zu können, ob von einem Mittel-


GeschichKphilosc>phische Gedanken

Aber machen wir damit nicht den Menschen muss neue zum Mittelpunkte
der Schöpfung, nachdem dieser „cmthrvpo- und geozentrische" Standpunkt schon
vor beinahe vierhundert Jahren dem „helivzentrischen" hat weichen müssen?
Wenn das ptolemäische Weltgebäude eine kindliche Vorstellung N>ar, so ist die
Vorstellung, daß mit der Annahme des kvpernikanischeu Systems die Stellung
des Menschen in der Schöpfung verändert worden sei, kindisch zu nennen,
doppelt und zehnfach kindisch, nachdem Kant die Idealität von Zeit und Raum
gelehrt hat-


Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen!

Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch giebt?
Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume,

Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.


Die Ansicht, daß dein örtlichen Mittelpunkte unsers Planetensystems eine höhere
geistige Bedeutung zukomme, als dem Menschengeschlecht, ist ungefähr ebenso
gescheit, wie wenn sich jemand einbildete, die Leitung des deutschen Reiches
könne nur von seinem geometrischen Mittelpunkte ausgehen. Nehmen wir an,
daß die Lebensbedingungen des Menschengeschlechtes ebeu mir auf unserm Pla¬
neten herzustellen gewesen seien, so hat es durchaus nichts Widersinniges, in
der Bereitung einer passenden Wohnstätte für unser Geschlecht den Zweck des
gauzen Planetensystems zu sehen. Für uus Menschen ist die Sonne thatsächlich
„das große Licht, zu beherrschen den Tag," und Mond und Sterne sind „kleinere
Lichter, zu beherrschen die Nacht." Wenn wir Heutigen außerdem wissen, daß die
Sonne die physikalische Bedingung alles Lebens auf Erden und die einzige
Wärmequelle ist, so wird dadurch das Menschengeschlecht, dem diese Sonnen¬
thätigkeit zu gute kommt und ohne das sie gar keine Bedeutung hätte, nur noch
mehr erhöht. Wollte jemand die ungeheure Masse der Sonne gegen die christ¬
liche Auffassung anführen, so wäre das doch mehr als lächerlich. Ebenso gut
könnte man den winzigen Enden des Sehnerven in der Netzhaut sagen: Bildet
euch doch nicht ein, daß dieses ungeheure Weltschauspiel euch zu Gefallen auf¬
geführt wird! Und dem Gehörnerven: Bilde dir doch nicht ein, daß diese
großen Bässe und Posaunen und Pauken und Kirchenglocken für dich in Be¬
wegung gesetzt werden! Und den Schauspielern auf der Bühne: Bildet euch
doch nicht ein, daß dieser gewaltige Bühnenraum für euch Zwerge da sei!
Und dem elektrischen Funken auf dem Leuchtturm: Bilde dir doch nicht ein,
daß der riesenhafte Turm, auf dem dn blitzest, für dich gebaut worden sei!
Nicht weniger lächerlich wäre es, wenn man glaubte, das Höhere dürfe nicht
auf dem umkreisenden, sondern müsse ans dem umkreisten Körper gesucht
werden, um so lächerlicher, da ja auch die Sonne nicht stillsteht, sonder» sich
mitsamt ihren Planeten und Trabanten selbst wieder um einen Zentralkörper
höherer Ordnung (das „höher" bloß geometrisch verstanden) bewegt. Wir
wissen zu wenig vom Weltall, um entscheiden zu können, ob von einem Mittel-


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[0458] GeschichKphilosc>phische Gedanken Aber machen wir damit nicht den Menschen muss neue zum Mittelpunkte der Schöpfung, nachdem dieser „cmthrvpo- und geozentrische" Standpunkt schon vor beinahe vierhundert Jahren dem „helivzentrischen" hat weichen müssen? Wenn das ptolemäische Weltgebäude eine kindliche Vorstellung N>ar, so ist die Vorstellung, daß mit der Annahme des kvpernikanischeu Systems die Stellung des Menschen in der Schöpfung verändert worden sei, kindisch zu nennen, doppelt und zehnfach kindisch, nachdem Kant die Idealität von Zeit und Raum gelehrt hat- Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und Sonnen! Ist die Natur nur groß, weil sie zu zählen euch giebt? Euer Gegenstand ist der erhabenste freilich im Raume, Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht. Die Ansicht, daß dein örtlichen Mittelpunkte unsers Planetensystems eine höhere geistige Bedeutung zukomme, als dem Menschengeschlecht, ist ungefähr ebenso gescheit, wie wenn sich jemand einbildete, die Leitung des deutschen Reiches könne nur von seinem geometrischen Mittelpunkte ausgehen. Nehmen wir an, daß die Lebensbedingungen des Menschengeschlechtes ebeu mir auf unserm Pla¬ neten herzustellen gewesen seien, so hat es durchaus nichts Widersinniges, in der Bereitung einer passenden Wohnstätte für unser Geschlecht den Zweck des gauzen Planetensystems zu sehen. Für uus Menschen ist die Sonne thatsächlich „das große Licht, zu beherrschen den Tag," und Mond und Sterne sind „kleinere Lichter, zu beherrschen die Nacht." Wenn wir Heutigen außerdem wissen, daß die Sonne die physikalische Bedingung alles Lebens auf Erden und die einzige Wärmequelle ist, so wird dadurch das Menschengeschlecht, dem diese Sonnen¬ thätigkeit zu gute kommt und ohne das sie gar keine Bedeutung hätte, nur noch mehr erhöht. Wollte jemand die ungeheure Masse der Sonne gegen die christ¬ liche Auffassung anführen, so wäre das doch mehr als lächerlich. Ebenso gut könnte man den winzigen Enden des Sehnerven in der Netzhaut sagen: Bildet euch doch nicht ein, daß dieses ungeheure Weltschauspiel euch zu Gefallen auf¬ geführt wird! Und dem Gehörnerven: Bilde dir doch nicht ein, daß diese großen Bässe und Posaunen und Pauken und Kirchenglocken für dich in Be¬ wegung gesetzt werden! Und den Schauspielern auf der Bühne: Bildet euch doch nicht ein, daß dieser gewaltige Bühnenraum für euch Zwerge da sei! Und dem elektrischen Funken auf dem Leuchtturm: Bilde dir doch nicht ein, daß der riesenhafte Turm, auf dem dn blitzest, für dich gebaut worden sei! Nicht weniger lächerlich wäre es, wenn man glaubte, das Höhere dürfe nicht auf dem umkreisenden, sondern müsse ans dem umkreisten Körper gesucht werden, um so lächerlicher, da ja auch die Sonne nicht stillsteht, sonder» sich mitsamt ihren Planeten und Trabanten selbst wieder um einen Zentralkörper höherer Ordnung (das „höher" bloß geometrisch verstanden) bewegt. Wir wissen zu wenig vom Weltall, um entscheiden zu können, ob von einem Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/458>, abgerufen am 17.06.2024.