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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Spannung, aber er Pflegt mehr Verderben anzurichten als irgend ein andrer,
wie die Welt init Schaudern an den Jakobinern gesehen hat, die den Staat
in ein Ungeheuer verwandelten, das seine eignen Kinder verschlang, und die
unter dem Namen der Freiheit die härteste Knechtschaft einführten, von der
die Weltgeschichte weiß.

Man stößt nun zwar hie und da auf die Ansicht, der Staat würde, als ein
großartiger und kunstvoller Bau, auch dann noch einen hohen Wert haben,
wenn er keinem einzigen seiner Angehörigen zum Segen gereichte. Aber zuge¬
geben, daß in dieser Großartigkeit und Künstlichkeit etwas Wertvolles steckte, so
könnte dieses doch nur durch eine wahrnehmende und wertschätzende Persönlichkeit
daraus gewonnen werden. Es giebt nichts an sich Wertvolles in der Welt,
wenn damit gemeint sein soll, daß niemand vorhanden zu sein brauche, für
den es einen Wert habe. Wenn der Christ glaubt, daß die Menschenseele an sich
einen unendlichen Wert habe, so ist dabei die selbstverständliche Voraussetzung,
daß wenigstens einer, nämlich Gott, ihr diesen Wert beilege, und daß er zu
irgend einer Zeit einmal, sei es auch erst in der Hölle, ihr selbst zum Be¬
wußtsein komme. Verdeutlichen wir uns die Sache noch durch einen Blick
auf den Bienenstaat. Er ist ohne Zweifel etwas höchst Wertvolles. Die
wunderbare Organisation dieser kleinen Geschöpfe, ihre Lebensweise, die geord¬
nete und unermüdliche Thätigkeit der Arbeitsbienen, die Regelmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit ihres Balles, die periodische Erneuerung und Verjüngung jedes
Volkes bieten der wissenschaftlichen Untersuchung und sinnigen Betrachtung eine
Fülle des interessanteste,, Stoffes dar. Die Reinlichkeit und Appetitlichkeit
der Tierchen, eine unter den Insekten so seltene Eigenschaft, ihre Ernährung durch
Blüteuuektar, das reine, weiße, lieblich duftende Wachs und der edle süße Saft, ihre
zugleich auch praktisch wertvollen Erzeugnisse sind voll hohen poetischen Reizes.
Die dichterische Phantasie hat ihn vielfach verwertet, und in einem der erhabensten
Hhmneu der älteren Kirche (er wird bei der Weihe der Osterkerze gesungen)
wird das Werk der ,,Mutter Biene" in die innigste Beziehung zu den höchsten
Glanbensgeheimnisfen gebracht. Aber dieser ganze reiche und schöne Inhalt
lebt nicht im Bienenstock, sondern in der Menschenseele. Nehmen wir an, es
gäbe keine beobachtenden Menschen, so würde die Bienenzelle nicht mehr be¬
deuten als ein Erdloch, das dnrch irgend einen Zufall fünfseitig geraten wäre,
und daß die Biene anders lebt als ein Aaskäfer, wäre vollkommen gleich-
giltig. Die Biene selbst empfindet nichts andres als ein solcher Käfer. Sie
hat das dumpfe Gefühl der Befriedigung, so lange sie ihren Trieben nach leben
kann, und empfindet Schmerz, sobald sie in der Äußerung ihrer Triebe ge¬
hemmt oder verwundet wird. Gerade dasselbe empfindet der Aaskäfer eben¬
falls. Die Biene stellt weder Betrachtungen über ihr eignes Gemeinwesen an,
noch vergleicht sie ihren Zustand mit dem andrer Insekten. Die Arbeitsbiene
hat keine Zeit dazu, die Drohne ist zu dumm dazu, und die Königin kommt,


Spannung, aber er Pflegt mehr Verderben anzurichten als irgend ein andrer,
wie die Welt init Schaudern an den Jakobinern gesehen hat, die den Staat
in ein Ungeheuer verwandelten, das seine eignen Kinder verschlang, und die
unter dem Namen der Freiheit die härteste Knechtschaft einführten, von der
die Weltgeschichte weiß.

Man stößt nun zwar hie und da auf die Ansicht, der Staat würde, als ein
großartiger und kunstvoller Bau, auch dann noch einen hohen Wert haben,
wenn er keinem einzigen seiner Angehörigen zum Segen gereichte. Aber zuge¬
geben, daß in dieser Großartigkeit und Künstlichkeit etwas Wertvolles steckte, so
könnte dieses doch nur durch eine wahrnehmende und wertschätzende Persönlichkeit
daraus gewonnen werden. Es giebt nichts an sich Wertvolles in der Welt,
wenn damit gemeint sein soll, daß niemand vorhanden zu sein brauche, für
den es einen Wert habe. Wenn der Christ glaubt, daß die Menschenseele an sich
einen unendlichen Wert habe, so ist dabei die selbstverständliche Voraussetzung,
daß wenigstens einer, nämlich Gott, ihr diesen Wert beilege, und daß er zu
irgend einer Zeit einmal, sei es auch erst in der Hölle, ihr selbst zum Be¬
wußtsein komme. Verdeutlichen wir uns die Sache noch durch einen Blick
auf den Bienenstaat. Er ist ohne Zweifel etwas höchst Wertvolles. Die
wunderbare Organisation dieser kleinen Geschöpfe, ihre Lebensweise, die geord¬
nete und unermüdliche Thätigkeit der Arbeitsbienen, die Regelmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit ihres Balles, die periodische Erneuerung und Verjüngung jedes
Volkes bieten der wissenschaftlichen Untersuchung und sinnigen Betrachtung eine
Fülle des interessanteste,, Stoffes dar. Die Reinlichkeit und Appetitlichkeit
der Tierchen, eine unter den Insekten so seltene Eigenschaft, ihre Ernährung durch
Blüteuuektar, das reine, weiße, lieblich duftende Wachs und der edle süße Saft, ihre
zugleich auch praktisch wertvollen Erzeugnisse sind voll hohen poetischen Reizes.
Die dichterische Phantasie hat ihn vielfach verwertet, und in einem der erhabensten
Hhmneu der älteren Kirche (er wird bei der Weihe der Osterkerze gesungen)
wird das Werk der ,,Mutter Biene" in die innigste Beziehung zu den höchsten
Glanbensgeheimnisfen gebracht. Aber dieser ganze reiche und schöne Inhalt
lebt nicht im Bienenstock, sondern in der Menschenseele. Nehmen wir an, es
gäbe keine beobachtenden Menschen, so würde die Bienenzelle nicht mehr be¬
deuten als ein Erdloch, das dnrch irgend einen Zufall fünfseitig geraten wäre,
und daß die Biene anders lebt als ein Aaskäfer, wäre vollkommen gleich-
giltig. Die Biene selbst empfindet nichts andres als ein solcher Käfer. Sie
hat das dumpfe Gefühl der Befriedigung, so lange sie ihren Trieben nach leben
kann, und empfindet Schmerz, sobald sie in der Äußerung ihrer Triebe ge¬
hemmt oder verwundet wird. Gerade dasselbe empfindet der Aaskäfer eben¬
falls. Die Biene stellt weder Betrachtungen über ihr eignes Gemeinwesen an,
noch vergleicht sie ihren Zustand mit dem andrer Insekten. Die Arbeitsbiene
hat keine Zeit dazu, die Drohne ist zu dumm dazu, und die Königin kommt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/460>, abgerufen am 17.06.2024.