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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Reiselitteratur

mit Ausnahme eines oder zweier Tage ihres Lebens, ans ihrer dunklen Zelte
nicht heraus. Daß Blnmensaft und Honig edlere Speisen sind als faules Fleisch,
ahnt die Biene nicht, und das; letzteres schlechter schmeckt, weiß sie nicht, denn
sie tastet keines, während der Aaskäfer und der Wurm hinwiederum keine Ahnung
von einer Speise haben, die besser schmeckte als die ihrige. Der ganze Wert
des Bienenstaates liegt also in der denkenden, vergleichenden, empfindenden,
schätzenden Menschenseele, lind so ists mit dem menschliche" Staate erst recht.




Reiselitteratur

aß Reisen redselig machen, war schon vor Herrn Urinn bekannt
und hat sich auch nach ihm nicht geändert. Allein es ist nicht
mehr so leicht, Zuhörer zu fesseln. Wenn heute jemand wagen
wallte, die Eskimos als "wild nud groß" zu schildern, so winden
ihn sofort einige, die mit Stangen selbst dort gewesen sind,
Lagen strafen, und von einem, der nichts andres erlebt hat, als jeder, und
doch "Reisebilder" machen will, verlangt man, daß er Künstler, womöglich
Humorist sei. So natürlich das im Zeitalter der "Kombinirbnren" ist, ver-
lockt die Freude ant Erzählen doch immer noch viele, dein großen Publikum
zu berichten, daß sie "vieler Meuscheu Städte gesehen" haben, die allbekannt
sind, vielleicht auch "ans dem Meere unnennbare Leiden erduldet," die die
meisten ebenfalls schon auf der Überfahrt von Swinemünde nach Rügen oder
von Calais nach Dover kennen gelernt haben. Würden solche Reiseerinnerungen
mir als Manuskript für Freunde gedruckt, so konnten sie häufig ans teil¬
nehmende Leser zählen; so aber geraten sie mich in Hände von Personen, die
an den Verfassern kein Interesse nehmen und, nachdem sie sich gewissenhaft
hindurchgearbeitet haben, unmutig frage": Wozu das?

Da liegen drei neue Bücher dieser Art vor uns: 1. Bleistift-Skizzen.
Erinnerungen an die Pariser Weltausstellung von 1889. Von B. Schulze-
Smidt (Bremen, Kühtmauus Buchhandlung). Die Verfasserin dieses Büch¬
leins läßt auf der ersten Seite ein Wort von uwutartlö -rprss clirrsr fallen,
und wir sind zu galant, um ihr zu widerspreche", währeud sie mit dem
Schloßvogt in "Preciosa" wenigstens denkt: Thut nichts, ihr könnts noch
einmal lesen, was ungefähr so bereits in zahllosen Zeitnngsfenilletons berichtet
worden ist. Und wenn es sich nur um die Ausstellung handelte! Von deren


Reiselitteratur

mit Ausnahme eines oder zweier Tage ihres Lebens, ans ihrer dunklen Zelte
nicht heraus. Daß Blnmensaft und Honig edlere Speisen sind als faules Fleisch,
ahnt die Biene nicht, und das; letzteres schlechter schmeckt, weiß sie nicht, denn
sie tastet keines, während der Aaskäfer und der Wurm hinwiederum keine Ahnung
von einer Speise haben, die besser schmeckte als die ihrige. Der ganze Wert
des Bienenstaates liegt also in der denkenden, vergleichenden, empfindenden,
schätzenden Menschenseele, lind so ists mit dem menschliche» Staate erst recht.




Reiselitteratur

aß Reisen redselig machen, war schon vor Herrn Urinn bekannt
und hat sich auch nach ihm nicht geändert. Allein es ist nicht
mehr so leicht, Zuhörer zu fesseln. Wenn heute jemand wagen
wallte, die Eskimos als „wild nud groß" zu schildern, so winden
ihn sofort einige, die mit Stangen selbst dort gewesen sind,
Lagen strafen, und von einem, der nichts andres erlebt hat, als jeder, und
doch „Reisebilder" machen will, verlangt man, daß er Künstler, womöglich
Humorist sei. So natürlich das im Zeitalter der „Kombinirbnren" ist, ver-
lockt die Freude ant Erzählen doch immer noch viele, dein großen Publikum
zu berichten, daß sie „vieler Meuscheu Städte gesehen" haben, die allbekannt
sind, vielleicht auch „ans dem Meere unnennbare Leiden erduldet," die die
meisten ebenfalls schon auf der Überfahrt von Swinemünde nach Rügen oder
von Calais nach Dover kennen gelernt haben. Würden solche Reiseerinnerungen
mir als Manuskript für Freunde gedruckt, so konnten sie häufig ans teil¬
nehmende Leser zählen; so aber geraten sie mich in Hände von Personen, die
an den Verfassern kein Interesse nehmen und, nachdem sie sich gewissenhaft
hindurchgearbeitet haben, unmutig frage»: Wozu das?

Da liegen drei neue Bücher dieser Art vor uns: 1. Bleistift-Skizzen.
Erinnerungen an die Pariser Weltausstellung von 1889. Von B. Schulze-
Smidt (Bremen, Kühtmauus Buchhandlung). Die Verfasserin dieses Büch¬
leins läßt auf der ersten Seite ein Wort von uwutartlö -rprss clirrsr fallen,
und wir sind zu galant, um ihr zu widerspreche«, währeud sie mit dem
Schloßvogt in „Preciosa" wenigstens denkt: Thut nichts, ihr könnts noch
einmal lesen, was ungefähr so bereits in zahllosen Zeitnngsfenilletons berichtet
worden ist. Und wenn es sich nur um die Ausstellung handelte! Von deren


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[0461] Reiselitteratur mit Ausnahme eines oder zweier Tage ihres Lebens, ans ihrer dunklen Zelte nicht heraus. Daß Blnmensaft und Honig edlere Speisen sind als faules Fleisch, ahnt die Biene nicht, und das; letzteres schlechter schmeckt, weiß sie nicht, denn sie tastet keines, während der Aaskäfer und der Wurm hinwiederum keine Ahnung von einer Speise haben, die besser schmeckte als die ihrige. Der ganze Wert des Bienenstaates liegt also in der denkenden, vergleichenden, empfindenden, schätzenden Menschenseele, lind so ists mit dem menschliche» Staate erst recht. Reiselitteratur aß Reisen redselig machen, war schon vor Herrn Urinn bekannt und hat sich auch nach ihm nicht geändert. Allein es ist nicht mehr so leicht, Zuhörer zu fesseln. Wenn heute jemand wagen wallte, die Eskimos als „wild nud groß" zu schildern, so winden ihn sofort einige, die mit Stangen selbst dort gewesen sind, Lagen strafen, und von einem, der nichts andres erlebt hat, als jeder, und doch „Reisebilder" machen will, verlangt man, daß er Künstler, womöglich Humorist sei. So natürlich das im Zeitalter der „Kombinirbnren" ist, ver- lockt die Freude ant Erzählen doch immer noch viele, dein großen Publikum zu berichten, daß sie „vieler Meuscheu Städte gesehen" haben, die allbekannt sind, vielleicht auch „ans dem Meere unnennbare Leiden erduldet," die die meisten ebenfalls schon auf der Überfahrt von Swinemünde nach Rügen oder von Calais nach Dover kennen gelernt haben. Würden solche Reiseerinnerungen mir als Manuskript für Freunde gedruckt, so konnten sie häufig ans teil¬ nehmende Leser zählen; so aber geraten sie mich in Hände von Personen, die an den Verfassern kein Interesse nehmen und, nachdem sie sich gewissenhaft hindurchgearbeitet haben, unmutig frage»: Wozu das? Da liegen drei neue Bücher dieser Art vor uns: 1. Bleistift-Skizzen. Erinnerungen an die Pariser Weltausstellung von 1889. Von B. Schulze- Smidt (Bremen, Kühtmauus Buchhandlung). Die Verfasserin dieses Büch¬ leins läßt auf der ersten Seite ein Wort von uwutartlö -rprss clirrsr fallen, und wir sind zu galant, um ihr zu widerspreche«, währeud sie mit dem Schloßvogt in „Preciosa" wenigstens denkt: Thut nichts, ihr könnts noch einmal lesen, was ungefähr so bereits in zahllosen Zeitnngsfenilletons berichtet worden ist. Und wenn es sich nur um die Ausstellung handelte! Von deren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/461>, abgerufen am 26.05.2024.