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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Modernes Zengniswesen

von Splitter "ud Balken, gilt irgendwo das modi688<z ooliM, so gilt es bei
der Erziehung. Niemand ist dieser Worte eingedenk, niemand beherzigt die
Lehre des alten Pädagogen Salzmann, der da rät, wenn die Erziehung nicht
nach Wunsch verlaufe, zunächst einmal an sich selbst zu deuten. Wie stehen
dann in Wirklichkeit die Sachen?

Der Handwerker, der kleine Geschäftsmann, selbst schon moderne Er-
ziehungsfrüchte, schelten in der Zeit, die ihnen der Früh- und Nachmittags-
schvppen läßt, herum, ohne selbst zu wissen oder darüber nachzudenken, wie
die Arbeit vernünftigerweise angefaßt werden muß, und glauben das Ihrige bei
der Fachausbildung des Lehrlings gethan zu haben, wenn sie dem Jungen
Zeit gebe", eine Fortbildungsschule zu besuchen. Der Staat oder größere
Gemeinschaften haben jn Schulen für alle möglichen Wissenszweige gegründet.
Es giebt Handels-, Drognisten-, Maler- und landwirtschaftliche Schule"
(lateinische Bauer"!), in denen den jungen Leuten eine Masse Wissen einge¬
trichtert wird, ohne ans die Erkenntnis Rücksicht zu nehmen, und deren
"divlomirte," natürlich mit vorzüglichen "Zeugnissen" versehene Zöglinge dem
Praktiker ein Schrecken z" sein Pflegen. Was die soziale Erziehung betrifft,
so ist die Regel, daß nun sich die Sorge dafür von Halse schafft. Ma" be¬
müht sich, die jungen Leute aus dem Hause und vom Tisch loszuwerden
und treibt sie auf diese Art in die Kneipen, wo sie, leichtsinnigen Vorbildern
nachäffend, es als Ehre ansehen, sich zu bramarbasirende" Bierhelden oder
Tiugeltangeldonjuaus heranzubilden.

Dasselbe Bild sehen wir bei der Erziehung des weiblichen Personals.
Die Hansfrnn schilt von Morgen bis zum Abend über das junge, kaum dem
Kindesalter entwachsene Mädchen. Da ist es nicht zeitig genng aufgestanden --
die "gnädige" Frau aber liegt noch um neun Uhr im Bett! Die Zimmer sind
in Unordnung, die Speisen nicht schmackhaft bereitet wie sie aber bereitet
werden sollen, das weiß die "Gnädige" selber nicht. Den Abend verbringt sie
mit ihrem Manne, der sich freut, ans der häuslichen Unordnung herauszu-
kommen, im Klnblvlal oder einem zwar durchräucherten, aber stilvoll alt¬
deutschen Kneiplvkal, dem jämmerlichen Surrogat der viel billigern häuslichen
Geselligkeit unsrer Altvordern. Daß das Dienstmädchen dann die Zeit eben¬
falls zu Ausflügen benutzt, um ihrem Schatz die Zeit zu vertreiben, ist es zu
verwundern? Es ist fast so weit gekommen, daß die jungen Damen sich der
Unkenntnis der elementarsten Dinge im Bereich der Küche und des Haushaltes
rühmen, daß praktische Thätigkeit, alles, was nicht Kleidermoden und allen¬
falls ein bischen Klnvierklimpern betrifft, für unter ihrer Würde halten, und
daß solche Anschauung von "rteilslvsen Eltern gutgeheißen und anerzogen wird.
Wie sollen solche Wesen, die dem Schillerschen Ideal der Hausfrau geradezu
Hohn sprechen, wie sollen solche Muster der Unwissenheit Dienstmädchen er¬
ziehen? .Kann einer solchen Frau die Pflicht der Kindererziehung, die so viele


Modernes Zengniswesen

von Splitter »ud Balken, gilt irgendwo das modi688<z ooliM, so gilt es bei
der Erziehung. Niemand ist dieser Worte eingedenk, niemand beherzigt die
Lehre des alten Pädagogen Salzmann, der da rät, wenn die Erziehung nicht
nach Wunsch verlaufe, zunächst einmal an sich selbst zu deuten. Wie stehen
dann in Wirklichkeit die Sachen?

Der Handwerker, der kleine Geschäftsmann, selbst schon moderne Er-
ziehungsfrüchte, schelten in der Zeit, die ihnen der Früh- und Nachmittags-
schvppen läßt, herum, ohne selbst zu wissen oder darüber nachzudenken, wie
die Arbeit vernünftigerweise angefaßt werden muß, und glauben das Ihrige bei
der Fachausbildung des Lehrlings gethan zu haben, wenn sie dem Jungen
Zeit gebe», eine Fortbildungsschule zu besuchen. Der Staat oder größere
Gemeinschaften haben jn Schulen für alle möglichen Wissenszweige gegründet.
Es giebt Handels-, Drognisten-, Maler- und landwirtschaftliche Schule»
(lateinische Bauer»!), in denen den jungen Leuten eine Masse Wissen einge¬
trichtert wird, ohne ans die Erkenntnis Rücksicht zu nehmen, und deren
„divlomirte," natürlich mit vorzüglichen „Zeugnissen" versehene Zöglinge dem
Praktiker ein Schrecken z» sein Pflegen. Was die soziale Erziehung betrifft,
so ist die Regel, daß nun sich die Sorge dafür von Halse schafft. Ma» be¬
müht sich, die jungen Leute aus dem Hause und vom Tisch loszuwerden
und treibt sie auf diese Art in die Kneipen, wo sie, leichtsinnigen Vorbildern
nachäffend, es als Ehre ansehen, sich zu bramarbasirende» Bierhelden oder
Tiugeltangeldonjuaus heranzubilden.

Dasselbe Bild sehen wir bei der Erziehung des weiblichen Personals.
Die Hansfrnn schilt von Morgen bis zum Abend über das junge, kaum dem
Kindesalter entwachsene Mädchen. Da ist es nicht zeitig genng aufgestanden —
die „gnädige" Frau aber liegt noch um neun Uhr im Bett! Die Zimmer sind
in Unordnung, die Speisen nicht schmackhaft bereitet wie sie aber bereitet
werden sollen, das weiß die „Gnädige" selber nicht. Den Abend verbringt sie
mit ihrem Manne, der sich freut, ans der häuslichen Unordnung herauszu-
kommen, im Klnblvlal oder einem zwar durchräucherten, aber stilvoll alt¬
deutschen Kneiplvkal, dem jämmerlichen Surrogat der viel billigern häuslichen
Geselligkeit unsrer Altvordern. Daß das Dienstmädchen dann die Zeit eben¬
falls zu Ausflügen benutzt, um ihrem Schatz die Zeit zu vertreiben, ist es zu
verwundern? Es ist fast so weit gekommen, daß die jungen Damen sich der
Unkenntnis der elementarsten Dinge im Bereich der Küche und des Haushaltes
rühmen, daß praktische Thätigkeit, alles, was nicht Kleidermoden und allen¬
falls ein bischen Klnvierklimpern betrifft, für unter ihrer Würde halten, und
daß solche Anschauung von »rteilslvsen Eltern gutgeheißen und anerzogen wird.
Wie sollen solche Wesen, die dem Schillerschen Ideal der Hausfrau geradezu
Hohn sprechen, wie sollen solche Muster der Unwissenheit Dienstmädchen er¬
ziehen? .Kann einer solchen Frau die Pflicht der Kindererziehung, die so viele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/480>, abgerufen am 17.06.2024.