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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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selten, aber auch in seiner geistigen Bildung, seiner Männlichkeit, seiner ver¬
borgnen und doch ans seinen Augen sprechenden seelischen Tiefe so wenig den
jungen Musikern, an die Mendelssohn gewohnt war, daß der feine, weltkluge
Mann an dein wunderlichen Jünger irre wurde und auf falsche Fährten ge¬
riet. Die dramatischen Kompositionen Ludwigs, die er inzwischen einer nähern
Einsicht unterzogen hatte, sprachen ihn wenig an. Er sah, daß in Einzel-
gesängcn, Chören und Eusemblesätzeu ein Zug zum volkstümlich Charakte¬
ristischen, bis inS kleinste hinein Charakteristischen vorwaltete, der nach
seiner Meinung vom Übel war. Er äußerte, daß es wohl möglich sei,
daß Ludwig mit derartigen Sachen Glück mache, aber er dürfe ihm nicht
raten, auf diesem Wege weiter zu gehen. Ludwig müsse, wenn er durch¬
aus komponiren wolle, zunächst versuchen, sich in andern, rein musikalischen
Formen auszusprechen. Der Schüler schlug diesen Rat nicht geradezu
in den Wind, er begann neben und zwischen allein, was ihn damals
erfüllte, an einer Sonate für Klavier zu arbeiten, von der es ungewiß ist, ob
ihre Anfänge Mendelssohn "och vorgelegt wurden. Am 1. Oktober 1840 schrieb
er noch an Schalter, daß er ihm die "Symphonie" zusenden werde, sobald er
sie glücklich zu stände gebracht habe.

Ludwig versuchte, sich die Abneigung, die er unleugbar gegen einen fort¬
gesetzten und näheren Verkehr mit Mendelssohn empfand, auf die verschiedenste
Weise zu erklären, und es entsprach sicher den innersten Empfindungen seiner
vornehm spröden Natur, wenn er äußerte: "Ich halt' es für kleinlich, fast
schmutzig, fremde Persönlichkeiten dnrch geflissentliches Anschmiegen nützen zu
wolle" für meine eigne, es dünkt mich unwürdig, ihre Würdigung mit meinem
Nutzen zu beflecke", sie zu streichen, wie die Magd das Kuheuter, damit man
etwas herauspresse für sich. Ich achte Mendelssohn zu sehr und zu wahr,
als daß ich in ein Nutzenverhältnis mit ihm treten könnte, was er erwartet,
weil leider in dieser Welt einer ein Verhältnis, in dem er Nutzen geben kaun,
nur gesucht glaubt um dieses Nutzens willen" (an Schalter, Leipzig, 3. März
18M. Dabei verhehlte er sich nicht, daß er niemals "modern und elegant" werden
würde, gestand sich aber kaum ein, daß ihn die anmutige und elegante, in
einer gesellschaftlichen Atmosphäre angewachsene und von solcher Atmo¬
sphäre fortgesetzt umhnuchte Persönlichkeit des Künstlers, dessen Vorliebe sür
feine Formen, dessen beständiger Verkehr in Lebenskreisen, die dem einsiedlerisch
gewöhnten Eisfelder unnatürlich, unwahr und im eigentlichen Sinne des Wortes
leblos erschienen, scheu machten. Trotz seiner wahren Achtung vor Mendels¬
sohns edeln Strebeii und großer Vegabnug sagte er sich, daß dem Meister
"das Naive, Natürliche, Nächste" fern liege. In seinem Tagebuch wiederholt
er mehr als einmal, daß er sich die Pfeife nicht abgewöhnen wolle (er muß
wohl in Leipzig, wo "selbst die Tagelöhner Cigarren rauchten," an Aufgeben
dieser Gewohnheit gedacht haben), daß er nicht die leiseste Neigung verspüre,


selten, aber auch in seiner geistigen Bildung, seiner Männlichkeit, seiner ver¬
borgnen und doch ans seinen Augen sprechenden seelischen Tiefe so wenig den
jungen Musikern, an die Mendelssohn gewohnt war, daß der feine, weltkluge
Mann an dein wunderlichen Jünger irre wurde und auf falsche Fährten ge¬
riet. Die dramatischen Kompositionen Ludwigs, die er inzwischen einer nähern
Einsicht unterzogen hatte, sprachen ihn wenig an. Er sah, daß in Einzel-
gesängcn, Chören und Eusemblesätzeu ein Zug zum volkstümlich Charakte¬
ristischen, bis inS kleinste hinein Charakteristischen vorwaltete, der nach
seiner Meinung vom Übel war. Er äußerte, daß es wohl möglich sei,
daß Ludwig mit derartigen Sachen Glück mache, aber er dürfe ihm nicht
raten, auf diesem Wege weiter zu gehen. Ludwig müsse, wenn er durch¬
aus komponiren wolle, zunächst versuchen, sich in andern, rein musikalischen
Formen auszusprechen. Der Schüler schlug diesen Rat nicht geradezu
in den Wind, er begann neben und zwischen allein, was ihn damals
erfüllte, an einer Sonate für Klavier zu arbeiten, von der es ungewiß ist, ob
ihre Anfänge Mendelssohn »och vorgelegt wurden. Am 1. Oktober 1840 schrieb
er noch an Schalter, daß er ihm die „Symphonie" zusenden werde, sobald er
sie glücklich zu stände gebracht habe.

Ludwig versuchte, sich die Abneigung, die er unleugbar gegen einen fort¬
gesetzten und näheren Verkehr mit Mendelssohn empfand, auf die verschiedenste
Weise zu erklären, und es entsprach sicher den innersten Empfindungen seiner
vornehm spröden Natur, wenn er äußerte: „Ich halt' es für kleinlich, fast
schmutzig, fremde Persönlichkeiten dnrch geflissentliches Anschmiegen nützen zu
wolle» für meine eigne, es dünkt mich unwürdig, ihre Würdigung mit meinem
Nutzen zu beflecke», sie zu streichen, wie die Magd das Kuheuter, damit man
etwas herauspresse für sich. Ich achte Mendelssohn zu sehr und zu wahr,
als daß ich in ein Nutzenverhältnis mit ihm treten könnte, was er erwartet,
weil leider in dieser Welt einer ein Verhältnis, in dem er Nutzen geben kaun,
nur gesucht glaubt um dieses Nutzens willen" (an Schalter, Leipzig, 3. März
18M. Dabei verhehlte er sich nicht, daß er niemals „modern und elegant" werden
würde, gestand sich aber kaum ein, daß ihn die anmutige und elegante, in
einer gesellschaftlichen Atmosphäre angewachsene und von solcher Atmo¬
sphäre fortgesetzt umhnuchte Persönlichkeit des Künstlers, dessen Vorliebe sür
feine Formen, dessen beständiger Verkehr in Lebenskreisen, die dem einsiedlerisch
gewöhnten Eisfelder unnatürlich, unwahr und im eigentlichen Sinne des Wortes
leblos erschienen, scheu machten. Trotz seiner wahren Achtung vor Mendels¬
sohns edeln Strebeii und großer Vegabnug sagte er sich, daß dem Meister
„das Naive, Natürliche, Nächste" fern liege. In seinem Tagebuch wiederholt
er mehr als einmal, daß er sich die Pfeife nicht abgewöhnen wolle (er muß
wohl in Leipzig, wo „selbst die Tagelöhner Cigarren rauchten," an Aufgeben
dieser Gewohnheit gedacht haben), daß er nicht die leiseste Neigung verspüre,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/91>, abgerufen am 17.06.2024.