Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Ummißgel'liebes

man über die Leiche Qucckatzeus die Erde Schauseite, die Kenntnis des
wahren Sachverhaltes -- die verhängnisvolle Mordthat war eigentlich nur
ein ungewollter Totschlag ^ hatte ihn zum nachsichtigen Schweigen bestimmt:
dein Toten konnte er doch das verlorene Leben uicht wiedergeben, und deu
lebenden Störzer wollte er schonen. Jetzt, nach Storzers Tode, deckt er das
^Geheimnis ans, indem er die auf seinem Hause begonnene Erzählung in der
öffentliche" Wirtsstnbe beschließt. So wird die Erzählung selbst zu einem
Teil der Handlung, und wir legen das packende Buch mit Bewunderung ob
seiner kunstvoll verschlungenen Form aus der Hand. Es giebt nicht viele
Erzählungen, in denen die Form so organisch aus dem Stoff selbst heraus¬
wüchse; nur in dieser Einheit aber liegt die wahre Kunst, die heutzutage freilich
arg vernachlässigt wird. Durch sie hat Raabe seine Kriminalgeschichte geadelt,
ganz abgesehen von der Höhe seiner Weltanschauung, von der aus auch hier
menschliches Treiben und Schicksal betrachtet wird. Man darf "Stopfkuchen"
zu seineu gelungenste" Werken rechnen.


in N


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Gleichgewicht der Geschlechter.

In Ur. 13 der Grenzboten heißt
es, in einem gewissen Falle müßte vom Staate verschiednes verlangt werden, was
er bis jetzt nicht leiste, unter andern "ein Gesetz, wonach mindestens ebenso viele
Knaben wie Mädchen geboren zu haben werden!" Das hat der Staat in keinem
Falle nötig, ans dein einfachen Grunde, weil es schon unser Herrgott, oder wie
man heutzutage lieber sagt, die Natur besorgt. Es werden sogar mehr Knaben
als Mädchen geboren, aber die Sterblichkeit ist unter den Knaben größer als unter
den Mädchen, sodaß die Zahl der Jünglinge und Jungfrauen in der Zeit der
Vollen Blüte, d. h. um das zwanzigste Jahr herum, fast in allen Ländern ziemlich
gleich ist, ein deutlicher Wink des Schöpfers, daß in diesem Lebensalter jedes
Männlein sein Fräulein wählen soll, was aber leider unsre heutigen Verhältnisse
verbieten. Die Männersterblichkeit überwiegt noch bis zum vierundzwanzigsten
Jahre, von da an bis zum vierzigsten aber sterben mehr Frauen (die Ursache kann
sich jeder leicht denken), sodaß in dem Lebensalter vom vierzigsten bis zum funf¬
zigsten Jahre das Gleichgewicht noch einmal hergestellt wird. Was dann noch von
Frauen lebt, ist zäher und widerstandsfähiger als die alten Männer, sodaß die
Greisinnen der Zahl nach dus Übergewicht über die Greise haben. Das Nähere
findet man in Oellingers Moralstatistik.


Felix Dcihn und die Poesie.

Vergangene Woche War Felix Dudu in
Wien und ließ sich feiern. Am 7. April veranstaltete er in einem Konzertsanle (Bosen-
dorfer) eine Vorlesung seiner Gedichte, tags darauf hielt er in der "Juristischen


Maßgebliches und Ummißgel'liebes

man über die Leiche Qucckatzeus die Erde Schauseite, die Kenntnis des
wahren Sachverhaltes — die verhängnisvolle Mordthat war eigentlich nur
ein ungewollter Totschlag ^ hatte ihn zum nachsichtigen Schweigen bestimmt:
dein Toten konnte er doch das verlorene Leben uicht wiedergeben, und deu
lebenden Störzer wollte er schonen. Jetzt, nach Storzers Tode, deckt er das
^Geheimnis ans, indem er die auf seinem Hause begonnene Erzählung in der
öffentliche» Wirtsstnbe beschließt. So wird die Erzählung selbst zu einem
Teil der Handlung, und wir legen das packende Buch mit Bewunderung ob
seiner kunstvoll verschlungenen Form aus der Hand. Es giebt nicht viele
Erzählungen, in denen die Form so organisch aus dem Stoff selbst heraus¬
wüchse; nur in dieser Einheit aber liegt die wahre Kunst, die heutzutage freilich
arg vernachlässigt wird. Durch sie hat Raabe seine Kriminalgeschichte geadelt,
ganz abgesehen von der Höhe seiner Weltanschauung, von der aus auch hier
menschliches Treiben und Schicksal betrachtet wird. Man darf „Stopfkuchen"
zu seineu gelungenste» Werken rechnen.


in N


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Das Gleichgewicht der Geschlechter.

In Ur. 13 der Grenzboten heißt
es, in einem gewissen Falle müßte vom Staate verschiednes verlangt werden, was
er bis jetzt nicht leiste, unter andern „ein Gesetz, wonach mindestens ebenso viele
Knaben wie Mädchen geboren zu haben werden!" Das hat der Staat in keinem
Falle nötig, ans dein einfachen Grunde, weil es schon unser Herrgott, oder wie
man heutzutage lieber sagt, die Natur besorgt. Es werden sogar mehr Knaben
als Mädchen geboren, aber die Sterblichkeit ist unter den Knaben größer als unter
den Mädchen, sodaß die Zahl der Jünglinge und Jungfrauen in der Zeit der
Vollen Blüte, d. h. um das zwanzigste Jahr herum, fast in allen Ländern ziemlich
gleich ist, ein deutlicher Wink des Schöpfers, daß in diesem Lebensalter jedes
Männlein sein Fräulein wählen soll, was aber leider unsre heutigen Verhältnisse
verbieten. Die Männersterblichkeit überwiegt noch bis zum vierundzwanzigsten
Jahre, von da an bis zum vierzigsten aber sterben mehr Frauen (die Ursache kann
sich jeder leicht denken), sodaß in dem Lebensalter vom vierzigsten bis zum funf¬
zigsten Jahre das Gleichgewicht noch einmal hergestellt wird. Was dann noch von
Frauen lebt, ist zäher und widerstandsfähiger als die alten Männer, sodaß die
Greisinnen der Zahl nach dus Übergewicht über die Greise haben. Das Nähere
findet man in Oellingers Moralstatistik.


Felix Dcihn und die Poesie.

Vergangene Woche War Felix Dudu in
Wien und ließ sich feiern. Am 7. April veranstaltete er in einem Konzertsanle (Bosen-
dorfer) eine Vorlesung seiner Gedichte, tags darauf hielt er in der „Juristischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210026"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Ummißgel'liebes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410"> man über die Leiche Qucckatzeus die Erde Schauseite, die Kenntnis des<lb/>
wahren Sachverhaltes &#x2014; die verhängnisvolle Mordthat war eigentlich nur<lb/>
ein ungewollter Totschlag ^ hatte ihn zum nachsichtigen Schweigen bestimmt:<lb/>
dein Toten konnte er doch das verlorene Leben uicht wiedergeben, und deu<lb/>
lebenden Störzer wollte er schonen. Jetzt, nach Storzers Tode, deckt er das<lb/>
^Geheimnis ans, indem er die auf seinem Hause begonnene Erzählung in der<lb/>
öffentliche» Wirtsstnbe beschließt. So wird die Erzählung selbst zu einem<lb/>
Teil der Handlung, und wir legen das packende Buch mit Bewunderung ob<lb/>
seiner kunstvoll verschlungenen Form aus der Hand. Es giebt nicht viele<lb/>
Erzählungen, in denen die Form so organisch aus dem Stoff selbst heraus¬<lb/>
wüchse; nur in dieser Einheit aber liegt die wahre Kunst, die heutzutage freilich<lb/>
arg vernachlässigt wird. Durch sie hat Raabe seine Kriminalgeschichte geadelt,<lb/>
ganz abgesehen von der Höhe seiner Weltanschauung, von der aus auch hier<lb/>
menschliches Treiben und Schicksal betrachtet wird. Man darf &#x201E;Stopfkuchen"<lb/>
zu seineu gelungenste» Werken rechnen.</p><lb/>
          <note type="byline"> in N</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Das Gleichgewicht der Geschlechter.</head>
            <p xml:id="ID_412"> In Ur. 13 der Grenzboten heißt<lb/>
es, in einem gewissen Falle müßte vom Staate verschiednes verlangt werden, was<lb/>
er bis jetzt nicht leiste, unter andern &#x201E;ein Gesetz, wonach mindestens ebenso viele<lb/>
Knaben wie Mädchen geboren zu haben werden!" Das hat der Staat in keinem<lb/>
Falle nötig, ans dein einfachen Grunde, weil es schon unser Herrgott, oder wie<lb/>
man heutzutage lieber sagt, die Natur besorgt. Es werden sogar mehr Knaben<lb/>
als Mädchen geboren, aber die Sterblichkeit ist unter den Knaben größer als unter<lb/>
den Mädchen, sodaß die Zahl der Jünglinge und Jungfrauen in der Zeit der<lb/>
Vollen Blüte, d. h. um das zwanzigste Jahr herum, fast in allen Ländern ziemlich<lb/>
gleich ist, ein deutlicher Wink des Schöpfers, daß in diesem Lebensalter jedes<lb/>
Männlein sein Fräulein wählen soll, was aber leider unsre heutigen Verhältnisse<lb/>
verbieten. Die Männersterblichkeit überwiegt noch bis zum vierundzwanzigsten<lb/>
Jahre, von da an bis zum vierzigsten aber sterben mehr Frauen (die Ursache kann<lb/>
sich jeder leicht denken), sodaß in dem Lebensalter vom vierzigsten bis zum funf¬<lb/>
zigsten Jahre das Gleichgewicht noch einmal hergestellt wird. Was dann noch von<lb/>
Frauen lebt, ist zäher und widerstandsfähiger als die alten Männer, sodaß die<lb/>
Greisinnen der Zahl nach dus Übergewicht über die Greise haben. Das Nähere<lb/>
findet man in Oellingers Moralstatistik.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Felix Dcihn und die Poesie.</head>
            <p xml:id="ID_413" next="#ID_414"> Vergangene Woche War Felix Dudu in<lb/>
Wien und ließ sich feiern. Am 7. April veranstaltete er in einem Konzertsanle (Bosen-<lb/>
dorfer) eine Vorlesung seiner Gedichte, tags darauf hielt er in der &#x201E;Juristischen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] Maßgebliches und Ummißgel'liebes man über die Leiche Qucckatzeus die Erde Schauseite, die Kenntnis des wahren Sachverhaltes — die verhängnisvolle Mordthat war eigentlich nur ein ungewollter Totschlag ^ hatte ihn zum nachsichtigen Schweigen bestimmt: dein Toten konnte er doch das verlorene Leben uicht wiedergeben, und deu lebenden Störzer wollte er schonen. Jetzt, nach Storzers Tode, deckt er das ^Geheimnis ans, indem er die auf seinem Hause begonnene Erzählung in der öffentliche» Wirtsstnbe beschließt. So wird die Erzählung selbst zu einem Teil der Handlung, und wir legen das packende Buch mit Bewunderung ob seiner kunstvoll verschlungenen Form aus der Hand. Es giebt nicht viele Erzählungen, in denen die Form so organisch aus dem Stoff selbst heraus¬ wüchse; nur in dieser Einheit aber liegt die wahre Kunst, die heutzutage freilich arg vernachlässigt wird. Durch sie hat Raabe seine Kriminalgeschichte geadelt, ganz abgesehen von der Höhe seiner Weltanschauung, von der aus auch hier menschliches Treiben und Schicksal betrachtet wird. Man darf „Stopfkuchen" zu seineu gelungenste» Werken rechnen. in N Maßgebliches und Unmaßgebliches Das Gleichgewicht der Geschlechter. In Ur. 13 der Grenzboten heißt es, in einem gewissen Falle müßte vom Staate verschiednes verlangt werden, was er bis jetzt nicht leiste, unter andern „ein Gesetz, wonach mindestens ebenso viele Knaben wie Mädchen geboren zu haben werden!" Das hat der Staat in keinem Falle nötig, ans dein einfachen Grunde, weil es schon unser Herrgott, oder wie man heutzutage lieber sagt, die Natur besorgt. Es werden sogar mehr Knaben als Mädchen geboren, aber die Sterblichkeit ist unter den Knaben größer als unter den Mädchen, sodaß die Zahl der Jünglinge und Jungfrauen in der Zeit der Vollen Blüte, d. h. um das zwanzigste Jahr herum, fast in allen Ländern ziemlich gleich ist, ein deutlicher Wink des Schöpfers, daß in diesem Lebensalter jedes Männlein sein Fräulein wählen soll, was aber leider unsre heutigen Verhältnisse verbieten. Die Männersterblichkeit überwiegt noch bis zum vierundzwanzigsten Jahre, von da an bis zum vierzigsten aber sterben mehr Frauen (die Ursache kann sich jeder leicht denken), sodaß in dem Lebensalter vom vierzigsten bis zum funf¬ zigsten Jahre das Gleichgewicht noch einmal hergestellt wird. Was dann noch von Frauen lebt, ist zäher und widerstandsfähiger als die alten Männer, sodaß die Greisinnen der Zahl nach dus Übergewicht über die Greise haben. Das Nähere findet man in Oellingers Moralstatistik. Felix Dcihn und die Poesie. Vergangene Woche War Felix Dudu in Wien und ließ sich feiern. Am 7. April veranstaltete er in einem Konzertsanle (Bosen- dorfer) eine Vorlesung seiner Gedichte, tags darauf hielt er in der „Juristischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/159>, abgerufen am 16.06.2024.