Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zolas antisemitischer Roman

hiuwegragte; auffallend war an ihm das breite behagliche Lächeln, die große"
Augen, die starke Nase, das mächtige Kanwerkzeng, das von dem große"
Schnurrbart, der dem eines barbarischen Eroberers ähnlich sah, gleichsam ver¬
riegelt wurde. Er hatte gerade nach Sadowa Deutschland an Preußen aus¬
geliefert; die lange geleugueten Verträge waren seit Monaten gegen Frankreich
unterzeichnet, und der Krieg, der im Mai beinahe wegen der Luxemburger
Angelegenheit ausgebrochen wäre, schwebte von jetzt ab wie ein Verhängnis
über Frankreich. Als Saeeard das Zimmer triumphirend durchschritt, mit
Frau Jenmvnt am Arm und begleitet von ihrem Gatten, horte Vismarck
einen Augenblick auf, wie ein vergnügter Niese zu lächeln, um ihnen neugierig
nachzuschauen."

Der Kurs der Aktien steigt von 500 bis zu .'5050. Da endlich bricht
der schwindelhafte Van zusammen und reißt nicht nur die Abenteurer und
Betrüger mit in den Abgrund, sondern auch unzählige ehrliche Menschen, die
der Versuchung, über Nacht große Reichtümer zu erwerben, nicht hatten wider¬
stehe!? können und ihr sauer verdientes Kapital jener Bank arglos anvertraut
haben. Besonders schwer getroffen wird durch diesen Krach die Gräfin von
Aeanvilliers, eine Aristokratin von vornehmer Gesinnung und edlem Herzen.
Saeeards unehelicher Sohn Viktor, ein sittlich verkommener Bursche von fünf-
zehn Jahren, der zu niederträchtig ist, als daß wir ihn nicht in Zolas spätern
Romanen wiedertreffen sollten, hat überdies die Tochter der Gräfin vergewaltigt
in dem Augenblicke, wo sie dem Simulanten in der Erziehungsanstalt I/Ovuvrs
an trg.og.iI eine Arznei reichem wollte. Aber das ist noch nicht genug; schließlich
sieht sich die Gräfin auch uoch gezwungen, den letzten Nest ihrer Habe zu
opfern, als ihr der jüdische Halsabschneider Busch droht, die Laster ihres
verstorbenen Gatten in die Zeitungen zu bringen. Dieser alte Jude, der wie
ein Aasgeier umherspüht, um zu sehen, wo etwas faul sei, ist vou Zoln mit
großer Liebe und richtigem Verständnis geschildert worden. Alle angeblich
wertlosen Schuldscheine kauft Busch auf, denn er geht von dem Grundsatz
aus, <ZM touw orvWos, invmo 1a x1u8 oompromiso, xout rsäc-venir Koiurg.
Oft wartet er jahrelang und läßt so sein Opfer erst heranreifen, um es beim
nächsten Erfolge zu erwürgen. Die verschwuudueu Schuldner weiß er dnrch
unausgesetzte Nachforschungen in beständiger Aufregung zu erhalten; er verfolgt
alle Mitteilungen und alle Namen in den Zeitungen und spürt nach allen
Adressen, wie ein Jagdhund nach einem angeschossenen Wild; und sobald er
sie hat, die Verschwundnen und die Zahlungsunfähigen. dann wird er wild,
frißt sie bei lebendigem Leibe auf und zieht ans einem Schuldschein, für den
er zehn Sous gezahlt hat, hundert Franks und mehr. Seine Stütze und
Beraterin ist Frau Mensur, eine alte Vettel, die überall auftaucht, wo die
Vörsenschlacht am heftigsten gewütet hat. Dann streicht sie wie eine Hyäne
des Schlachtfeldes umher, um den Sterbenden uoch deu letzten Todesstoß zu


Zolas antisemitischer Roman

hiuwegragte; auffallend war an ihm das breite behagliche Lächeln, die große»
Augen, die starke Nase, das mächtige Kanwerkzeng, das von dem große»
Schnurrbart, der dem eines barbarischen Eroberers ähnlich sah, gleichsam ver¬
riegelt wurde. Er hatte gerade nach Sadowa Deutschland an Preußen aus¬
geliefert; die lange geleugueten Verträge waren seit Monaten gegen Frankreich
unterzeichnet, und der Krieg, der im Mai beinahe wegen der Luxemburger
Angelegenheit ausgebrochen wäre, schwebte von jetzt ab wie ein Verhängnis
über Frankreich. Als Saeeard das Zimmer triumphirend durchschritt, mit
Frau Jenmvnt am Arm und begleitet von ihrem Gatten, horte Vismarck
einen Augenblick auf, wie ein vergnügter Niese zu lächeln, um ihnen neugierig
nachzuschauen."

Der Kurs der Aktien steigt von 500 bis zu .'5050. Da endlich bricht
der schwindelhafte Van zusammen und reißt nicht nur die Abenteurer und
Betrüger mit in den Abgrund, sondern auch unzählige ehrliche Menschen, die
der Versuchung, über Nacht große Reichtümer zu erwerben, nicht hatten wider¬
stehe!? können und ihr sauer verdientes Kapital jener Bank arglos anvertraut
haben. Besonders schwer getroffen wird durch diesen Krach die Gräfin von
Aeanvilliers, eine Aristokratin von vornehmer Gesinnung und edlem Herzen.
Saeeards unehelicher Sohn Viktor, ein sittlich verkommener Bursche von fünf-
zehn Jahren, der zu niederträchtig ist, als daß wir ihn nicht in Zolas spätern
Romanen wiedertreffen sollten, hat überdies die Tochter der Gräfin vergewaltigt
in dem Augenblicke, wo sie dem Simulanten in der Erziehungsanstalt I/Ovuvrs
an trg.og.iI eine Arznei reichem wollte. Aber das ist noch nicht genug; schließlich
sieht sich die Gräfin auch uoch gezwungen, den letzten Nest ihrer Habe zu
opfern, als ihr der jüdische Halsabschneider Busch droht, die Laster ihres
verstorbenen Gatten in die Zeitungen zu bringen. Dieser alte Jude, der wie
ein Aasgeier umherspüht, um zu sehen, wo etwas faul sei, ist vou Zoln mit
großer Liebe und richtigem Verständnis geschildert worden. Alle angeblich
wertlosen Schuldscheine kauft Busch auf, denn er geht von dem Grundsatz
aus, <ZM touw orvWos, invmo 1a x1u8 oompromiso, xout rsäc-venir Koiurg.
Oft wartet er jahrelang und läßt so sein Opfer erst heranreifen, um es beim
nächsten Erfolge zu erwürgen. Die verschwuudueu Schuldner weiß er dnrch
unausgesetzte Nachforschungen in beständiger Aufregung zu erhalten; er verfolgt
alle Mitteilungen und alle Namen in den Zeitungen und spürt nach allen
Adressen, wie ein Jagdhund nach einem angeschossenen Wild; und sobald er
sie hat, die Verschwundnen und die Zahlungsunfähigen. dann wird er wild,
frißt sie bei lebendigem Leibe auf und zieht ans einem Schuldschein, für den
er zehn Sous gezahlt hat, hundert Franks und mehr. Seine Stütze und
Beraterin ist Frau Mensur, eine alte Vettel, die überall auftaucht, wo die
Vörsenschlacht am heftigsten gewütet hat. Dann streicht sie wie eine Hyäne
des Schlachtfeldes umher, um den Sterbenden uoch deu letzten Todesstoß zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210065"/>
          <fw type="header" place="top"> Zolas antisemitischer Roman</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_517" prev="#ID_516"> hiuwegragte; auffallend war an ihm das breite behagliche Lächeln, die große»<lb/>
Augen, die starke Nase, das mächtige Kanwerkzeng, das von dem große»<lb/>
Schnurrbart, der dem eines barbarischen Eroberers ähnlich sah, gleichsam ver¬<lb/>
riegelt wurde. Er hatte gerade nach Sadowa Deutschland an Preußen aus¬<lb/>
geliefert; die lange geleugueten Verträge waren seit Monaten gegen Frankreich<lb/>
unterzeichnet, und der Krieg, der im Mai beinahe wegen der Luxemburger<lb/>
Angelegenheit ausgebrochen wäre, schwebte von jetzt ab wie ein Verhängnis<lb/>
über Frankreich. Als Saeeard das Zimmer triumphirend durchschritt, mit<lb/>
Frau Jenmvnt am Arm und begleitet von ihrem Gatten, horte Vismarck<lb/>
einen Augenblick auf, wie ein vergnügter Niese zu lächeln, um ihnen neugierig<lb/>
nachzuschauen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_518" next="#ID_519"> Der Kurs der Aktien steigt von 500 bis zu .'5050. Da endlich bricht<lb/>
der schwindelhafte Van zusammen und reißt nicht nur die Abenteurer und<lb/>
Betrüger mit in den Abgrund, sondern auch unzählige ehrliche Menschen, die<lb/>
der Versuchung, über Nacht große Reichtümer zu erwerben, nicht hatten wider¬<lb/>
stehe!? können und ihr sauer verdientes Kapital jener Bank arglos anvertraut<lb/>
haben. Besonders schwer getroffen wird durch diesen Krach die Gräfin von<lb/>
Aeanvilliers, eine Aristokratin von vornehmer Gesinnung und edlem Herzen.<lb/>
Saeeards unehelicher Sohn Viktor, ein sittlich verkommener Bursche von fünf-<lb/>
zehn Jahren, der zu niederträchtig ist, als daß wir ihn nicht in Zolas spätern<lb/>
Romanen wiedertreffen sollten, hat überdies die Tochter der Gräfin vergewaltigt<lb/>
in dem Augenblicke, wo sie dem Simulanten in der Erziehungsanstalt I/Ovuvrs<lb/>
an trg.og.iI eine Arznei reichem wollte. Aber das ist noch nicht genug; schließlich<lb/>
sieht sich die Gräfin auch uoch gezwungen, den letzten Nest ihrer Habe zu<lb/>
opfern, als ihr der jüdische Halsabschneider Busch droht, die Laster ihres<lb/>
verstorbenen Gatten in die Zeitungen zu bringen. Dieser alte Jude, der wie<lb/>
ein Aasgeier umherspüht, um zu sehen, wo etwas faul sei, ist vou Zoln mit<lb/>
großer Liebe und richtigem Verständnis geschildert worden. Alle angeblich<lb/>
wertlosen Schuldscheine kauft Busch auf, denn er geht von dem Grundsatz<lb/>
aus, &lt;ZM touw orvWos, invmo 1a x1u8 oompromiso, xout rsäc-venir Koiurg.<lb/>
Oft wartet er jahrelang und läßt so sein Opfer erst heranreifen, um es beim<lb/>
nächsten Erfolge zu erwürgen. Die verschwuudueu Schuldner weiß er dnrch<lb/>
unausgesetzte Nachforschungen in beständiger Aufregung zu erhalten; er verfolgt<lb/>
alle Mitteilungen und alle Namen in den Zeitungen und spürt nach allen<lb/>
Adressen, wie ein Jagdhund nach einem angeschossenen Wild; und sobald er<lb/>
sie hat, die Verschwundnen und die Zahlungsunfähigen. dann wird er wild,<lb/>
frißt sie bei lebendigem Leibe auf und zieht ans einem Schuldschein, für den<lb/>
er zehn Sous gezahlt hat, hundert Franks und mehr. Seine Stütze und<lb/>
Beraterin ist Frau Mensur, eine alte Vettel, die überall auftaucht, wo die<lb/>
Vörsenschlacht am heftigsten gewütet hat. Dann streicht sie wie eine Hyäne<lb/>
des Schlachtfeldes umher, um den Sterbenden uoch deu letzten Todesstoß zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0198] Zolas antisemitischer Roman hiuwegragte; auffallend war an ihm das breite behagliche Lächeln, die große» Augen, die starke Nase, das mächtige Kanwerkzeng, das von dem große» Schnurrbart, der dem eines barbarischen Eroberers ähnlich sah, gleichsam ver¬ riegelt wurde. Er hatte gerade nach Sadowa Deutschland an Preußen aus¬ geliefert; die lange geleugueten Verträge waren seit Monaten gegen Frankreich unterzeichnet, und der Krieg, der im Mai beinahe wegen der Luxemburger Angelegenheit ausgebrochen wäre, schwebte von jetzt ab wie ein Verhängnis über Frankreich. Als Saeeard das Zimmer triumphirend durchschritt, mit Frau Jenmvnt am Arm und begleitet von ihrem Gatten, horte Vismarck einen Augenblick auf, wie ein vergnügter Niese zu lächeln, um ihnen neugierig nachzuschauen." Der Kurs der Aktien steigt von 500 bis zu .'5050. Da endlich bricht der schwindelhafte Van zusammen und reißt nicht nur die Abenteurer und Betrüger mit in den Abgrund, sondern auch unzählige ehrliche Menschen, die der Versuchung, über Nacht große Reichtümer zu erwerben, nicht hatten wider¬ stehe!? können und ihr sauer verdientes Kapital jener Bank arglos anvertraut haben. Besonders schwer getroffen wird durch diesen Krach die Gräfin von Aeanvilliers, eine Aristokratin von vornehmer Gesinnung und edlem Herzen. Saeeards unehelicher Sohn Viktor, ein sittlich verkommener Bursche von fünf- zehn Jahren, der zu niederträchtig ist, als daß wir ihn nicht in Zolas spätern Romanen wiedertreffen sollten, hat überdies die Tochter der Gräfin vergewaltigt in dem Augenblicke, wo sie dem Simulanten in der Erziehungsanstalt I/Ovuvrs an trg.og.iI eine Arznei reichem wollte. Aber das ist noch nicht genug; schließlich sieht sich die Gräfin auch uoch gezwungen, den letzten Nest ihrer Habe zu opfern, als ihr der jüdische Halsabschneider Busch droht, die Laster ihres verstorbenen Gatten in die Zeitungen zu bringen. Dieser alte Jude, der wie ein Aasgeier umherspüht, um zu sehen, wo etwas faul sei, ist vou Zoln mit großer Liebe und richtigem Verständnis geschildert worden. Alle angeblich wertlosen Schuldscheine kauft Busch auf, denn er geht von dem Grundsatz aus, <ZM touw orvWos, invmo 1a x1u8 oompromiso, xout rsäc-venir Koiurg. Oft wartet er jahrelang und läßt so sein Opfer erst heranreifen, um es beim nächsten Erfolge zu erwürgen. Die verschwuudueu Schuldner weiß er dnrch unausgesetzte Nachforschungen in beständiger Aufregung zu erhalten; er verfolgt alle Mitteilungen und alle Namen in den Zeitungen und spürt nach allen Adressen, wie ein Jagdhund nach einem angeschossenen Wild; und sobald er sie hat, die Verschwundnen und die Zahlungsunfähigen. dann wird er wild, frißt sie bei lebendigem Leibe auf und zieht ans einem Schuldschein, für den er zehn Sous gezahlt hat, hundert Franks und mehr. Seine Stütze und Beraterin ist Frau Mensur, eine alte Vettel, die überall auftaucht, wo die Vörsenschlacht am heftigsten gewütet hat. Dann streicht sie wie eine Hyäne des Schlachtfeldes umher, um den Sterbenden uoch deu letzten Todesstoß zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/198
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/198>, abgerufen am 15.06.2024.