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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zolas antisemitischer Roman

geben und die Verwundeten bis aufs Hemde auszuziehen. Nur eine Schwär¬
merei hat dieser Busch, uur eine, bei der er menschlich denkt und fühlt; das
ist sein schwindsüchtiger Bruder Sigismund, ein junger Gelehrter, der in
Deutschland studirt und sich die Lehren eines Karl Marx angeeignet hat.
Sein Ideal ist der kollektivistische Staat, wo alles Geld abgeschafft und durch
Arbeitsbous ersetzt werden soll. Das Geld, meint er, verhülle und begünstige
die Ausbeutung des Arbeiters, es gestatte den Diebstahl, da man damit seinen
Lohn auf die kleinste Summe herabdrücken könne, die nötig sei, um uicht vor
Hunger zu sterben. II lÄut tngr, tnsr

Man muß gestehen, daß Zola diese Lehren gründlich studirt hat und
daß er manches treffliche Wort darüber dem jüdischen Gelehrten in den Mund
legt; er läßt auch an dieser Stelle den vielgepriesenen Grundsatz völliger
Objektivität wiederholt fallen und spricht seine eigne Ansicht aus. Das Geld
-- sagt er in seiner wenig anmutigen, bilderreichen Sprache -- ist bis hente
immer daS Mistbeet gewesen, ans dem die kommende Menschheit aufgewachsen
ist. Das Geld ist trotz seiner vergiftenden und zerstörenden Wirkungen der
Sauerteig für jede soziale Entwicklung, der notwendige Dünger für gewaltige
Arbeitsleistungen geworden, die das menschliche Dasein erleichtern. Warum
das Geld verantwortlich machen für alle die Schweinereien und Verbrechen,
zu denen es führen kann? Ist denn die Liebe weniger schauen'g, sie, die das
Leben schafft?

Mit dieser tiefsinnigen Frage schließt Zola den achtzehnten Band seiner
großen Kultur- und Sittengeschichte unter dem zweiten Kaiserreiche. Manches
würde in l'^rgsnk den Leser vielleicht interessiren, z. B. die ans genauen
Studien beruhenden Schilderungen des Börsenlebens und des Pariser Gründer¬
schwindels, wenn sich Zola nicht gerade an diesen Stellen bis zum Überdruß
wiederholte und durch die farb- und geistlose Reportersprache bei jedem Leser,
der uicht darauf ausgeht, seinen Sprachschatz durch den Börsenjargon zu be¬
reichern, unsägliche Langeweile hervorriefe. Wir müssen daher dem französischen
Kritiker der Zisvnö als8 äsux mon<Z<zö Recht geben, wenn er sagt, er könne auch
in diesem Roman Zolas weiter nichts finden, als le rexorwM et 1a xorno-
?r^Mo.

Durch den Tod des idealistischen Oktave Feuillee, über dessen Stellung
und Vedentnng die Grenzboten im vorigen Jahre eine Abhandlung brachten,
ist eiir Sitz in der ^viiävinio t'rg.n^ri"iz frei geworden; der Streit über den
Nachfolger hat schon begonnen, und mau hat alles Ernstes Emile Zola zu
dieser Auszeichnung vorgeschlagen. Die verständigen Geister scheinen jedoch
andrer Meinung zu sein und hoffen, daß es Zola hierbei ebenso gehen werde
wie dem naturalistischen Vielschreiber des vorigen Jahrhunderts Restif de la
Bretonne, der beim Mahlgange nur eine Stimme erhielt, nämlich die seines
Gegners.




Zolas antisemitischer Roman

geben und die Verwundeten bis aufs Hemde auszuziehen. Nur eine Schwär¬
merei hat dieser Busch, uur eine, bei der er menschlich denkt und fühlt; das
ist sein schwindsüchtiger Bruder Sigismund, ein junger Gelehrter, der in
Deutschland studirt und sich die Lehren eines Karl Marx angeeignet hat.
Sein Ideal ist der kollektivistische Staat, wo alles Geld abgeschafft und durch
Arbeitsbous ersetzt werden soll. Das Geld, meint er, verhülle und begünstige
die Ausbeutung des Arbeiters, es gestatte den Diebstahl, da man damit seinen
Lohn auf die kleinste Summe herabdrücken könne, die nötig sei, um uicht vor
Hunger zu sterben. II lÄut tngr, tnsr

Man muß gestehen, daß Zola diese Lehren gründlich studirt hat und
daß er manches treffliche Wort darüber dem jüdischen Gelehrten in den Mund
legt; er läßt auch an dieser Stelle den vielgepriesenen Grundsatz völliger
Objektivität wiederholt fallen und spricht seine eigne Ansicht aus. Das Geld
— sagt er in seiner wenig anmutigen, bilderreichen Sprache — ist bis hente
immer daS Mistbeet gewesen, ans dem die kommende Menschheit aufgewachsen
ist. Das Geld ist trotz seiner vergiftenden und zerstörenden Wirkungen der
Sauerteig für jede soziale Entwicklung, der notwendige Dünger für gewaltige
Arbeitsleistungen geworden, die das menschliche Dasein erleichtern. Warum
das Geld verantwortlich machen für alle die Schweinereien und Verbrechen,
zu denen es führen kann? Ist denn die Liebe weniger schauen'g, sie, die das
Leben schafft?

Mit dieser tiefsinnigen Frage schließt Zola den achtzehnten Band seiner
großen Kultur- und Sittengeschichte unter dem zweiten Kaiserreiche. Manches
würde in l'^rgsnk den Leser vielleicht interessiren, z. B. die ans genauen
Studien beruhenden Schilderungen des Börsenlebens und des Pariser Gründer¬
schwindels, wenn sich Zola nicht gerade an diesen Stellen bis zum Überdruß
wiederholte und durch die farb- und geistlose Reportersprache bei jedem Leser,
der uicht darauf ausgeht, seinen Sprachschatz durch den Börsenjargon zu be¬
reichern, unsägliche Langeweile hervorriefe. Wir müssen daher dem französischen
Kritiker der Zisvnö als8 äsux mon<Z<zö Recht geben, wenn er sagt, er könne auch
in diesem Roman Zolas weiter nichts finden, als le rexorwM et 1a xorno-
?r^Mo.

Durch den Tod des idealistischen Oktave Feuillee, über dessen Stellung
und Vedentnng die Grenzboten im vorigen Jahre eine Abhandlung brachten,
ist eiir Sitz in der ^viiävinio t'rg.n^ri«iz frei geworden; der Streit über den
Nachfolger hat schon begonnen, und mau hat alles Ernstes Emile Zola zu
dieser Auszeichnung vorgeschlagen. Die verständigen Geister scheinen jedoch
andrer Meinung zu sein und hoffen, daß es Zola hierbei ebenso gehen werde
wie dem naturalistischen Vielschreiber des vorigen Jahrhunderts Restif de la
Bretonne, der beim Mahlgange nur eine Stimme erhielt, nämlich die seines
Gegners.




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[0199] Zolas antisemitischer Roman geben und die Verwundeten bis aufs Hemde auszuziehen. Nur eine Schwär¬ merei hat dieser Busch, uur eine, bei der er menschlich denkt und fühlt; das ist sein schwindsüchtiger Bruder Sigismund, ein junger Gelehrter, der in Deutschland studirt und sich die Lehren eines Karl Marx angeeignet hat. Sein Ideal ist der kollektivistische Staat, wo alles Geld abgeschafft und durch Arbeitsbous ersetzt werden soll. Das Geld, meint er, verhülle und begünstige die Ausbeutung des Arbeiters, es gestatte den Diebstahl, da man damit seinen Lohn auf die kleinste Summe herabdrücken könne, die nötig sei, um uicht vor Hunger zu sterben. II lÄut tngr, tnsr Man muß gestehen, daß Zola diese Lehren gründlich studirt hat und daß er manches treffliche Wort darüber dem jüdischen Gelehrten in den Mund legt; er läßt auch an dieser Stelle den vielgepriesenen Grundsatz völliger Objektivität wiederholt fallen und spricht seine eigne Ansicht aus. Das Geld — sagt er in seiner wenig anmutigen, bilderreichen Sprache — ist bis hente immer daS Mistbeet gewesen, ans dem die kommende Menschheit aufgewachsen ist. Das Geld ist trotz seiner vergiftenden und zerstörenden Wirkungen der Sauerteig für jede soziale Entwicklung, der notwendige Dünger für gewaltige Arbeitsleistungen geworden, die das menschliche Dasein erleichtern. Warum das Geld verantwortlich machen für alle die Schweinereien und Verbrechen, zu denen es führen kann? Ist denn die Liebe weniger schauen'g, sie, die das Leben schafft? Mit dieser tiefsinnigen Frage schließt Zola den achtzehnten Band seiner großen Kultur- und Sittengeschichte unter dem zweiten Kaiserreiche. Manches würde in l'^rgsnk den Leser vielleicht interessiren, z. B. die ans genauen Studien beruhenden Schilderungen des Börsenlebens und des Pariser Gründer¬ schwindels, wenn sich Zola nicht gerade an diesen Stellen bis zum Überdruß wiederholte und durch die farb- und geistlose Reportersprache bei jedem Leser, der uicht darauf ausgeht, seinen Sprachschatz durch den Börsenjargon zu be¬ reichern, unsägliche Langeweile hervorriefe. Wir müssen daher dem französischen Kritiker der Zisvnö als8 äsux mon<Z<zö Recht geben, wenn er sagt, er könne auch in diesem Roman Zolas weiter nichts finden, als le rexorwM et 1a xorno- ?r^Mo. Durch den Tod des idealistischen Oktave Feuillee, über dessen Stellung und Vedentnng die Grenzboten im vorigen Jahre eine Abhandlung brachten, ist eiir Sitz in der ^viiävinio t'rg.n^ri«iz frei geworden; der Streit über den Nachfolger hat schon begonnen, und mau hat alles Ernstes Emile Zola zu dieser Auszeichnung vorgeschlagen. Die verständigen Geister scheinen jedoch andrer Meinung zu sein und hoffen, daß es Zola hierbei ebenso gehen werde wie dem naturalistischen Vielschreiber des vorigen Jahrhunderts Restif de la Bretonne, der beim Mahlgange nur eine Stimme erhielt, nämlich die seines Gegners.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/199>, abgerufen am 22.05.2024.