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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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rungen habe", zuweilen wünschten, ist nichts andres, als daß die Schule etwas
mehr für ihre Kenntnisse in der politischen neuen Geschichte Hütte thun können.
Mancher hatte es sicher nnr zu bedauern, daß der brave Lehrer, der soviel
Schönes von Perikles und Alcibiades zu erzählen wußte, seinen Unterricht schon
bei dem vorigen oder dein Anfange dieses Jahrhunderts nbzubrecheu ge¬
nötigt war.

Und wenn die Schule mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit und Gewissen¬
haftigkeit die Vertreibung des Pisistratus und des Tarquinius moralisch und
politisch begreiflich zu machen wußte, so war vielleicht mancher in spätern Jahren
ungewiß, ob er denn nun nach deu gleichen im Altertum so beliebten Grundsätzen
auch über König Karl von England und seinen vertriebenen Sohn urteilen
dürfe oder nicht; aus seinem Schulunterricht in der Geschichte werden ihm
nur sehr dunkle Begriffe über diese modernen Ereignisse übrig geblieben sein.

Hier ist der Punkt, wo die Meinungen über das, was auf deu höhern
Schulen geboten werden könnte, bekanntlich einigermaßen nnseinandergehen,
aber der Streit, das wird man mit Freuden zugeben, wird glücklicherweise nicht
leidenschaftlich geführt. Ich gehöre zu denen, die da meinen, der Unterricht
der Jugend könnte wirklich etwas mehr leisten, um das Verständnis unsrer
nächsten Vergangenheit zu erleichtern, er sollte die Wege weisen, auf denen
man zu vollerer Kenntnis der neuern Geschichte gelangen kann. Ich bilde nur
ein, es müßte doch jedermann, der die höhern Schulen besucht hat, einen
klaren Einblick in den heutigen politischen Zustand von Europa erhalten haben,
sodaß ihm die innern Verhältnisse und äußern Beziehungen von jedem dieser
Staaten geläufig wären. Aber ich bin nicht sicher, ob selbst unter meine"
nächsten Fnchgeuosse" an deu Universitäten diese Ansicht geteilt wird, da sich
selbst Treitschke gegen die Versuche ausgesprochen hat, einen ausgiebigern
Unterricht in der Geschichte an deu Mittelschulen erteilen zu lassen.

Die Professoren der Universitäten gefallen sich in dem scheinbar berechtigten
Gedanke", daß sie selbst am meisten berufen wären, dem" kimftigen Beamten,
Arzt, Richter, Geistliche", Nechtsa"walt, Kameralisten und Ökonomen, de"
künftige" Staatsmämier" und Laudtagsboteu die wu"sche"swerte" historischen
Aufklärungen zu geben. Gewiß ein sehr schöner Traum, aber leider nur ein
Traum. Denn sich einbilden zu sollen, daß vou den Tnnsenden von Studenten
der Medizin, der Naturwissenschaft, der Rechte und selbst der Theologie auch
nur der fünfzigste Teil Zeit und Muße übrig behalte, nur sich einigermaße"
mit Geschichte zu beschäftige", ist doch eine zu starke Zumutung. Auch darf
nun gewiß verlangen, daß Betrachtungen solcher Art ans Grund der that¬
sächlichen Verhältnisse an den Universitäten selbst angestellt werden. Nun hat
aber der Besuch der historischen Vorlesungen zum bloßen Zwecke der allgemeine"
Bildung längst aufgehört, ""d größere Privatkollegieu über Geschichte werden
fast ausschließlich nnr von solchen belegt, die sich in diese"" Fache einem


rungen habe», zuweilen wünschten, ist nichts andres, als daß die Schule etwas
mehr für ihre Kenntnisse in der politischen neuen Geschichte Hütte thun können.
Mancher hatte es sicher nnr zu bedauern, daß der brave Lehrer, der soviel
Schönes von Perikles und Alcibiades zu erzählen wußte, seinen Unterricht schon
bei dem vorigen oder dein Anfange dieses Jahrhunderts nbzubrecheu ge¬
nötigt war.

Und wenn die Schule mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit und Gewissen¬
haftigkeit die Vertreibung des Pisistratus und des Tarquinius moralisch und
politisch begreiflich zu machen wußte, so war vielleicht mancher in spätern Jahren
ungewiß, ob er denn nun nach deu gleichen im Altertum so beliebten Grundsätzen
auch über König Karl von England und seinen vertriebenen Sohn urteilen
dürfe oder nicht; aus seinem Schulunterricht in der Geschichte werden ihm
nur sehr dunkle Begriffe über diese modernen Ereignisse übrig geblieben sein.

Hier ist der Punkt, wo die Meinungen über das, was auf deu höhern
Schulen geboten werden könnte, bekanntlich einigermaßen nnseinandergehen,
aber der Streit, das wird man mit Freuden zugeben, wird glücklicherweise nicht
leidenschaftlich geführt. Ich gehöre zu denen, die da meinen, der Unterricht
der Jugend könnte wirklich etwas mehr leisten, um das Verständnis unsrer
nächsten Vergangenheit zu erleichtern, er sollte die Wege weisen, auf denen
man zu vollerer Kenntnis der neuern Geschichte gelangen kann. Ich bilde nur
ein, es müßte doch jedermann, der die höhern Schulen besucht hat, einen
klaren Einblick in den heutigen politischen Zustand von Europa erhalten haben,
sodaß ihm die innern Verhältnisse und äußern Beziehungen von jedem dieser
Staaten geläufig wären. Aber ich bin nicht sicher, ob selbst unter meine»
nächsten Fnchgeuosse» an deu Universitäten diese Ansicht geteilt wird, da sich
selbst Treitschke gegen die Versuche ausgesprochen hat, einen ausgiebigern
Unterricht in der Geschichte an deu Mittelschulen erteilen zu lassen.

Die Professoren der Universitäten gefallen sich in dem scheinbar berechtigten
Gedanke», daß sie selbst am meisten berufen wären, dem" kimftigen Beamten,
Arzt, Richter, Geistliche», Nechtsa»walt, Kameralisten und Ökonomen, de»
künftige» Staatsmämier» und Laudtagsboteu die wu»sche»swerte» historischen
Aufklärungen zu geben. Gewiß ein sehr schöner Traum, aber leider nur ein
Traum. Denn sich einbilden zu sollen, daß vou den Tnnsenden von Studenten
der Medizin, der Naturwissenschaft, der Rechte und selbst der Theologie auch
nur der fünfzigste Teil Zeit und Muße übrig behalte, nur sich einigermaße»
mit Geschichte zu beschäftige«, ist doch eine zu starke Zumutung. Auch darf
nun gewiß verlangen, daß Betrachtungen solcher Art ans Grund der that¬
sächlichen Verhältnisse an den Universitäten selbst angestellt werden. Nun hat
aber der Besuch der historischen Vorlesungen zum bloßen Zwecke der allgemeine»
Bildung längst aufgehört, »»d größere Privatkollegieu über Geschichte werden
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[0518] rungen habe», zuweilen wünschten, ist nichts andres, als daß die Schule etwas mehr für ihre Kenntnisse in der politischen neuen Geschichte Hütte thun können. Mancher hatte es sicher nnr zu bedauern, daß der brave Lehrer, der soviel Schönes von Perikles und Alcibiades zu erzählen wußte, seinen Unterricht schon bei dem vorigen oder dein Anfange dieses Jahrhunderts nbzubrecheu ge¬ nötigt war. Und wenn die Schule mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit und Gewissen¬ haftigkeit die Vertreibung des Pisistratus und des Tarquinius moralisch und politisch begreiflich zu machen wußte, so war vielleicht mancher in spätern Jahren ungewiß, ob er denn nun nach deu gleichen im Altertum so beliebten Grundsätzen auch über König Karl von England und seinen vertriebenen Sohn urteilen dürfe oder nicht; aus seinem Schulunterricht in der Geschichte werden ihm nur sehr dunkle Begriffe über diese modernen Ereignisse übrig geblieben sein. Hier ist der Punkt, wo die Meinungen über das, was auf deu höhern Schulen geboten werden könnte, bekanntlich einigermaßen nnseinandergehen, aber der Streit, das wird man mit Freuden zugeben, wird glücklicherweise nicht leidenschaftlich geführt. Ich gehöre zu denen, die da meinen, der Unterricht der Jugend könnte wirklich etwas mehr leisten, um das Verständnis unsrer nächsten Vergangenheit zu erleichtern, er sollte die Wege weisen, auf denen man zu vollerer Kenntnis der neuern Geschichte gelangen kann. Ich bilde nur ein, es müßte doch jedermann, der die höhern Schulen besucht hat, einen klaren Einblick in den heutigen politischen Zustand von Europa erhalten haben, sodaß ihm die innern Verhältnisse und äußern Beziehungen von jedem dieser Staaten geläufig wären. Aber ich bin nicht sicher, ob selbst unter meine» nächsten Fnchgeuosse» an deu Universitäten diese Ansicht geteilt wird, da sich selbst Treitschke gegen die Versuche ausgesprochen hat, einen ausgiebigern Unterricht in der Geschichte an deu Mittelschulen erteilen zu lassen. Die Professoren der Universitäten gefallen sich in dem scheinbar berechtigten Gedanke», daß sie selbst am meisten berufen wären, dem" kimftigen Beamten, Arzt, Richter, Geistliche», Nechtsa»walt, Kameralisten und Ökonomen, de» künftige» Staatsmämier» und Laudtagsboteu die wu»sche»swerte» historischen Aufklärungen zu geben. Gewiß ein sehr schöner Traum, aber leider nur ein Traum. Denn sich einbilden zu sollen, daß vou den Tnnsenden von Studenten der Medizin, der Naturwissenschaft, der Rechte und selbst der Theologie auch nur der fünfzigste Teil Zeit und Muße übrig behalte, nur sich einigermaße» mit Geschichte zu beschäftige«, ist doch eine zu starke Zumutung. Auch darf nun gewiß verlangen, daß Betrachtungen solcher Art ans Grund der that¬ sächlichen Verhältnisse an den Universitäten selbst angestellt werden. Nun hat aber der Besuch der historischen Vorlesungen zum bloßen Zwecke der allgemeine» Bildung längst aufgehört, »»d größere Privatkollegieu über Geschichte werden fast ausschließlich nnr von solchen belegt, die sich in diese»« Fache einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/518>, abgerufen am 21.05.2024.