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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Examen unterziehen wollen. Ich habe in meinem vor kurzem erschienenen zweiten
Bande der "Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben" ans Grund
von allerdings nur ungefähr zutreffenden statistischen Zusammenstellungen, die
ich nur zu verschaffen gesucht habe, nachgewiesen, daß im besten Falle zehn Pro¬
zent aller Studenten Kollegien über Geschichte hören, und habe zugleich die
dringende Bitte ausgesprochen, mich zu berichtigen, wenn jemand glaubt, bessere
Erfahrungen in dieser Beziehung zu haben. Man scheint es jedoch vorzuziehen,
diese Sache tot zu schweigen, wie mau es immer thut, wen" man mit unange-
nehmen Thatsache" zu rechnen hat. Ich glaube aber meinerseits nunmehr zu
dem Schlüsse berechtigt zu sei", daß die Geschichte auf den Universitäten heut¬
zutage nicht mehr als ein Gegenstand angesehen wird, in dem sich der Student
eine über die Mittelschule hinausreichende Bildung nngedeihen laßt. Von
einem verschwindend kleinen Prozentsatz von Liebhabern aller Fakultäten ab¬
gesehen, ist das Geschichtsstudium ein Fachstudium geworden, und der aller¬
größte Teil der ernsten wissenschaftlichen Kollegien trügt demgemäß auch diesen
Charakter. Weit über zehntausend Studenten, die einstens in Staat, Kirche
und Gesellschaft entscheidende Stellungen einnehmen werden, betrachten ihr ge¬
samtes geschichtliches Wissen mit dem Abgang von der Mittelschule für abge¬
schlossen und denken nicht entfernt daran, sich während ihres Universitäts¬
studiums in dieser Beziehung "weiter auszubilden." Was man von der
Hoffnung redet, daß der Universitätslehrer berufen sein werde, die in den
Mittelschulen noch unausgefüllt gelassene Lücke der historischen Bildung zu
ergänzen, ist eine grobe und vielleicht nicht ganz ""beabsichtigte Täuschung.

In Osterreich, dessen Einrichtungen manchmal unterschätzt werden, hat
man niemals aufgehört, dein Geschichtsstndium auf den Universitäten die Be-
deutuug zuzuschreiben, daß es mindestens für den Juristen unentbehrlich sei.
Man hat in dieser Fakultät gewisse Zwangskollegien ans uralter Universitäts-
traditivn aufrecht erhalten, zu denen anch geschichtliche gehören. Die Maßregel
hat jedoch uur sehr mäßige Wirkungen ausgeübt. Unter den Tausenden und
Abertausenden, die in Wien meine angeblichen Zuhörer gewesen sind, hat immer
uur ein ganz kleiner Teil die Vorlesungen wirklich gehört. Diesem Umstände wird
es wohl zuzuschreiben sein, daß sich die österreichische Regierung endlich ver¬
anlaßt gesehen hat, die österreichische Staatsgeschichte zu einem Gegenstande
der Staatsprüfung zu machen, und daß man in dem Gesetze, das jüngst in
Betreff der juristischen Studien dem österreichischen Herrenhause vorgelegt
worden ist, die ausdrückliche Forderung an den Studenten gestellt findet, sich
in neuerer Staatsgeschichte fortzubilden. Man wird abwarten müssen, welche
Wirkung solche scharfe Maßregeln auf das historische Universitätsstudium aus¬
üben werde". In der Art und Weise, wie man seit der Stndieuorduung vom
Jahre 1855 das Belege,, gewisser Kollegien der philosophischen Fakultät dort
erzwang, lag eine unglaubliche UnWürdigkeit fiskalischer Natur, in deren


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Examen unterziehen wollen. Ich habe in meinem vor kurzem erschienenen zweiten
Bande der „Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben" ans Grund
von allerdings nur ungefähr zutreffenden statistischen Zusammenstellungen, die
ich nur zu verschaffen gesucht habe, nachgewiesen, daß im besten Falle zehn Pro¬
zent aller Studenten Kollegien über Geschichte hören, und habe zugleich die
dringende Bitte ausgesprochen, mich zu berichtigen, wenn jemand glaubt, bessere
Erfahrungen in dieser Beziehung zu haben. Man scheint es jedoch vorzuziehen,
diese Sache tot zu schweigen, wie mau es immer thut, wen» man mit unange-
nehmen Thatsache« zu rechnen hat. Ich glaube aber meinerseits nunmehr zu
dem Schlüsse berechtigt zu sei«, daß die Geschichte auf den Universitäten heut¬
zutage nicht mehr als ein Gegenstand angesehen wird, in dem sich der Student
eine über die Mittelschule hinausreichende Bildung nngedeihen laßt. Von
einem verschwindend kleinen Prozentsatz von Liebhabern aller Fakultäten ab¬
gesehen, ist das Geschichtsstudium ein Fachstudium geworden, und der aller¬
größte Teil der ernsten wissenschaftlichen Kollegien trügt demgemäß auch diesen
Charakter. Weit über zehntausend Studenten, die einstens in Staat, Kirche
und Gesellschaft entscheidende Stellungen einnehmen werden, betrachten ihr ge¬
samtes geschichtliches Wissen mit dem Abgang von der Mittelschule für abge¬
schlossen und denken nicht entfernt daran, sich während ihres Universitäts¬
studiums in dieser Beziehung „weiter auszubilden." Was man von der
Hoffnung redet, daß der Universitätslehrer berufen sein werde, die in den
Mittelschulen noch unausgefüllt gelassene Lücke der historischen Bildung zu
ergänzen, ist eine grobe und vielleicht nicht ganz „„beabsichtigte Täuschung.

In Osterreich, dessen Einrichtungen manchmal unterschätzt werden, hat
man niemals aufgehört, dein Geschichtsstndium auf den Universitäten die Be-
deutuug zuzuschreiben, daß es mindestens für den Juristen unentbehrlich sei.
Man hat in dieser Fakultät gewisse Zwangskollegien ans uralter Universitäts-
traditivn aufrecht erhalten, zu denen anch geschichtliche gehören. Die Maßregel
hat jedoch uur sehr mäßige Wirkungen ausgeübt. Unter den Tausenden und
Abertausenden, die in Wien meine angeblichen Zuhörer gewesen sind, hat immer
uur ein ganz kleiner Teil die Vorlesungen wirklich gehört. Diesem Umstände wird
es wohl zuzuschreiben sein, daß sich die österreichische Regierung endlich ver¬
anlaßt gesehen hat, die österreichische Staatsgeschichte zu einem Gegenstande
der Staatsprüfung zu machen, und daß man in dem Gesetze, das jüngst in
Betreff der juristischen Studien dem österreichischen Herrenhause vorgelegt
worden ist, die ausdrückliche Forderung an den Studenten gestellt findet, sich
in neuerer Staatsgeschichte fortzubilden. Man wird abwarten müssen, welche
Wirkung solche scharfe Maßregeln auf das historische Universitätsstudium aus¬
üben werde». In der Art und Weise, wie man seit der Stndieuorduung vom
Jahre 1855 das Belege,, gewisser Kollegien der philosophischen Fakultät dort
erzwang, lag eine unglaubliche UnWürdigkeit fiskalischer Natur, in deren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/519>, abgerufen am 14.06.2024.