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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

Beispielsweise würde ich sehr gern erfahre", bis zu welcher nördlichen Grenzlinie
der Gebrauch vou wo statt des Prvuomen Relationen geht oder die Anwendung
des Artikels bei persönlichen Eigennamen (der Karl, der Müller). Wenn
man mehr ans dergleichen Dinge achtete, könnte man n. a. auch die Entdeckung
machen, daß es Mundarten giebt, die heller. dersell (aus selber, derselbe
entstanden) als Demonstrativpronomen verwenden, und man würde vielleicht die
Überzeugung gewinnen, daß das jetzt leidenschaftlich verfolgte derselbe nicht bloß
einer Schrulle des papiernen Geistes sein Dasein verdankt.


<v. Bchaghel
Vorbedingung.

In Heft 21 ist die herrliche Sprachneuheit Abmangel
in ihrem geschwisterlichen Verhältnisse zu Rückantwort, Herabminderung
u. tgi. gebührend beleuchtet worden. Erlauben Sie mir -- denn das ..jetztzeitigere"
gestatten will mir so wenig aus der Feder wie über die Zunge --, daß ich
die Aufmerksamkeit ihrer Leser noch auf eine andre "Novität" derselben Gattung
lenke, die sich seit geraumer Zeit lebhafter Nachfrage erfreut. Ich meine die Vor¬
bedingung. Früher glaubte man, daß, wenn etwas die Bedingung von etwas
anderm sei, es sich von selbst verstehe, daß es diesem andern vorhergehen müsse.
Das scheint sich aber als Irrtum erwiesen zu haben. Vermutlich hat mau in
neuerer Zeit auch nachträglich eintretende Bedingungen entdeckt, und zur Unter¬
scheidung von diesen hat mau dann die Vorbedingung ausgediftelt. Vielleicht
bekommen wir nun auch bald die Vvrursache und den Vorgrund "bezw." die
Nachwirkung und die Nachfolge, sowie das Vormittel und den Nachzweck.
Denn nnr so ist es ja zu erreichen, daß der Leser "mit zwingender Notwendigkeit"
das Richtige denkt.

Es ist doch merkwürdig: seit nichts mehr bewirkt, verursacht oder veran¬
laßt, sondern alles nnr noch bedingt wird, ist die gute alte Bedingung inzwischen
zur Vorbedingung aufgerückt. Es wird also wohl nicht mehr lange dauern, so
wird sich auch das bedingen zur Vermeidung weiterer noch etwa auszndiftelnder
Mißverständnisse in ein vorbedingen verwandeln; und es kann sich dann nur
noch darum handeln, ob es heißen muß: "ich vorbedinge" oder "ich bedinge vor."
Das wäre dann die Preisfrage der Zukunft.




Litteratur
Geschichte des deutschen Eiuheitstraumes und seiner Erfüllung. In den Grund¬
linien dargestellt von Dr. I, Jastrow. Dritte, vermehrte Auflage. Berlin, Allgemeiner
Berein für Deutsche Litteratur

Daß Bücher, wie diese im Jahre 1885 vom Verein für Deutsche Litteratur
gekrönte Preisschrift, uach Verlauf weniger Jahre zum drittenmal gedruckt werden
müssen, ist eine erfreuliche Erscheinung. Aber es ist auch notwendig, das? die
Deutschen immer wieder daran erinnert werden, ans welchen trostlosen Zuständen
unser Volk erlöst werden mußte, eine wie langwierige Arbeit das war, wie viele
Kopfe und Hände sich daran beteiligen mußten, wie und durch wen endlich das
Ziel erreicht wurde; denn die Gegenwart verrät ein beunruhigend schlechtes Ge-


Litteratur

Beispielsweise würde ich sehr gern erfahre», bis zu welcher nördlichen Grenzlinie
der Gebrauch vou wo statt des Prvuomen Relationen geht oder die Anwendung
des Artikels bei persönlichen Eigennamen (der Karl, der Müller). Wenn
man mehr ans dergleichen Dinge achtete, könnte man n. a. auch die Entdeckung
machen, daß es Mundarten giebt, die heller. dersell (aus selber, derselbe
entstanden) als Demonstrativpronomen verwenden, und man würde vielleicht die
Überzeugung gewinnen, daß das jetzt leidenschaftlich verfolgte derselbe nicht bloß
einer Schrulle des papiernen Geistes sein Dasein verdankt.


<v. Bchaghel
Vorbedingung.

In Heft 21 ist die herrliche Sprachneuheit Abmangel
in ihrem geschwisterlichen Verhältnisse zu Rückantwort, Herabminderung
u. tgi. gebührend beleuchtet worden. Erlauben Sie mir — denn das ..jetztzeitigere"
gestatten will mir so wenig aus der Feder wie über die Zunge —, daß ich
die Aufmerksamkeit ihrer Leser noch auf eine andre „Novität" derselben Gattung
lenke, die sich seit geraumer Zeit lebhafter Nachfrage erfreut. Ich meine die Vor¬
bedingung. Früher glaubte man, daß, wenn etwas die Bedingung von etwas
anderm sei, es sich von selbst verstehe, daß es diesem andern vorhergehen müsse.
Das scheint sich aber als Irrtum erwiesen zu haben. Vermutlich hat mau in
neuerer Zeit auch nachträglich eintretende Bedingungen entdeckt, und zur Unter¬
scheidung von diesen hat mau dann die Vorbedingung ausgediftelt. Vielleicht
bekommen wir nun auch bald die Vvrursache und den Vorgrund „bezw." die
Nachwirkung und die Nachfolge, sowie das Vormittel und den Nachzweck.
Denn nnr so ist es ja zu erreichen, daß der Leser „mit zwingender Notwendigkeit"
das Richtige denkt.

Es ist doch merkwürdig: seit nichts mehr bewirkt, verursacht oder veran¬
laßt, sondern alles nnr noch bedingt wird, ist die gute alte Bedingung inzwischen
zur Vorbedingung aufgerückt. Es wird also wohl nicht mehr lange dauern, so
wird sich auch das bedingen zur Vermeidung weiterer noch etwa auszndiftelnder
Mißverständnisse in ein vorbedingen verwandeln; und es kann sich dann nur
noch darum handeln, ob es heißen muß: „ich vorbedinge" oder „ich bedinge vor."
Das wäre dann die Preisfrage der Zukunft.




Litteratur
Geschichte des deutschen Eiuheitstraumes und seiner Erfüllung. In den Grund¬
linien dargestellt von Dr. I, Jastrow. Dritte, vermehrte Auflage. Berlin, Allgemeiner
Berein für Deutsche Litteratur

Daß Bücher, wie diese im Jahre 1885 vom Verein für Deutsche Litteratur
gekrönte Preisschrift, uach Verlauf weniger Jahre zum drittenmal gedruckt werden
müssen, ist eine erfreuliche Erscheinung. Aber es ist auch notwendig, das? die
Deutschen immer wieder daran erinnert werden, ans welchen trostlosen Zuständen
unser Volk erlöst werden mußte, eine wie langwierige Arbeit das war, wie viele
Kopfe und Hände sich daran beteiligen mußten, wie und durch wen endlich das
Ziel erreicht wurde; denn die Gegenwart verrät ein beunruhigend schlechtes Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/595>, abgerufen am 15.06.2024.