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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Alte und neue Stimmen aus England über Deutschland

behandelt werden. Ich erwähne endlich noch das weitverbreitete und jetzt noch
nicht ganz in Vergessenheit geratene "Zvrirum twins lito aus der Feder einer
ehrlichen englischen Dame, die in einer kleinen norddeutschen Garnisonstadt als
Gattin eines deutschen Offiziers gelebt hatte. Dieses wenn auch in wohl¬
meinenden Sinne und in gutem Glauben geschriebene Buch hat uns Deutschen
seiner Zeit in den Augen der Engländer vielleicht mehr geschadet, als die Bosheiten
der genannten Vorgänger. Denn da die Verfasserin eine Ladh im englischen
Sinne war, so fand sie schon um deswillen Glauben. Aber für den deut¬
schen Leser, der auch die englische Gesellschaft kennt, war es sofort klar, daß
die Unmasse irrtümlicher Auffassungen und Darstellungen aus dem deutschen
Kulturleben daraus zu erklären waren, daß die Verfasserin nie ans ihrer
Obotritenfeste herausgekommen war und die dort herrschenden Überlieferungen
einfach mit der deutschen Durchschnittskultur für einunddasselbe hielt. Unsre
Welt- und Großstädte, Residenzen und Universitäten waren ihr ein unbekanntes
Land geblieben. Obgleich sie aber vom Wellenschlage unsers geistigen Lebens
ganz unberührt geblieben war, es auch unberücksichtigt und unerwähnt ließ,
bekam doch das Kouuz IM großes Ansehen, was sich nach den rasch
auf einander folgenden Auflagen bemessen läßt.

Wenn nun auch die Tragweite der Waffen, die die genannten Verkleinerer
des Deutschtums führen, nicht bis in die höheren Kreise des geistigen Lebens,
weder in die Wissenschaft noch in die Politik hinaufreicht, so ist es doch zu
bedauern, daß sich nicht schon längst ein Engländer gefunden hat, der auf
Grund ernster Studien seinen Landsleuten ein Gesamtbild von dem Leben
des Volkes entworfen hätte, dessen Freundschaft und Bundesgenossenschaft zu
bewahren England seit 1870 als gebieterische Notwendigkeit hat erkennen
lernen. Um so lebhafter wurde der ehrliche Versuch begrüßt, den Sidney
Whitman in seinem Iinvörial Skrinau^ angestellt hat, das neu erstandne
Deutschland in möglichst objektiver Auffassung und unter den verschiedensten
Gesichtspunkten seinen Landsleuten vorzuführen. Durch die baldige Einver¬
leibung des Buches in die Tauchnitzsche Ausgabe ist es, soweit die englische
Zunge klingt, verbreitet worden.

Whitman ist einer der wenigen Ausländer nach Thomas Ccirlyle, die
sich bemüht haben, alle Erscheinungsformen des deutschen Geistes zu verstehen;
und wenn ihm das auch uicht überall gleichmäßig gelungen ist, so sind wir
ihm doch als Bundesgenossen und Pionier für das Deutschtum im Auslande
zu Dank verpflichtet. Auch ihm war die befremdende Erscheinung nicht un¬
bekannt, wie geringes Interesse und Verständnis selbst die gebildeten Eng¬
länder den Zustünden in Deutschland im allgemeinen entgegenbringen, während
sie sich mit unermüdlicher Neugier in den öffentlichen Blättern und in der
Gesellschaft allem zuwenden, was vou Frankreich her gemeldet wird, und zwar
von der Politik und Finanz bis hinab zum fadesten Boulevardklatsch. Denn


Alte und neue Stimmen aus England über Deutschland

behandelt werden. Ich erwähne endlich noch das weitverbreitete und jetzt noch
nicht ganz in Vergessenheit geratene «Zvrirum twins lito aus der Feder einer
ehrlichen englischen Dame, die in einer kleinen norddeutschen Garnisonstadt als
Gattin eines deutschen Offiziers gelebt hatte. Dieses wenn auch in wohl¬
meinenden Sinne und in gutem Glauben geschriebene Buch hat uns Deutschen
seiner Zeit in den Augen der Engländer vielleicht mehr geschadet, als die Bosheiten
der genannten Vorgänger. Denn da die Verfasserin eine Ladh im englischen
Sinne war, so fand sie schon um deswillen Glauben. Aber für den deut¬
schen Leser, der auch die englische Gesellschaft kennt, war es sofort klar, daß
die Unmasse irrtümlicher Auffassungen und Darstellungen aus dem deutschen
Kulturleben daraus zu erklären waren, daß die Verfasserin nie ans ihrer
Obotritenfeste herausgekommen war und die dort herrschenden Überlieferungen
einfach mit der deutschen Durchschnittskultur für einunddasselbe hielt. Unsre
Welt- und Großstädte, Residenzen und Universitäten waren ihr ein unbekanntes
Land geblieben. Obgleich sie aber vom Wellenschlage unsers geistigen Lebens
ganz unberührt geblieben war, es auch unberücksichtigt und unerwähnt ließ,
bekam doch das Kouuz IM großes Ansehen, was sich nach den rasch
auf einander folgenden Auflagen bemessen läßt.

Wenn nun auch die Tragweite der Waffen, die die genannten Verkleinerer
des Deutschtums führen, nicht bis in die höheren Kreise des geistigen Lebens,
weder in die Wissenschaft noch in die Politik hinaufreicht, so ist es doch zu
bedauern, daß sich nicht schon längst ein Engländer gefunden hat, der auf
Grund ernster Studien seinen Landsleuten ein Gesamtbild von dem Leben
des Volkes entworfen hätte, dessen Freundschaft und Bundesgenossenschaft zu
bewahren England seit 1870 als gebieterische Notwendigkeit hat erkennen
lernen. Um so lebhafter wurde der ehrliche Versuch begrüßt, den Sidney
Whitman in seinem Iinvörial Skrinau^ angestellt hat, das neu erstandne
Deutschland in möglichst objektiver Auffassung und unter den verschiedensten
Gesichtspunkten seinen Landsleuten vorzuführen. Durch die baldige Einver¬
leibung des Buches in die Tauchnitzsche Ausgabe ist es, soweit die englische
Zunge klingt, verbreitet worden.

Whitman ist einer der wenigen Ausländer nach Thomas Ccirlyle, die
sich bemüht haben, alle Erscheinungsformen des deutschen Geistes zu verstehen;
und wenn ihm das auch uicht überall gleichmäßig gelungen ist, so sind wir
ihm doch als Bundesgenossen und Pionier für das Deutschtum im Auslande
zu Dank verpflichtet. Auch ihm war die befremdende Erscheinung nicht un¬
bekannt, wie geringes Interesse und Verständnis selbst die gebildeten Eng¬
länder den Zustünden in Deutschland im allgemeinen entgegenbringen, während
sie sich mit unermüdlicher Neugier in den öffentlichen Blättern und in der
Gesellschaft allem zuwenden, was vou Frankreich her gemeldet wird, und zwar
von der Politik und Finanz bis hinab zum fadesten Boulevardklatsch. Denn


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[0223] Alte und neue Stimmen aus England über Deutschland behandelt werden. Ich erwähne endlich noch das weitverbreitete und jetzt noch nicht ganz in Vergessenheit geratene «Zvrirum twins lito aus der Feder einer ehrlichen englischen Dame, die in einer kleinen norddeutschen Garnisonstadt als Gattin eines deutschen Offiziers gelebt hatte. Dieses wenn auch in wohl¬ meinenden Sinne und in gutem Glauben geschriebene Buch hat uns Deutschen seiner Zeit in den Augen der Engländer vielleicht mehr geschadet, als die Bosheiten der genannten Vorgänger. Denn da die Verfasserin eine Ladh im englischen Sinne war, so fand sie schon um deswillen Glauben. Aber für den deut¬ schen Leser, der auch die englische Gesellschaft kennt, war es sofort klar, daß die Unmasse irrtümlicher Auffassungen und Darstellungen aus dem deutschen Kulturleben daraus zu erklären waren, daß die Verfasserin nie ans ihrer Obotritenfeste herausgekommen war und die dort herrschenden Überlieferungen einfach mit der deutschen Durchschnittskultur für einunddasselbe hielt. Unsre Welt- und Großstädte, Residenzen und Universitäten waren ihr ein unbekanntes Land geblieben. Obgleich sie aber vom Wellenschlage unsers geistigen Lebens ganz unberührt geblieben war, es auch unberücksichtigt und unerwähnt ließ, bekam doch das Kouuz IM großes Ansehen, was sich nach den rasch auf einander folgenden Auflagen bemessen läßt. Wenn nun auch die Tragweite der Waffen, die die genannten Verkleinerer des Deutschtums führen, nicht bis in die höheren Kreise des geistigen Lebens, weder in die Wissenschaft noch in die Politik hinaufreicht, so ist es doch zu bedauern, daß sich nicht schon längst ein Engländer gefunden hat, der auf Grund ernster Studien seinen Landsleuten ein Gesamtbild von dem Leben des Volkes entworfen hätte, dessen Freundschaft und Bundesgenossenschaft zu bewahren England seit 1870 als gebieterische Notwendigkeit hat erkennen lernen. Um so lebhafter wurde der ehrliche Versuch begrüßt, den Sidney Whitman in seinem Iinvörial Skrinau^ angestellt hat, das neu erstandne Deutschland in möglichst objektiver Auffassung und unter den verschiedensten Gesichtspunkten seinen Landsleuten vorzuführen. Durch die baldige Einver¬ leibung des Buches in die Tauchnitzsche Ausgabe ist es, soweit die englische Zunge klingt, verbreitet worden. Whitman ist einer der wenigen Ausländer nach Thomas Ccirlyle, die sich bemüht haben, alle Erscheinungsformen des deutschen Geistes zu verstehen; und wenn ihm das auch uicht überall gleichmäßig gelungen ist, so sind wir ihm doch als Bundesgenossen und Pionier für das Deutschtum im Auslande zu Dank verpflichtet. Auch ihm war die befremdende Erscheinung nicht un¬ bekannt, wie geringes Interesse und Verständnis selbst die gebildeten Eng¬ länder den Zustünden in Deutschland im allgemeinen entgegenbringen, während sie sich mit unermüdlicher Neugier in den öffentlichen Blättern und in der Gesellschaft allem zuwenden, was vou Frankreich her gemeldet wird, und zwar von der Politik und Finanz bis hinab zum fadesten Boulevardklatsch. Denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/223>, abgerufen am 15.06.2024.