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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der russische Soldat

sehr viel gedacht und noch mehr geschrieben. So hat z. B. ein gewisser
Doktor Geltowski erkunden wollen, wieviel Schmutz drei Jahre im Mantel
Iwans aufhäufen. Der Mantel ist nämlich das Hauptkleidungsstück Iwans.
Den trägt er bei 15 Grad Wärme und bei 25 Grad Frost, der dient ihm
tags als Mantel, cibeuds und morgens als Schlafrock und nachts als
Decke oder Matratze, je nachdem. Nach den Untersuchungen des wi߬
begierigen Arztes ergab sich, daß Iwans Mantel 886 Gramm Schmutz ent¬
hält, d. h. mehr als drei Pfund. Dieser Schmutz zeigt das gesamte Ver¬
halten des guten Iwan. Was war nicht alles in diesem Schmutz zu finden:
Ziegel, Kalk, Kreide, Stücke getrockneten Speichels, verschiedne Pilze, ganze
Gänge von Jnsektenzellen, von Fis'heu und allerlei beweglichen Mikroben.
Das alles aber beginnt zu wandern unter dem Hauch seines Atems, wenn er
sich im Schlafe den Kopf zudeckt. Von der Wärme dieses Mantels bemerkt
Geltowski, daß es vorteilhafter wäre, ein Hemd und ein dünnes Wams zu
tragen, ja sogar nützlicher, sich in Zeitungspapier einzuschlagen, als dies Sol¬
datenkleid auf bloßem Körper zu tragen. Indem wir diesen Schluß dem Ge¬
wissen des Doktors überlassen, bemerken wir nur, daß dies Mäntelchen Iwan
nicht hindert, beim grimmigsten Frost ebenso gemütlich mit seiner Köchin ein-
hcrzuspazicren, wie ein beliebiger Stutzer in seinem Schuppenpelz.

Iwan liebt niemanden außer den Kameraden, diese aber leidenschaftlich,
wenngleich unbewußt. Es kommt in Schlachten nicht selten vor, daß an einer
Stelle achtzig Soldaten im feindlichen Feuer fallen, weil sie einen verwundeten
Kameraden fortzutragen versuchen. In Iwans Natur ist nichts melodramatisch;
er vollzieht die größten Heldenthaten, ohne auf den Einfall zu kommen, daß
er etwas Ungewöhnliches, Heldenmütiges thue. Tapfer wie ein Löwe, bringt
ihn das tollste und wagehalsigste Unternehmen nicht zum Stutzen, und auf
Befehl des Herrschers geht er mit demselben Gleichmut in den sichern Tod,
wie er etwa zum Mittagessen geht. Überhaupt ist in unserm Heere ein zwar
unbewußter, aber darum nicht minder großartiger Heroismus. Es ist der
Zug, von dem Napoleon sagte: es genügt nicht, den russische" Soldaten
zu töten, man muß ihn noch umwerfen. Die kenntlichste und hervorragendste
Eigenschaft Iwans ist seine Gutmütigkeit, die ihn auch im Kampfe begleitet.
Von den Ausländern hat Iwan, offenbar als ein Erbstück der Vorfahren, eine
höchst sonderbare Vorstellung, für ihn sind sie alle Empörer wider das
Väterchen, den Zaren, und er ist fest überzeugt, daß früher oder später die
ganze Menschheit sich dem Willen des rechtgläubigen Zaren unterwerfen muß.
Iwein hat keinerlei Haß gegen den Feind, er schmäht ihn auch nicht -- wie
denn Iwan im nüchternen Zustand überhaupt nicht zu schimpfen liebt --, hat
er aber getrunken, so entströmen ihm Worte, vor denen man gut thut die
Heiligenbilder aus dem Zimmer zu tragen. Iwan liebt es nicht einmal, den
Feind zu tadeln und seine Tapferkeit zu bestreiten; uur selten hört man von


Der russische Soldat

sehr viel gedacht und noch mehr geschrieben. So hat z. B. ein gewisser
Doktor Geltowski erkunden wollen, wieviel Schmutz drei Jahre im Mantel
Iwans aufhäufen. Der Mantel ist nämlich das Hauptkleidungsstück Iwans.
Den trägt er bei 15 Grad Wärme und bei 25 Grad Frost, der dient ihm
tags als Mantel, cibeuds und morgens als Schlafrock und nachts als
Decke oder Matratze, je nachdem. Nach den Untersuchungen des wi߬
begierigen Arztes ergab sich, daß Iwans Mantel 886 Gramm Schmutz ent¬
hält, d. h. mehr als drei Pfund. Dieser Schmutz zeigt das gesamte Ver¬
halten des guten Iwan. Was war nicht alles in diesem Schmutz zu finden:
Ziegel, Kalk, Kreide, Stücke getrockneten Speichels, verschiedne Pilze, ganze
Gänge von Jnsektenzellen, von Fis'heu und allerlei beweglichen Mikroben.
Das alles aber beginnt zu wandern unter dem Hauch seines Atems, wenn er
sich im Schlafe den Kopf zudeckt. Von der Wärme dieses Mantels bemerkt
Geltowski, daß es vorteilhafter wäre, ein Hemd und ein dünnes Wams zu
tragen, ja sogar nützlicher, sich in Zeitungspapier einzuschlagen, als dies Sol¬
datenkleid auf bloßem Körper zu tragen. Indem wir diesen Schluß dem Ge¬
wissen des Doktors überlassen, bemerken wir nur, daß dies Mäntelchen Iwan
nicht hindert, beim grimmigsten Frost ebenso gemütlich mit seiner Köchin ein-
hcrzuspazicren, wie ein beliebiger Stutzer in seinem Schuppenpelz.

Iwan liebt niemanden außer den Kameraden, diese aber leidenschaftlich,
wenngleich unbewußt. Es kommt in Schlachten nicht selten vor, daß an einer
Stelle achtzig Soldaten im feindlichen Feuer fallen, weil sie einen verwundeten
Kameraden fortzutragen versuchen. In Iwans Natur ist nichts melodramatisch;
er vollzieht die größten Heldenthaten, ohne auf den Einfall zu kommen, daß
er etwas Ungewöhnliches, Heldenmütiges thue. Tapfer wie ein Löwe, bringt
ihn das tollste und wagehalsigste Unternehmen nicht zum Stutzen, und auf
Befehl des Herrschers geht er mit demselben Gleichmut in den sichern Tod,
wie er etwa zum Mittagessen geht. Überhaupt ist in unserm Heere ein zwar
unbewußter, aber darum nicht minder großartiger Heroismus. Es ist der
Zug, von dem Napoleon sagte: es genügt nicht, den russische» Soldaten
zu töten, man muß ihn noch umwerfen. Die kenntlichste und hervorragendste
Eigenschaft Iwans ist seine Gutmütigkeit, die ihn auch im Kampfe begleitet.
Von den Ausländern hat Iwan, offenbar als ein Erbstück der Vorfahren, eine
höchst sonderbare Vorstellung, für ihn sind sie alle Empörer wider das
Väterchen, den Zaren, und er ist fest überzeugt, daß früher oder später die
ganze Menschheit sich dem Willen des rechtgläubigen Zaren unterwerfen muß.
Iwein hat keinerlei Haß gegen den Feind, er schmäht ihn auch nicht — wie
denn Iwan im nüchternen Zustand überhaupt nicht zu schimpfen liebt —, hat
er aber getrunken, so entströmen ihm Worte, vor denen man gut thut die
Heiligenbilder aus dem Zimmer zu tragen. Iwan liebt es nicht einmal, den
Feind zu tadeln und seine Tapferkeit zu bestreiten; uur selten hört man von


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[0494] Der russische Soldat sehr viel gedacht und noch mehr geschrieben. So hat z. B. ein gewisser Doktor Geltowski erkunden wollen, wieviel Schmutz drei Jahre im Mantel Iwans aufhäufen. Der Mantel ist nämlich das Hauptkleidungsstück Iwans. Den trägt er bei 15 Grad Wärme und bei 25 Grad Frost, der dient ihm tags als Mantel, cibeuds und morgens als Schlafrock und nachts als Decke oder Matratze, je nachdem. Nach den Untersuchungen des wi߬ begierigen Arztes ergab sich, daß Iwans Mantel 886 Gramm Schmutz ent¬ hält, d. h. mehr als drei Pfund. Dieser Schmutz zeigt das gesamte Ver¬ halten des guten Iwan. Was war nicht alles in diesem Schmutz zu finden: Ziegel, Kalk, Kreide, Stücke getrockneten Speichels, verschiedne Pilze, ganze Gänge von Jnsektenzellen, von Fis'heu und allerlei beweglichen Mikroben. Das alles aber beginnt zu wandern unter dem Hauch seines Atems, wenn er sich im Schlafe den Kopf zudeckt. Von der Wärme dieses Mantels bemerkt Geltowski, daß es vorteilhafter wäre, ein Hemd und ein dünnes Wams zu tragen, ja sogar nützlicher, sich in Zeitungspapier einzuschlagen, als dies Sol¬ datenkleid auf bloßem Körper zu tragen. Indem wir diesen Schluß dem Ge¬ wissen des Doktors überlassen, bemerken wir nur, daß dies Mäntelchen Iwan nicht hindert, beim grimmigsten Frost ebenso gemütlich mit seiner Köchin ein- hcrzuspazicren, wie ein beliebiger Stutzer in seinem Schuppenpelz. Iwan liebt niemanden außer den Kameraden, diese aber leidenschaftlich, wenngleich unbewußt. Es kommt in Schlachten nicht selten vor, daß an einer Stelle achtzig Soldaten im feindlichen Feuer fallen, weil sie einen verwundeten Kameraden fortzutragen versuchen. In Iwans Natur ist nichts melodramatisch; er vollzieht die größten Heldenthaten, ohne auf den Einfall zu kommen, daß er etwas Ungewöhnliches, Heldenmütiges thue. Tapfer wie ein Löwe, bringt ihn das tollste und wagehalsigste Unternehmen nicht zum Stutzen, und auf Befehl des Herrschers geht er mit demselben Gleichmut in den sichern Tod, wie er etwa zum Mittagessen geht. Überhaupt ist in unserm Heere ein zwar unbewußter, aber darum nicht minder großartiger Heroismus. Es ist der Zug, von dem Napoleon sagte: es genügt nicht, den russische» Soldaten zu töten, man muß ihn noch umwerfen. Die kenntlichste und hervorragendste Eigenschaft Iwans ist seine Gutmütigkeit, die ihn auch im Kampfe begleitet. Von den Ausländern hat Iwan, offenbar als ein Erbstück der Vorfahren, eine höchst sonderbare Vorstellung, für ihn sind sie alle Empörer wider das Väterchen, den Zaren, und er ist fest überzeugt, daß früher oder später die ganze Menschheit sich dem Willen des rechtgläubigen Zaren unterwerfen muß. Iwein hat keinerlei Haß gegen den Feind, er schmäht ihn auch nicht — wie denn Iwan im nüchternen Zustand überhaupt nicht zu schimpfen liebt —, hat er aber getrunken, so entströmen ihm Worte, vor denen man gut thut die Heiligenbilder aus dem Zimmer zu tragen. Iwan liebt es nicht einmal, den Feind zu tadeln und seine Tapferkeit zu bestreiten; uur selten hört man von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/494>, abgerufen am 21.05.2024.