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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Privatkapital aufheben und den sozialen Staat an seine Stelle setzen, in dem
alle Produktionsmittel dein Gemeinwesen gehören. Wenn auch der Staat und
die untergeordneten kommunalen Körperschaften schon jetzt manche Gegenstände
der Privatkonkurrenz entzogen haben, so ist doch der überwiegende Teil der
wirtschaftlichen Arbeiten noch in den Hunden des Privatkapitals geblieben.
Abgesehen davon, daß eine so radikale Umgestaltung aller Verhältnisse, wie
sie die Sozialdemokratie plant, unter allen Umstünden an der Macht der sich
entgegenstellenden realen Umstände scheitern muß, wird von den Sozial¬
demokraten übersehen, daß ihre Bestrebungen ans Voraussetzungen beruhen,
die sich nicht verwirklichen lassen. Die Natur und Eigenart der Menschen und
des Kapitals stehen ihnen im Wege, die Menschen sind von Natur egoistisch
und mit einem nicht geringen Grade von Trägheit ausgerüstet und bieten ihre
Kräfte nur dann auf, wenn ihnen Vorteile in Aussicht gestellt werden. Daran
läßt sich nichts ändern, und in Jahrhunderten wird sich die menschliche Natur
nicht soweit umschaffen lassen, daß nur Pflichtgefühl und Nächstenliebe ihre
Handlungsweise bestimmten. Das Kapital aber würde sich bald verflüchtigen,
wenn es aufhörte, ein Mittel zu sein, dein Einzelnen Vorteile und Annehmlich¬
keiten zu verschaffen. Überdies unterschätzen die Sozialdemokraten den Wert
der geistigen Kräfte, die auch zur Produktion in ihren vielfachen Verzweigungen
erforderlich sind: Studium, Geschäftserfahrung, Routine, technische und kauf¬
männische Kenntnisse u. s. w., und sie begreifen nicht, daß diese Kräfte auch
später erforderlich sein werden, und daß die, die sie besitzen, sich niemals den
Inhabern bloßer Körperkräfte und Handgeschicklichkeiten werden an die Seite
stellen lassen, daß also auch in der neuen sozialen Ordnung sofort wieder
Rangunterschiede und ungleiche Bezahlung der geleisteten Dienste vorhanden
sein werden. Sie begreifen das nicht, obgleich ihnen das bestündige Mißlingen
der Produktivgenossenschaften längst die Überzeugung von der Unmöglichkeit
derartiger Versuche Hütte beibringen müssen.

Anders steht es mit den Produktivgenossenschaften, wie wir sie im Auge
haben, bei denen sich die geistigen Kräfte in Gestalt der Unternehmer, Direk¬
toren, Techniker mit dem Kapital und der Arbeitskraft zu einem gemeinschaft¬
lichen Unternehmen verbinde". Von gleicher Beteiligung der einzelnen Per¬
sonen, die solcher Genossenschaft angehören, kann allerdings keine Rede sein.
Wollte man die Leiter den Arbeitern gleichstellen, so würden sich keine mehr
finden, denn wer würde Zeit, Arbeit und Kosten hergeben, um schließlich
nicht mehr zu erreichen, als was andern ohne diese Aufwendungen zufällt?
Und daß auch das .Kapital seineu Anteil haben muß, steht sür uns außer Frage,
denn nur wegen der Vorteile, die es gewährt, wird es erspart und erhalten.

Wir haben keineswegs Genossenschaften im Auge, die ganze Berufszweige
auf größerm Gebiete umfassen, sondern wir meinen, daß sich die schon vor-
hnndnen Unternehmungen, größere wie kleinere, genossenschaftlich organisiren


Privatkapital aufheben und den sozialen Staat an seine Stelle setzen, in dem
alle Produktionsmittel dein Gemeinwesen gehören. Wenn auch der Staat und
die untergeordneten kommunalen Körperschaften schon jetzt manche Gegenstände
der Privatkonkurrenz entzogen haben, so ist doch der überwiegende Teil der
wirtschaftlichen Arbeiten noch in den Hunden des Privatkapitals geblieben.
Abgesehen davon, daß eine so radikale Umgestaltung aller Verhältnisse, wie
sie die Sozialdemokratie plant, unter allen Umstünden an der Macht der sich
entgegenstellenden realen Umstände scheitern muß, wird von den Sozial¬
demokraten übersehen, daß ihre Bestrebungen ans Voraussetzungen beruhen,
die sich nicht verwirklichen lassen. Die Natur und Eigenart der Menschen und
des Kapitals stehen ihnen im Wege, die Menschen sind von Natur egoistisch
und mit einem nicht geringen Grade von Trägheit ausgerüstet und bieten ihre
Kräfte nur dann auf, wenn ihnen Vorteile in Aussicht gestellt werden. Daran
läßt sich nichts ändern, und in Jahrhunderten wird sich die menschliche Natur
nicht soweit umschaffen lassen, daß nur Pflichtgefühl und Nächstenliebe ihre
Handlungsweise bestimmten. Das Kapital aber würde sich bald verflüchtigen,
wenn es aufhörte, ein Mittel zu sein, dein Einzelnen Vorteile und Annehmlich¬
keiten zu verschaffen. Überdies unterschätzen die Sozialdemokraten den Wert
der geistigen Kräfte, die auch zur Produktion in ihren vielfachen Verzweigungen
erforderlich sind: Studium, Geschäftserfahrung, Routine, technische und kauf¬
männische Kenntnisse u. s. w., und sie begreifen nicht, daß diese Kräfte auch
später erforderlich sein werden, und daß die, die sie besitzen, sich niemals den
Inhabern bloßer Körperkräfte und Handgeschicklichkeiten werden an die Seite
stellen lassen, daß also auch in der neuen sozialen Ordnung sofort wieder
Rangunterschiede und ungleiche Bezahlung der geleisteten Dienste vorhanden
sein werden. Sie begreifen das nicht, obgleich ihnen das bestündige Mißlingen
der Produktivgenossenschaften längst die Überzeugung von der Unmöglichkeit
derartiger Versuche Hütte beibringen müssen.

Anders steht es mit den Produktivgenossenschaften, wie wir sie im Auge
haben, bei denen sich die geistigen Kräfte in Gestalt der Unternehmer, Direk¬
toren, Techniker mit dem Kapital und der Arbeitskraft zu einem gemeinschaft¬
lichen Unternehmen verbinde». Von gleicher Beteiligung der einzelnen Per¬
sonen, die solcher Genossenschaft angehören, kann allerdings keine Rede sein.
Wollte man die Leiter den Arbeitern gleichstellen, so würden sich keine mehr
finden, denn wer würde Zeit, Arbeit und Kosten hergeben, um schließlich
nicht mehr zu erreichen, als was andern ohne diese Aufwendungen zufällt?
Und daß auch das .Kapital seineu Anteil haben muß, steht sür uns außer Frage,
denn nur wegen der Vorteile, die es gewährt, wird es erspart und erhalten.

Wir haben keineswegs Genossenschaften im Auge, die ganze Berufszweige
auf größerm Gebiete umfassen, sondern wir meinen, daß sich die schon vor-
hnndnen Unternehmungen, größere wie kleinere, genossenschaftlich organisiren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/592>, abgerufen am 20.05.2024.