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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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von Spanien erzogner Monarch, ein Enkel Maximilians, gern ein so leichtes
und wohlfeiles Mittel ergriffen haben würde, sich die Gunst der Nation, mit
der er von nun an zusammenleben sollte, zu gewinnen. Aber Selvngiv starb
gerade im entscheidenden Moment, und Karls Umgebung, die gierigen Nieder¬
länder, sah in der Inquisition nur die treffliche, unerschöpfliche Finanzquelle,
und so wurden denn die Cortes mit der Phrase abgefertigt, es sei des Königs
Wille, daß die päpstlichen Dekrete über die Inquisition unverbrüchlich beobachtet
würde"; ihre Auslegung stehe nur dem Papste zu." Durch die Wirksamkeit
dieses abscheulichen Instituts wurde das ganze spanische Volk in eine seltsame
Gemütsverfassung versetzt, von der sich im heutigen Europa, mit Ausnahme
der ruchlosesten unter den großen Verbrechern, vielleicht nur uoch einzelne
Vivisektvren eine Vorstellung macheu könne"; denn sowohl die Stiergefechte
wie die altrömischen Gladiatoreukämpfe sind doch etwas andres, weil dabei
ein ästhetisches Interesse mitspielt. Für den echten Spanier jener Zeit gab
es keinen höhern Genuß, als Menschen lebendig verbrennen zu sehen. "Nur
in Spanien war es möglich, daß die Ankunft einer jungen Königin mit einem
Auto de F6 gefeiert oder die Melancholie eines kränklichen Königs (Karls II.)
durch deu Anblick der lodernden Scheiterhaufen zu verscheuchen gesucht wurde."
Diese tolle Verirrung, sollte man meinen, hätte alle edlern Regungen, alle
zarten Empfindungen in deu Herzen dieses Volkes ersticken müssen, was jedoch
bekanntlich nicht geschah. Wie wunderbar ist doch die unverwüstliche Güte
der Meiischeuseele und die Elastizität, mit der sie sich aus der Verschrobenheit in
ihre natürliche Form zurückbiegt, sobald die verdrehende Kraft aufhört zu wirken!

Es folgt dann nach einigen Aufsätzen über den Nnfehlbarteitsstreit die
ungemein tiefe und geistreiche Abhandlung über den Weissagungsglanben und
das Propheteutum in der christlichen Zeit, die zuerst 1871 in Raumers
Historischen Taschenbuch erschienen ist. Wie sich im Propheten die Hoffnung
seiner Zeit oder seiner Partei verkörpert, und wie sich die Weissagung auf
einer vielstufigen Leiter ans- und abwärts bewegt zwischen einem ans reicher
Lebenserfahrung oder aus dem geheimnisvollen Ahnungsvermögen eines reinen
liebenden Herzens geschöpften Hellsehen und dem bewußten Betrug, der durch
die Weissagung des Gewünschten eben dieses Gewünschte zu verwirklichen sucht,
wird an einer großen Menge meist bisher wenig bekannter oder ganz unbe¬
kannter Beispiele gezeigt. Von den bekanntern wird u. a. die Vision des
Cazvtte erwähnt und als eine Erdichtung desselben Laharpe bezeichnet, der sie
so dramatisch beschrieben habe. Dagegen sei es wahr, sagt Döllinger, daß
dreizehn Jahre vor Ausbruch der Revolution ein berühmter Prediger, Beaure-
gard. in Notre-Dame auf der Kanzel gesprochen habe: "Die Tempel Gottes werden
geplündert und zerstört, seine Feste abgeschafft, sein Name gelästert, sein Dienst
geächtet werden. Ja. was höre, was erblicke ich? Statt der Hymnen zum
Lobe Gottes werden hier lüsterne und profane Lieder gesungen, und die Göttin


von Spanien erzogner Monarch, ein Enkel Maximilians, gern ein so leichtes
und wohlfeiles Mittel ergriffen haben würde, sich die Gunst der Nation, mit
der er von nun an zusammenleben sollte, zu gewinnen. Aber Selvngiv starb
gerade im entscheidenden Moment, und Karls Umgebung, die gierigen Nieder¬
länder, sah in der Inquisition nur die treffliche, unerschöpfliche Finanzquelle,
und so wurden denn die Cortes mit der Phrase abgefertigt, es sei des Königs
Wille, daß die päpstlichen Dekrete über die Inquisition unverbrüchlich beobachtet
würde»; ihre Auslegung stehe nur dem Papste zu." Durch die Wirksamkeit
dieses abscheulichen Instituts wurde das ganze spanische Volk in eine seltsame
Gemütsverfassung versetzt, von der sich im heutigen Europa, mit Ausnahme
der ruchlosesten unter den großen Verbrechern, vielleicht nur uoch einzelne
Vivisektvren eine Vorstellung macheu könne»; denn sowohl die Stiergefechte
wie die altrömischen Gladiatoreukämpfe sind doch etwas andres, weil dabei
ein ästhetisches Interesse mitspielt. Für den echten Spanier jener Zeit gab
es keinen höhern Genuß, als Menschen lebendig verbrennen zu sehen. „Nur
in Spanien war es möglich, daß die Ankunft einer jungen Königin mit einem
Auto de F6 gefeiert oder die Melancholie eines kränklichen Königs (Karls II.)
durch deu Anblick der lodernden Scheiterhaufen zu verscheuchen gesucht wurde."
Diese tolle Verirrung, sollte man meinen, hätte alle edlern Regungen, alle
zarten Empfindungen in deu Herzen dieses Volkes ersticken müssen, was jedoch
bekanntlich nicht geschah. Wie wunderbar ist doch die unverwüstliche Güte
der Meiischeuseele und die Elastizität, mit der sie sich aus der Verschrobenheit in
ihre natürliche Form zurückbiegt, sobald die verdrehende Kraft aufhört zu wirken!

Es folgt dann nach einigen Aufsätzen über den Nnfehlbarteitsstreit die
ungemein tiefe und geistreiche Abhandlung über den Weissagungsglanben und
das Propheteutum in der christlichen Zeit, die zuerst 1871 in Raumers
Historischen Taschenbuch erschienen ist. Wie sich im Propheten die Hoffnung
seiner Zeit oder seiner Partei verkörpert, und wie sich die Weissagung auf
einer vielstufigen Leiter ans- und abwärts bewegt zwischen einem ans reicher
Lebenserfahrung oder aus dem geheimnisvollen Ahnungsvermögen eines reinen
liebenden Herzens geschöpften Hellsehen und dem bewußten Betrug, der durch
die Weissagung des Gewünschten eben dieses Gewünschte zu verwirklichen sucht,
wird an einer großen Menge meist bisher wenig bekannter oder ganz unbe¬
kannter Beispiele gezeigt. Von den bekanntern wird u. a. die Vision des
Cazvtte erwähnt und als eine Erdichtung desselben Laharpe bezeichnet, der sie
so dramatisch beschrieben habe. Dagegen sei es wahr, sagt Döllinger, daß
dreizehn Jahre vor Ausbruch der Revolution ein berühmter Prediger, Beaure-
gard. in Notre-Dame auf der Kanzel gesprochen habe: „Die Tempel Gottes werden
geplündert und zerstört, seine Feste abgeschafft, sein Name gelästert, sein Dienst
geächtet werden. Ja. was höre, was erblicke ich? Statt der Hymnen zum
Lobe Gottes werden hier lüsterne und profane Lieder gesungen, und die Göttin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/607>, abgerufen am 14.06.2024.