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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

der Heiden, Venus selbst, erdreistet sich, hier die Stelle des lebendige" Gottes
einzunehmen, sich auf den Altar zu setzen und die Huldigungen ihrer treuen
Anbeter zu empfangen." Alles dies, fügt der Verfasser bei, "ist einige Jahre
später wirklich, und zwar in eben der Kirche, in der die prophetischen Worte
gesprochen wurden, geschehen. Wer uun den Zustand von Paris in jener
Zeit kennt, der mag sich wohl vorstellen, daß ein Mann wie Beauregard, der
tiefere Blicke in den Abgrund der damaligen Korruption gethan hatte, sehr
wohl Dinge voraussagen konnte, wie sie nachher als Manifestationen des schon
seit geraumer Zeit, wenn anch vorerst mehr nur in der Stille wirkenden
Geistes zu Tage traten." An den mittelalterlichen Weissagungen ist wohl das
merkwürdigste, daß die römische Kurie vou so vielen ausgezeichneten und
frommen Männern mit wunderbarer Übereinstimmung als die große Hure der
Apokalypse bezeichnet wird. Kurz vor der Reformation war im deutschen
Klerus die Ahnung, daß ein großes Strafgericht über ihn hereinbrechen werde,
ziemlich weit verbreitet.

Den Schluß der Sammlung bildet die leider unvollendete Lebensbeschrei¬
bung des Unfehlbarkeitspapstes. Die Persönlichkeit des Mannes tritt darin
mit plastischer Deutlichkeit hervor, und die scheinbaren Widersprüche seines
Lebens werden befriedigend erklärt. Pius war eine ganz weibliche Natur:
gutmütig, liebenswürdig, ein angenehmer Plauderer, voll witziger Einfälle,
erfreute er sich jener Selbstgewißheit, die so leicht zu behaupten ist. wenn man
in der Befriedigung seiner Wünsche und in der Verfolgung seiner Ziele weder
durch die Logik, noch dnrch Wissenschaft, noch durch Kenntnis der Thatsachen
und Geschäfte gestört und behindert wird. Eine Verhandlung mit ihm, sagt
Tocqueville, war wie der Hader mit einem Weibe. Natürlich hatte er immer
Recht, und wenn er heute das Gegenteil von gestern anordnen mußte, so machte
ihn das nicht irre. sein Uufehlbarkeirswahn und die Huldigungen, mit denen
man ihn betäubte, benahmen ihm vollends jeden Zweifel. "Die große Menge
feiler Dirnen -- erzählt Döllinger S. 58!Z --, welche mit dem Einzug der öster¬
reichischen Regimenter ^uach Niederwerfung der Revolution^ in die Städte der
Romagna zum Bedürfnis wurde, machte einen beträchtlichen Aufwand für
ärztliche Überwachung, Behandlung und Verpflegung nötig. Da die städtischen
Behörden diese Kosten zu tragen sich weigerten, übernahm der Papst sie auf
seine eigne Kasse." Solche Kleinigkeiten machten ihn an der Güte seiner
Negierung nicht irre. Das Schlimmste freilich, z. B. daß im Jahre 1851
nicht weniger als 8800 politische Gefangne in seinen Kerkern schmachteten,
erfuhr er gar nicht. Weiber fühlen sich im allgemeinen mehr von männlichen
als vou weibischen Männern angezogen; in diesem Falle jedoch scheint gerade
die Gleichartigkeit des Charakters anziehend gewirkt zu haben. Die unbegrenzte
Verehrung der Frauen für Pius hat in seinen Erfolgen eine sehr wichtige Rolle
gespielt; auch die außerordentliche Schönheit seines Gesichts kam ihm zu statten.




Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

der Heiden, Venus selbst, erdreistet sich, hier die Stelle des lebendige» Gottes
einzunehmen, sich auf den Altar zu setzen und die Huldigungen ihrer treuen
Anbeter zu empfangen." Alles dies, fügt der Verfasser bei, „ist einige Jahre
später wirklich, und zwar in eben der Kirche, in der die prophetischen Worte
gesprochen wurden, geschehen. Wer uun den Zustand von Paris in jener
Zeit kennt, der mag sich wohl vorstellen, daß ein Mann wie Beauregard, der
tiefere Blicke in den Abgrund der damaligen Korruption gethan hatte, sehr
wohl Dinge voraussagen konnte, wie sie nachher als Manifestationen des schon
seit geraumer Zeit, wenn anch vorerst mehr nur in der Stille wirkenden
Geistes zu Tage traten." An den mittelalterlichen Weissagungen ist wohl das
merkwürdigste, daß die römische Kurie vou so vielen ausgezeichneten und
frommen Männern mit wunderbarer Übereinstimmung als die große Hure der
Apokalypse bezeichnet wird. Kurz vor der Reformation war im deutschen
Klerus die Ahnung, daß ein großes Strafgericht über ihn hereinbrechen werde,
ziemlich weit verbreitet.

Den Schluß der Sammlung bildet die leider unvollendete Lebensbeschrei¬
bung des Unfehlbarkeitspapstes. Die Persönlichkeit des Mannes tritt darin
mit plastischer Deutlichkeit hervor, und die scheinbaren Widersprüche seines
Lebens werden befriedigend erklärt. Pius war eine ganz weibliche Natur:
gutmütig, liebenswürdig, ein angenehmer Plauderer, voll witziger Einfälle,
erfreute er sich jener Selbstgewißheit, die so leicht zu behaupten ist. wenn man
in der Befriedigung seiner Wünsche und in der Verfolgung seiner Ziele weder
durch die Logik, noch dnrch Wissenschaft, noch durch Kenntnis der Thatsachen
und Geschäfte gestört und behindert wird. Eine Verhandlung mit ihm, sagt
Tocqueville, war wie der Hader mit einem Weibe. Natürlich hatte er immer
Recht, und wenn er heute das Gegenteil von gestern anordnen mußte, so machte
ihn das nicht irre. sein Uufehlbarkeirswahn und die Huldigungen, mit denen
man ihn betäubte, benahmen ihm vollends jeden Zweifel. „Die große Menge
feiler Dirnen — erzählt Döllinger S. 58!Z —, welche mit dem Einzug der öster¬
reichischen Regimenter ^uach Niederwerfung der Revolution^ in die Städte der
Romagna zum Bedürfnis wurde, machte einen beträchtlichen Aufwand für
ärztliche Überwachung, Behandlung und Verpflegung nötig. Da die städtischen
Behörden diese Kosten zu tragen sich weigerten, übernahm der Papst sie auf
seine eigne Kasse." Solche Kleinigkeiten machten ihn an der Güte seiner
Negierung nicht irre. Das Schlimmste freilich, z. B. daß im Jahre 1851
nicht weniger als 8800 politische Gefangne in seinen Kerkern schmachteten,
erfuhr er gar nicht. Weiber fühlen sich im allgemeinen mehr von männlichen
als vou weibischen Männern angezogen; in diesem Falle jedoch scheint gerade
die Gleichartigkeit des Charakters anziehend gewirkt zu haben. Die unbegrenzte
Verehrung der Frauen für Pius hat in seinen Erfolgen eine sehr wichtige Rolle
gespielt; auch die außerordentliche Schönheit seines Gesichts kam ihm zu statten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/608>, abgerufen am 21.05.2024.