Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
^nstitia!

der Geschworne", den wir gerade dort am wenigsten gesucht hätten. Der
Artikel geht von der bekannten Thatsache aus, daß der Rechtsanwalt Munckcl
bei der Beratung des Justizetats im preußischen Abgeordnetenhause die Ge¬
legenheit wahrgenommen hat, Klagen über das Verhalten der Schwurgerichts¬
präsidenten bei der Rechtsbelehruug der Geschwornen vorzubringen, und wendet
sich gegen die Ausfassung des Herrn Muuckel, der in dem Verhalten des
Schwurgerichtspräsidenten in den Fällen der Eheleute Heinze und des Ge¬
schwisterpaares Schweitzer-Prager eine unstatthafte Einwirkung auf die Mei¬
nung der Geschwornen erblickte. In Wahrheit sei in dem Verhalten des
Schwurgerichtsvorsitzenden nur die nötige Korrektur gewissenloser advokatischer
Kunststücke zu sehen gewesen. Durch die freie Advokatur seien in den Stand
der Rechtsanwälte Elemente eingedrungen, die der Geduld und dem Rechts¬
gefühl der Richter und Geschwornen Dinge mundeten, die die erlaubten
Grenzen weit überschritten. Hier Abhilfe eintreten zu lassen sei wünschens¬
wert, aber kaum möglich, und schon deshalb müsse man dafür sein, die Prä¬
sidenten gewähren zu lassen.

Was die Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes in Sachen Heinzes und
Schweitzers in ihrer Rechtsbelehrung gesagt haben, wissen wir nicht; wir unter¬
lassen es daher, uns auf Grund ungenauer oder schlechter Zeitungsberichte
ein Urteil darüber anzumaßen, ob die betreffenden Richter über die ihnen
durch § 300 der Strafprozeßordnung gesteckten Grenzen hinausgegangen und
der ausdrücklichen Gesetzesbestimmung zuwider in eine Würdigung der Beweise
eingetreten sind. Uns genügt es hier festzustellen, daß der Aufsatz der "Post"
von dieser Voraussetzung ausgeht, und daß er sich gleichwohl dafür erklärt,
die Schwurgerichtsvorsitzenden "gewähren zu lassen."

Vom Standpunkte des Gesetzgebers aus sind wir mit dem Aufsatz der
"Post" im Grunde einer Meinung, wenn wir auch die Auffassung für nicht
ganz zutreffend halten können, wonach die in die Anwaltschaft eingedrungnen
"schlechten Elemente" die eigentliche Ursache des Übels sind. Mögen solche
Elemente immerhin und zwar namentlich in Berlin, wie dies selbst die fort¬
schrittliche Vossische Zeitung einräumt, in den Anwaltstand eingedrungen sein,
und mögen sie, wie anderwärts, so auch besonders im Strafverfahren ihre
entsittlichende, volksverwüstende Thätigkeit ausüben, so liegt doch die Wurzel
aller Mißstände nicht in ihnen, sondern in den Bestimmungen eben jener an¬
geblich von den Schwurgerichtsvorsitzenden übertretnen Strafprozeßordnung,
die in ihrer Meinung von der Weisheit der auf sich selbst gestellten Ge¬
schwornen nach den jetzt in mehr als einem Jahrzehnt gesammelten Erfah¬
rungen entschieden zu weit geht. Hier, in der ängstlichen, von einem fast be¬
leidigenden Mißtrauen gegen den rechtsgelehrten Richter zeugenden Absperrung
der Geschwornen von den Richtern des Schwurgerichtshofs sind die zulässige"
Grenzen weit überschritten, und hier ist mit der Reform einzusetzen.


^nstitia!

der Geschworne», den wir gerade dort am wenigsten gesucht hätten. Der
Artikel geht von der bekannten Thatsache aus, daß der Rechtsanwalt Munckcl
bei der Beratung des Justizetats im preußischen Abgeordnetenhause die Ge¬
legenheit wahrgenommen hat, Klagen über das Verhalten der Schwurgerichts¬
präsidenten bei der Rechtsbelehruug der Geschwornen vorzubringen, und wendet
sich gegen die Ausfassung des Herrn Muuckel, der in dem Verhalten des
Schwurgerichtspräsidenten in den Fällen der Eheleute Heinze und des Ge¬
schwisterpaares Schweitzer-Prager eine unstatthafte Einwirkung auf die Mei¬
nung der Geschwornen erblickte. In Wahrheit sei in dem Verhalten des
Schwurgerichtsvorsitzenden nur die nötige Korrektur gewissenloser advokatischer
Kunststücke zu sehen gewesen. Durch die freie Advokatur seien in den Stand
der Rechtsanwälte Elemente eingedrungen, die der Geduld und dem Rechts¬
gefühl der Richter und Geschwornen Dinge mundeten, die die erlaubten
Grenzen weit überschritten. Hier Abhilfe eintreten zu lassen sei wünschens¬
wert, aber kaum möglich, und schon deshalb müsse man dafür sein, die Prä¬
sidenten gewähren zu lassen.

Was die Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes in Sachen Heinzes und
Schweitzers in ihrer Rechtsbelehrung gesagt haben, wissen wir nicht; wir unter¬
lassen es daher, uns auf Grund ungenauer oder schlechter Zeitungsberichte
ein Urteil darüber anzumaßen, ob die betreffenden Richter über die ihnen
durch § 300 der Strafprozeßordnung gesteckten Grenzen hinausgegangen und
der ausdrücklichen Gesetzesbestimmung zuwider in eine Würdigung der Beweise
eingetreten sind. Uns genügt es hier festzustellen, daß der Aufsatz der „Post"
von dieser Voraussetzung ausgeht, und daß er sich gleichwohl dafür erklärt,
die Schwurgerichtsvorsitzenden „gewähren zu lassen."

Vom Standpunkte des Gesetzgebers aus sind wir mit dem Aufsatz der
„Post" im Grunde einer Meinung, wenn wir auch die Auffassung für nicht
ganz zutreffend halten können, wonach die in die Anwaltschaft eingedrungnen
„schlechten Elemente" die eigentliche Ursache des Übels sind. Mögen solche
Elemente immerhin und zwar namentlich in Berlin, wie dies selbst die fort¬
schrittliche Vossische Zeitung einräumt, in den Anwaltstand eingedrungen sein,
und mögen sie, wie anderwärts, so auch besonders im Strafverfahren ihre
entsittlichende, volksverwüstende Thätigkeit ausüben, so liegt doch die Wurzel
aller Mißstände nicht in ihnen, sondern in den Bestimmungen eben jener an¬
geblich von den Schwurgerichtsvorsitzenden übertretnen Strafprozeßordnung,
die in ihrer Meinung von der Weisheit der auf sich selbst gestellten Ge¬
schwornen nach den jetzt in mehr als einem Jahrzehnt gesammelten Erfah¬
rungen entschieden zu weit geht. Hier, in der ängstlichen, von einem fast be¬
leidigenden Mißtrauen gegen den rechtsgelehrten Richter zeugenden Absperrung
der Geschwornen von den Richtern des Schwurgerichtshofs sind die zulässige«
Grenzen weit überschritten, und hier ist mit der Reform einzusetzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211648"/>
          <fw type="header" place="top"> ^nstitia!</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1402" prev="#ID_1401"> der Geschworne», den wir gerade dort am wenigsten gesucht hätten. Der<lb/>
Artikel geht von der bekannten Thatsache aus, daß der Rechtsanwalt Munckcl<lb/>
bei der Beratung des Justizetats im preußischen Abgeordnetenhause die Ge¬<lb/>
legenheit wahrgenommen hat, Klagen über das Verhalten der Schwurgerichts¬<lb/>
präsidenten bei der Rechtsbelehruug der Geschwornen vorzubringen, und wendet<lb/>
sich gegen die Ausfassung des Herrn Muuckel, der in dem Verhalten des<lb/>
Schwurgerichtspräsidenten in den Fällen der Eheleute Heinze und des Ge¬<lb/>
schwisterpaares Schweitzer-Prager eine unstatthafte Einwirkung auf die Mei¬<lb/>
nung der Geschwornen erblickte. In Wahrheit sei in dem Verhalten des<lb/>
Schwurgerichtsvorsitzenden nur die nötige Korrektur gewissenloser advokatischer<lb/>
Kunststücke zu sehen gewesen. Durch die freie Advokatur seien in den Stand<lb/>
der Rechtsanwälte Elemente eingedrungen, die der Geduld und dem Rechts¬<lb/>
gefühl der Richter und Geschwornen Dinge mundeten, die die erlaubten<lb/>
Grenzen weit überschritten. Hier Abhilfe eintreten zu lassen sei wünschens¬<lb/>
wert, aber kaum möglich, und schon deshalb müsse man dafür sein, die Prä¬<lb/>
sidenten gewähren zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1403"> Was die Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes in Sachen Heinzes und<lb/>
Schweitzers in ihrer Rechtsbelehrung gesagt haben, wissen wir nicht; wir unter¬<lb/>
lassen es daher, uns auf Grund ungenauer oder schlechter Zeitungsberichte<lb/>
ein Urteil darüber anzumaßen, ob die betreffenden Richter über die ihnen<lb/>
durch § 300 der Strafprozeßordnung gesteckten Grenzen hinausgegangen und<lb/>
der ausdrücklichen Gesetzesbestimmung zuwider in eine Würdigung der Beweise<lb/>
eingetreten sind. Uns genügt es hier festzustellen, daß der Aufsatz der &#x201E;Post"<lb/>
von dieser Voraussetzung ausgeht, und daß er sich gleichwohl dafür erklärt,<lb/>
die Schwurgerichtsvorsitzenden &#x201E;gewähren zu lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1404"> Vom Standpunkte des Gesetzgebers aus sind wir mit dem Aufsatz der<lb/>
&#x201E;Post" im Grunde einer Meinung, wenn wir auch die Auffassung für nicht<lb/>
ganz zutreffend halten können, wonach die in die Anwaltschaft eingedrungnen<lb/>
&#x201E;schlechten Elemente" die eigentliche Ursache des Übels sind. Mögen solche<lb/>
Elemente immerhin und zwar namentlich in Berlin, wie dies selbst die fort¬<lb/>
schrittliche Vossische Zeitung einräumt, in den Anwaltstand eingedrungen sein,<lb/>
und mögen sie, wie anderwärts, so auch besonders im Strafverfahren ihre<lb/>
entsittlichende, volksverwüstende Thätigkeit ausüben, so liegt doch die Wurzel<lb/>
aller Mißstände nicht in ihnen, sondern in den Bestimmungen eben jener an¬<lb/>
geblich von den Schwurgerichtsvorsitzenden übertretnen Strafprozeßordnung,<lb/>
die in ihrer Meinung von der Weisheit der auf sich selbst gestellten Ge¬<lb/>
schwornen nach den jetzt in mehr als einem Jahrzehnt gesammelten Erfah¬<lb/>
rungen entschieden zu weit geht. Hier, in der ängstlichen, von einem fast be¬<lb/>
leidigenden Mißtrauen gegen den rechtsgelehrten Richter zeugenden Absperrung<lb/>
der Geschwornen von den Richtern des Schwurgerichtshofs sind die zulässige«<lb/>
Grenzen weit überschritten, und hier ist mit der Reform einzusetzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0480] ^nstitia! der Geschworne», den wir gerade dort am wenigsten gesucht hätten. Der Artikel geht von der bekannten Thatsache aus, daß der Rechtsanwalt Munckcl bei der Beratung des Justizetats im preußischen Abgeordnetenhause die Ge¬ legenheit wahrgenommen hat, Klagen über das Verhalten der Schwurgerichts¬ präsidenten bei der Rechtsbelehruug der Geschwornen vorzubringen, und wendet sich gegen die Ausfassung des Herrn Muuckel, der in dem Verhalten des Schwurgerichtspräsidenten in den Fällen der Eheleute Heinze und des Ge¬ schwisterpaares Schweitzer-Prager eine unstatthafte Einwirkung auf die Mei¬ nung der Geschwornen erblickte. In Wahrheit sei in dem Verhalten des Schwurgerichtsvorsitzenden nur die nötige Korrektur gewissenloser advokatischer Kunststücke zu sehen gewesen. Durch die freie Advokatur seien in den Stand der Rechtsanwälte Elemente eingedrungen, die der Geduld und dem Rechts¬ gefühl der Richter und Geschwornen Dinge mundeten, die die erlaubten Grenzen weit überschritten. Hier Abhilfe eintreten zu lassen sei wünschens¬ wert, aber kaum möglich, und schon deshalb müsse man dafür sein, die Prä¬ sidenten gewähren zu lassen. Was die Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes in Sachen Heinzes und Schweitzers in ihrer Rechtsbelehrung gesagt haben, wissen wir nicht; wir unter¬ lassen es daher, uns auf Grund ungenauer oder schlechter Zeitungsberichte ein Urteil darüber anzumaßen, ob die betreffenden Richter über die ihnen durch § 300 der Strafprozeßordnung gesteckten Grenzen hinausgegangen und der ausdrücklichen Gesetzesbestimmung zuwider in eine Würdigung der Beweise eingetreten sind. Uns genügt es hier festzustellen, daß der Aufsatz der „Post" von dieser Voraussetzung ausgeht, und daß er sich gleichwohl dafür erklärt, die Schwurgerichtsvorsitzenden „gewähren zu lassen." Vom Standpunkte des Gesetzgebers aus sind wir mit dem Aufsatz der „Post" im Grunde einer Meinung, wenn wir auch die Auffassung für nicht ganz zutreffend halten können, wonach die in die Anwaltschaft eingedrungnen „schlechten Elemente" die eigentliche Ursache des Übels sind. Mögen solche Elemente immerhin und zwar namentlich in Berlin, wie dies selbst die fort¬ schrittliche Vossische Zeitung einräumt, in den Anwaltstand eingedrungen sein, und mögen sie, wie anderwärts, so auch besonders im Strafverfahren ihre entsittlichende, volksverwüstende Thätigkeit ausüben, so liegt doch die Wurzel aller Mißstände nicht in ihnen, sondern in den Bestimmungen eben jener an¬ geblich von den Schwurgerichtsvorsitzenden übertretnen Strafprozeßordnung, die in ihrer Meinung von der Weisheit der auf sich selbst gestellten Ge¬ schwornen nach den jetzt in mehr als einem Jahrzehnt gesammelten Erfah¬ rungen entschieden zu weit geht. Hier, in der ängstlichen, von einem fast be¬ leidigenden Mißtrauen gegen den rechtsgelehrten Richter zeugenden Absperrung der Geschwornen von den Richtern des Schwurgerichtshofs sind die zulässige« Grenzen weit überschritten, und hier ist mit der Reform einzusetzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/480
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/480>, abgerufen am 27.05.2024.