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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der erste von der Regierung vorgelegte Entwurf der Strafprozeßordnung
kannte kein Geschwornengericht mit hermetisch von den rechtsgelehrten Richtern
abgesperrten, zur Entscheidung der Schuldfrage allein ohne jede Mitwirkung
Sachverständiger berufnen Geschwornen. Er hatte -- es ist dies der sogenannte
Friedbergsche Entwurf, der im Januar 1873 veröffentlicht wurde -- an alte,
mit Zähigkeit in Deutschland festgehaltne Einrichtungen angeknüpft und in
den großen, mittlern und kleinen Schöffengerichten eine Strafgerichtsverfassung
geplant, die die rechtsgelehrten Richter vor Einseitigkeit und Verknöcherung,
die Laien vor den Folgen ihrer ans mangelnder Erfahrung beruhenden Urteils¬
losigkeit bewahrt haben würde, und die sich aller Voraussicht nach im all¬
gemeinen so bewährt haben würde, wie sich die allein herübergeretteten kleinen
Schöffengerichte im großen und ganzen bewährt haben.

Aber die Schulweisheit liberaler, mit Laskerscher Beredsamkeit und
Laskerschem Doktrinarismus verbündeter Professoren wußte es besser. Wie
es überall das Kennzeichen des Liberalismus ist, so brach er auch hier revo¬
lutionär mit den Anschauungen der deutschen Vergangenheit und verpflanzte,
nachdem der korsische Revolutionär in den Rheinlanden damit bereits 1808
durch Einführung der französischen Strafprozeßordnung den Anfang gemacht
hatte, nunmehr jenes fremdartige Gewächs der Jury auf den Boden des ge¬
samten Vaterlandes.

. In dem Mangel eines lebendigen Zusammenwirkens des Nechtsgelehrten-
standcs und des Laieuelementes bei der Urteilsfindnng namentlich in den Fällen
der schwersten Verbrechen, also gerade da, wo ein solches Zusammenwirken am
nllernotwendigsten wäre, liegt die Quelle allen Unheils. Wird diese Quelle
verstopft, dann mögen sich rabulistische, mit weitem Gewisse" und engherziger
Spitzfindigkeit begabte Anwälte die Lunge aus dem Halse reden -- der Er¬
forschung der materiellen Wahrheit wird dies keinen Eintrag thun.

So sehr wir aber nach diesem allen für eine gründliche Reform der
Verfassung unsrer Strafgerichte sind und so dringend erforderlich uns eine
größere Einwirkung der rechtsgelehrten Richter auf die Meinung des Laien-
elemcntes as l^gs tercmcl-i erscheint, ebenso scharf müssen wir uns gegen die
aussprechen. die, wie der Aufsatz der "Post", die notwendige Korrektur der
bestehenden'^ Gesetzgebung ans ungesetzlichen Wege vorzunehmen befürworten.
Man sage nicht, daß, wenn die Vorsitzenden des Schwurgerichts in Sachen
Heinzes und Schweitzers etwa die ihnen durch 300 der Strafprozeßordnung
gegebene Befugnis überschritten haben sollten, es sich um vereinzelte Vor¬
kommnisse handeln würde, die keinen Anlaß zu einer eingehenden Erörterung
bieten würden, und man gehe anch nicht über die Äußerung der "Post" als
einer angeblich vereinzelten Stimme hinweg. Worüber die Anwälte in jenen
beiden Prozessen geklagt haben, ist Gegenstand allgemeiner Klage unter den
Anwälten, und die Äußerung der "Post", die übrigens u. a. der "Reichs-


Greiizbo",'" I 1892 "0

Der erste von der Regierung vorgelegte Entwurf der Strafprozeßordnung
kannte kein Geschwornengericht mit hermetisch von den rechtsgelehrten Richtern
abgesperrten, zur Entscheidung der Schuldfrage allein ohne jede Mitwirkung
Sachverständiger berufnen Geschwornen. Er hatte — es ist dies der sogenannte
Friedbergsche Entwurf, der im Januar 1873 veröffentlicht wurde — an alte,
mit Zähigkeit in Deutschland festgehaltne Einrichtungen angeknüpft und in
den großen, mittlern und kleinen Schöffengerichten eine Strafgerichtsverfassung
geplant, die die rechtsgelehrten Richter vor Einseitigkeit und Verknöcherung,
die Laien vor den Folgen ihrer ans mangelnder Erfahrung beruhenden Urteils¬
losigkeit bewahrt haben würde, und die sich aller Voraussicht nach im all¬
gemeinen so bewährt haben würde, wie sich die allein herübergeretteten kleinen
Schöffengerichte im großen und ganzen bewährt haben.

Aber die Schulweisheit liberaler, mit Laskerscher Beredsamkeit und
Laskerschem Doktrinarismus verbündeter Professoren wußte es besser. Wie
es überall das Kennzeichen des Liberalismus ist, so brach er auch hier revo¬
lutionär mit den Anschauungen der deutschen Vergangenheit und verpflanzte,
nachdem der korsische Revolutionär in den Rheinlanden damit bereits 1808
durch Einführung der französischen Strafprozeßordnung den Anfang gemacht
hatte, nunmehr jenes fremdartige Gewächs der Jury auf den Boden des ge¬
samten Vaterlandes.

. In dem Mangel eines lebendigen Zusammenwirkens des Nechtsgelehrten-
standcs und des Laieuelementes bei der Urteilsfindnng namentlich in den Fällen
der schwersten Verbrechen, also gerade da, wo ein solches Zusammenwirken am
nllernotwendigsten wäre, liegt die Quelle allen Unheils. Wird diese Quelle
verstopft, dann mögen sich rabulistische, mit weitem Gewisse» und engherziger
Spitzfindigkeit begabte Anwälte die Lunge aus dem Halse reden — der Er¬
forschung der materiellen Wahrheit wird dies keinen Eintrag thun.

So sehr wir aber nach diesem allen für eine gründliche Reform der
Verfassung unsrer Strafgerichte sind und so dringend erforderlich uns eine
größere Einwirkung der rechtsgelehrten Richter auf die Meinung des Laien-
elemcntes as l^gs tercmcl-i erscheint, ebenso scharf müssen wir uns gegen die
aussprechen. die, wie der Aufsatz der „Post", die notwendige Korrektur der
bestehenden'^ Gesetzgebung ans ungesetzlichen Wege vorzunehmen befürworten.
Man sage nicht, daß, wenn die Vorsitzenden des Schwurgerichts in Sachen
Heinzes und Schweitzers etwa die ihnen durch 300 der Strafprozeßordnung
gegebene Befugnis überschritten haben sollten, es sich um vereinzelte Vor¬
kommnisse handeln würde, die keinen Anlaß zu einer eingehenden Erörterung
bieten würden, und man gehe anch nicht über die Äußerung der „Post" als
einer angeblich vereinzelten Stimme hinweg. Worüber die Anwälte in jenen
beiden Prozessen geklagt haben, ist Gegenstand allgemeiner Klage unter den
Anwälten, und die Äußerung der „Post", die übrigens u. a. der „Reichs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/481>, abgerufen am 17.06.2024.