Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Trnnksnchtsgosl'tzentwin'f

ob nicht die Rücksicht und Achtung, die jedermann der Rechtsordnung schuldig
ist, ihn von einer solchen Handlungsweise hätte abhalten sollen? Verrat uicht
vielmehr der, der sich in jenen Zustand versetzt, einen Mangel an der der
Rechtsordnung schuldigen Rücksicht und Achtung? Und diese Gleichgiltigkeit
gegen Gesetz und Recht sollte bei der Beurteilung seiner Strafbarkeit ganz anßer
Ansatz bleibe"? Ihr allein sollte gegenüber jenen andern dem Angeklagten nach¬
teiligen persönlichen Umständen, die, obwohl sie an sich straflos sind, dennoch
bei der Strafzumessung so entscheidend ins Gewicht fallen, eine Ansncchme-
stellnng eingeräumt werden? Nein, wir sind der Meinung, das; Trunkenheit
bei Begehung einer strafbaren Handlung, sofern nicht gleichzeitig Umstände da
sind, die sie, wie z. B, jugendliches Alter, in einem mildern Lichte erscheinen
lassen, ne dem Maße, als sie die Strafbarkeit der That vermindert, die Straf¬
barkeit des Thäters erhöht,

Hinweg also mit dem Privilegium des Lasters, das der Moral und dem
unverfälschten Rechtsgefühl stets aufs neue Ärgernis bereitet! Beide fühlen
sich aufs tiefste verletzt, wenn im Namen des Königs und von Rechts wegen
verkündet wird, daß dieser oder jener Messerheld ans außerordentliche Milde
Anspruch erheben dürfe, weil er im Saufgelage des Guten zuviel gethan, daß
der Vater, der fein minderjähriges Kind schändete, eine besondre nachsichtige
Behandlung verdiene, weil er sich durch Völlerei zum Vieh erniedrigt hatte.
Wollten doch unsre gelehrten Richter nur ein wenig schärfer über das grüne
Tuch hinweg ins wirkliche Leben hineinblicken! Sie würden dann finden, daß
sie von ihm auch in diesem Punkte lernen könnten. Gesetzt, ein Telegraphist
oder Eisenbahnbeamter hätte seine Dienststunde versäumt und wollte sich bei
seinem Vorgesetzten mit Trunkenheit entschuldigen, würde er seine Sache nicht
eher verschlimmern als verbessern? Oder wenn ein Dienstbote im Zustande der
Trmikenheit seinem Herrn einen mehr oder minder wertvollen Gegenstand zer¬
schlagen hat, würde er nicht sicherlich den gerechten Unwillen seines Herrn nur noch
vermehren, wenn er als mildernden Umstand gelten machen wollte, er sei be¬
trunken gewesen? Nehme sich der Strafrichter die natürliche und gesunde Rechts-
anschauung, die beide Fragen unbedenklich bejahen wird, zum Muster, Auch
er erwidere dein Straffälligen, der sich mit Trunkenheit entschuldigen zu können
glaubt: Du hast dich gegen die Rechtsordnung vergangen, weil dn dich durch
eignes Verschulden der Fähigkeit zu gesetzmäßigem Verhalten beraubt hast. Und
nnn erdreistest du dich noch obendrein, aus der Geringschätzung deiner Pflichten
gegen Leben, Gesundheit, Eigentum und sonstige Nechtsgüter andrer, die du
dadurch bewiesen hast, Vorteile für dich zu beauspruchen'?




Grenzboten 1 I8!>2!">
Zur Trnnksnchtsgosl'tzentwin'f

ob nicht die Rücksicht und Achtung, die jedermann der Rechtsordnung schuldig
ist, ihn von einer solchen Handlungsweise hätte abhalten sollen? Verrat uicht
vielmehr der, der sich in jenen Zustand versetzt, einen Mangel an der der
Rechtsordnung schuldigen Rücksicht und Achtung? Und diese Gleichgiltigkeit
gegen Gesetz und Recht sollte bei der Beurteilung seiner Strafbarkeit ganz anßer
Ansatz bleibe»? Ihr allein sollte gegenüber jenen andern dem Angeklagten nach¬
teiligen persönlichen Umständen, die, obwohl sie an sich straflos sind, dennoch
bei der Strafzumessung so entscheidend ins Gewicht fallen, eine Ansncchme-
stellnng eingeräumt werden? Nein, wir sind der Meinung, das; Trunkenheit
bei Begehung einer strafbaren Handlung, sofern nicht gleichzeitig Umstände da
sind, die sie, wie z. B, jugendliches Alter, in einem mildern Lichte erscheinen
lassen, ne dem Maße, als sie die Strafbarkeit der That vermindert, die Straf¬
barkeit des Thäters erhöht,

Hinweg also mit dem Privilegium des Lasters, das der Moral und dem
unverfälschten Rechtsgefühl stets aufs neue Ärgernis bereitet! Beide fühlen
sich aufs tiefste verletzt, wenn im Namen des Königs und von Rechts wegen
verkündet wird, daß dieser oder jener Messerheld ans außerordentliche Milde
Anspruch erheben dürfe, weil er im Saufgelage des Guten zuviel gethan, daß
der Vater, der fein minderjähriges Kind schändete, eine besondre nachsichtige
Behandlung verdiene, weil er sich durch Völlerei zum Vieh erniedrigt hatte.
Wollten doch unsre gelehrten Richter nur ein wenig schärfer über das grüne
Tuch hinweg ins wirkliche Leben hineinblicken! Sie würden dann finden, daß
sie von ihm auch in diesem Punkte lernen könnten. Gesetzt, ein Telegraphist
oder Eisenbahnbeamter hätte seine Dienststunde versäumt und wollte sich bei
seinem Vorgesetzten mit Trunkenheit entschuldigen, würde er seine Sache nicht
eher verschlimmern als verbessern? Oder wenn ein Dienstbote im Zustande der
Trmikenheit seinem Herrn einen mehr oder minder wertvollen Gegenstand zer¬
schlagen hat, würde er nicht sicherlich den gerechten Unwillen seines Herrn nur noch
vermehren, wenn er als mildernden Umstand gelten machen wollte, er sei be¬
trunken gewesen? Nehme sich der Strafrichter die natürliche und gesunde Rechts-
anschauung, die beide Fragen unbedenklich bejahen wird, zum Muster, Auch
er erwidere dein Straffälligen, der sich mit Trunkenheit entschuldigen zu können
glaubt: Du hast dich gegen die Rechtsordnung vergangen, weil dn dich durch
eignes Verschulden der Fähigkeit zu gesetzmäßigem Verhalten beraubt hast. Und
nnn erdreistest du dich noch obendrein, aus der Geringschätzung deiner Pflichten
gegen Leben, Gesundheit, Eigentum und sonstige Nechtsgüter andrer, die du
dadurch bewiesen hast, Vorteile für dich zu beauspruchen'?




Grenzboten 1 I8!>2!«>
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211249"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Trnnksnchtsgosl'tzentwin'f</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_231" prev="#ID_230"> ob nicht die Rücksicht und Achtung, die jedermann der Rechtsordnung schuldig<lb/>
ist, ihn von einer solchen Handlungsweise hätte abhalten sollen? Verrat uicht<lb/>
vielmehr der, der sich in jenen Zustand versetzt, einen Mangel an der der<lb/>
Rechtsordnung schuldigen Rücksicht und Achtung? Und diese Gleichgiltigkeit<lb/>
gegen Gesetz und Recht sollte bei der Beurteilung seiner Strafbarkeit ganz anßer<lb/>
Ansatz bleibe»? Ihr allein sollte gegenüber jenen andern dem Angeklagten nach¬<lb/>
teiligen persönlichen Umständen, die, obwohl sie an sich straflos sind, dennoch<lb/>
bei der Strafzumessung so entscheidend ins Gewicht fallen, eine Ansncchme-<lb/>
stellnng eingeräumt werden? Nein, wir sind der Meinung, das; Trunkenheit<lb/>
bei Begehung einer strafbaren Handlung, sofern nicht gleichzeitig Umstände da<lb/>
sind, die sie, wie z. B, jugendliches Alter, in einem mildern Lichte erscheinen<lb/>
lassen, ne dem Maße, als sie die Strafbarkeit der That vermindert, die Straf¬<lb/>
barkeit des Thäters erhöht,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_232"> Hinweg also mit dem Privilegium des Lasters, das der Moral und dem<lb/>
unverfälschten Rechtsgefühl stets aufs neue Ärgernis bereitet! Beide fühlen<lb/>
sich aufs tiefste verletzt, wenn im Namen des Königs und von Rechts wegen<lb/>
verkündet wird, daß dieser oder jener Messerheld ans außerordentliche Milde<lb/>
Anspruch erheben dürfe, weil er im Saufgelage des Guten zuviel gethan, daß<lb/>
der Vater, der fein minderjähriges Kind schändete, eine besondre nachsichtige<lb/>
Behandlung verdiene, weil er sich durch Völlerei zum Vieh erniedrigt hatte.<lb/>
Wollten doch unsre gelehrten Richter nur ein wenig schärfer über das grüne<lb/>
Tuch hinweg ins wirkliche Leben hineinblicken! Sie würden dann finden, daß<lb/>
sie von ihm auch in diesem Punkte lernen könnten. Gesetzt, ein Telegraphist<lb/>
oder Eisenbahnbeamter hätte seine Dienststunde versäumt und wollte sich bei<lb/>
seinem Vorgesetzten mit Trunkenheit entschuldigen, würde er seine Sache nicht<lb/>
eher verschlimmern als verbessern? Oder wenn ein Dienstbote im Zustande der<lb/>
Trmikenheit seinem Herrn einen mehr oder minder wertvollen Gegenstand zer¬<lb/>
schlagen hat, würde er nicht sicherlich den gerechten Unwillen seines Herrn nur noch<lb/>
vermehren, wenn er als mildernden Umstand gelten machen wollte, er sei be¬<lb/>
trunken gewesen? Nehme sich der Strafrichter die natürliche und gesunde Rechts-<lb/>
anschauung, die beide Fragen unbedenklich bejahen wird, zum Muster, Auch<lb/>
er erwidere dein Straffälligen, der sich mit Trunkenheit entschuldigen zu können<lb/>
glaubt: Du hast dich gegen die Rechtsordnung vergangen, weil dn dich durch<lb/>
eignes Verschulden der Fähigkeit zu gesetzmäßigem Verhalten beraubt hast. Und<lb/>
nnn erdreistest du dich noch obendrein, aus der Geringschätzung deiner Pflichten<lb/>
gegen Leben, Gesundheit, Eigentum und sonstige Nechtsgüter andrer, die du<lb/>
dadurch bewiesen hast, Vorteile für dich zu beauspruchen'?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 I8!&gt;2!«&gt;</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] Zur Trnnksnchtsgosl'tzentwin'f ob nicht die Rücksicht und Achtung, die jedermann der Rechtsordnung schuldig ist, ihn von einer solchen Handlungsweise hätte abhalten sollen? Verrat uicht vielmehr der, der sich in jenen Zustand versetzt, einen Mangel an der der Rechtsordnung schuldigen Rücksicht und Achtung? Und diese Gleichgiltigkeit gegen Gesetz und Recht sollte bei der Beurteilung seiner Strafbarkeit ganz anßer Ansatz bleibe»? Ihr allein sollte gegenüber jenen andern dem Angeklagten nach¬ teiligen persönlichen Umständen, die, obwohl sie an sich straflos sind, dennoch bei der Strafzumessung so entscheidend ins Gewicht fallen, eine Ansncchme- stellnng eingeräumt werden? Nein, wir sind der Meinung, das; Trunkenheit bei Begehung einer strafbaren Handlung, sofern nicht gleichzeitig Umstände da sind, die sie, wie z. B, jugendliches Alter, in einem mildern Lichte erscheinen lassen, ne dem Maße, als sie die Strafbarkeit der That vermindert, die Straf¬ barkeit des Thäters erhöht, Hinweg also mit dem Privilegium des Lasters, das der Moral und dem unverfälschten Rechtsgefühl stets aufs neue Ärgernis bereitet! Beide fühlen sich aufs tiefste verletzt, wenn im Namen des Königs und von Rechts wegen verkündet wird, daß dieser oder jener Messerheld ans außerordentliche Milde Anspruch erheben dürfe, weil er im Saufgelage des Guten zuviel gethan, daß der Vater, der fein minderjähriges Kind schändete, eine besondre nachsichtige Behandlung verdiene, weil er sich durch Völlerei zum Vieh erniedrigt hatte. Wollten doch unsre gelehrten Richter nur ein wenig schärfer über das grüne Tuch hinweg ins wirkliche Leben hineinblicken! Sie würden dann finden, daß sie von ihm auch in diesem Punkte lernen könnten. Gesetzt, ein Telegraphist oder Eisenbahnbeamter hätte seine Dienststunde versäumt und wollte sich bei seinem Vorgesetzten mit Trunkenheit entschuldigen, würde er seine Sache nicht eher verschlimmern als verbessern? Oder wenn ein Dienstbote im Zustande der Trmikenheit seinem Herrn einen mehr oder minder wertvollen Gegenstand zer¬ schlagen hat, würde er nicht sicherlich den gerechten Unwillen seines Herrn nur noch vermehren, wenn er als mildernden Umstand gelten machen wollte, er sei be¬ trunken gewesen? Nehme sich der Strafrichter die natürliche und gesunde Rechts- anschauung, die beide Fragen unbedenklich bejahen wird, zum Muster, Auch er erwidere dein Straffälligen, der sich mit Trunkenheit entschuldigen zu können glaubt: Du hast dich gegen die Rechtsordnung vergangen, weil dn dich durch eignes Verschulden der Fähigkeit zu gesetzmäßigem Verhalten beraubt hast. Und nnn erdreistest du dich noch obendrein, aus der Geringschätzung deiner Pflichten gegen Leben, Gesundheit, Eigentum und sonstige Nechtsgüter andrer, die du dadurch bewiesen hast, Vorteile für dich zu beauspruchen'? Grenzboten 1 I8!>2!«>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/81
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/81>, abgerufen am 27.05.2024.