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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aolas Aviegsroman ost^Lif

Schwerenot! hat der Racker harte Knochen! Haltet ihn doch fest, daß ich
ihn kalt machen kann! -- Jean und Maurice waren starr vor dieser Roheit
und hörten nicht auf Choutccms Rufen; sie blieben stehen und konnten es
nicht über sich gewinnen, beizuspringen. Pache dagegen sank in einer religiösen
Anwandlung auf die Kniee, faltete die Hände und begann Gebete zu stammeln,
wie man das am Bette eines Sterbenden zu thun pflegt: Herr im Himmel,
hab Erbarmen mit ihm! Noch einmal schlug Lapoulle vorbei und riß dabei
dem unglücklichen Pferde das eine Ohr herunter; mit lautem Schrei stürzte
es nieder. Wart mal, wart mal! brummte Choutecm. Jetzt werden wirs
kriegen. Laß nicht los, Loubet! Er hatte sein Messer aus der Tasche ge¬
nommen, ein kleines Ding, dessen Klinge nicht länger als ein Finger war.
Er warf sich auf den Körper des Tiers, packte seinen Hals und stieß die
Klinge hinein. Dann wühlte er damit in dem lebenden Fleische herum, bis
er es in Fetzen geschnitten und die Halsader gefunden und durchgerissen hatte.
Das Blut sprang im Bogen heraus, dann floß es wie aus einem Wasserrohr,
während das Pferd mit den Beinen zuckte und ein krampfhafter Schauer über
seine Haut flog. Es dauerte fast fünf Minuten, bis es tot war. Seine
großen, weit geöffneten Augen blickten wie in angstvoller Traurigkeit; sie
waren fest auf die hungrigen Männer gerichtet, die auf das Ende warteten,
dann wurden sie trübe und erloschen. Himmlischer Vater, stammelte Pache,
der noch auf den Knieen lag, steh ihm bei und nimm es auf in deine
heilige Hut!"

Endlich sind die furchtbaren Tage in dem "Lager des Elends" vorbei.
Die Gefangnen werden in großen Trupps durch Sedan über Mouzon nach
der deutschen Grenze gebracht. Unterwegs suchen verschiedne zu entwischen;
manchen gelingt es auch, mancher, z. B. auch Loubet, bleibt unter dem Feuer
der Verfolger. In der Nähe vou Mouzon wird Halt gemacht. Jean und
Maurice kaufen von einem Mädchen Bauernkleider, werfen die Uniform weg
und entkommen. Nur Jenn wird dabei verwundet und muß in Remilly Zu¬
flucht bei Mauricens Onkel, dem Bauern Fonchard, suchen.

Hier in Remilly und später in Paris spielt der dritte Teil des Romans.
Fonchards Sohn Honoru hat als Artillerist die Schlacht bei Sedan mitgemacht
und ist gefallen. Seine Verlobte, die Magd Silvine, die von dem preußischen
Spion Goliath Steinberg vergewaltigt worden ist, eilt auf das Schlachtfeld,
um ihren Geliebten unter den Toten aufzusuchen. Damit schafft sich Zola
eine vortreffliche Gelegenheit, in epischer Lebendigkeit ein Bild von dem
Schlachtfelde zu entwerfen. Die Schreckensbilder, die Silvine zu sehen be¬
kommt, sind mit solcher Ausführlichkeit und so naturalistischer Genauigkeit
gezeichnet, daß sie der Leser nicht sobald wieder los wird. Die Verwüstungen
der Geschosse, das Wimmern der Verwundeten und Sterbenden, der Anblick
entstellter und zerrißner Soldaten, die Hyänen des Schlachtfeldes (von denen


Aolas Aviegsroman ost^Lif

Schwerenot! hat der Racker harte Knochen! Haltet ihn doch fest, daß ich
ihn kalt machen kann! — Jean und Maurice waren starr vor dieser Roheit
und hörten nicht auf Choutccms Rufen; sie blieben stehen und konnten es
nicht über sich gewinnen, beizuspringen. Pache dagegen sank in einer religiösen
Anwandlung auf die Kniee, faltete die Hände und begann Gebete zu stammeln,
wie man das am Bette eines Sterbenden zu thun pflegt: Herr im Himmel,
hab Erbarmen mit ihm! Noch einmal schlug Lapoulle vorbei und riß dabei
dem unglücklichen Pferde das eine Ohr herunter; mit lautem Schrei stürzte
es nieder. Wart mal, wart mal! brummte Choutecm. Jetzt werden wirs
kriegen. Laß nicht los, Loubet! Er hatte sein Messer aus der Tasche ge¬
nommen, ein kleines Ding, dessen Klinge nicht länger als ein Finger war.
Er warf sich auf den Körper des Tiers, packte seinen Hals und stieß die
Klinge hinein. Dann wühlte er damit in dem lebenden Fleische herum, bis
er es in Fetzen geschnitten und die Halsader gefunden und durchgerissen hatte.
Das Blut sprang im Bogen heraus, dann floß es wie aus einem Wasserrohr,
während das Pferd mit den Beinen zuckte und ein krampfhafter Schauer über
seine Haut flog. Es dauerte fast fünf Minuten, bis es tot war. Seine
großen, weit geöffneten Augen blickten wie in angstvoller Traurigkeit; sie
waren fest auf die hungrigen Männer gerichtet, die auf das Ende warteten,
dann wurden sie trübe und erloschen. Himmlischer Vater, stammelte Pache,
der noch auf den Knieen lag, steh ihm bei und nimm es auf in deine
heilige Hut!"

Endlich sind die furchtbaren Tage in dem „Lager des Elends" vorbei.
Die Gefangnen werden in großen Trupps durch Sedan über Mouzon nach
der deutschen Grenze gebracht. Unterwegs suchen verschiedne zu entwischen;
manchen gelingt es auch, mancher, z. B. auch Loubet, bleibt unter dem Feuer
der Verfolger. In der Nähe vou Mouzon wird Halt gemacht. Jean und
Maurice kaufen von einem Mädchen Bauernkleider, werfen die Uniform weg
und entkommen. Nur Jenn wird dabei verwundet und muß in Remilly Zu¬
flucht bei Mauricens Onkel, dem Bauern Fonchard, suchen.

Hier in Remilly und später in Paris spielt der dritte Teil des Romans.
Fonchards Sohn Honoru hat als Artillerist die Schlacht bei Sedan mitgemacht
und ist gefallen. Seine Verlobte, die Magd Silvine, die von dem preußischen
Spion Goliath Steinberg vergewaltigt worden ist, eilt auf das Schlachtfeld,
um ihren Geliebten unter den Toten aufzusuchen. Damit schafft sich Zola
eine vortreffliche Gelegenheit, in epischer Lebendigkeit ein Bild von dem
Schlachtfelde zu entwerfen. Die Schreckensbilder, die Silvine zu sehen be¬
kommt, sind mit solcher Ausführlichkeit und so naturalistischer Genauigkeit
gezeichnet, daß sie der Leser nicht sobald wieder los wird. Die Verwüstungen
der Geschosse, das Wimmern der Verwundeten und Sterbenden, der Anblick
entstellter und zerrißner Soldaten, die Hyänen des Schlachtfeldes (von denen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/373>, abgerufen am 14.06.2024.