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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Zola behauptet, es seien hauptsächlich Juden gewesen), alles erscheint vor
uns, und mau gewinnt den Eindruck, als habe Zola, wie Wereschagin mit
seinen Tendeuzgemälden, die entsetzlichen Bilder nur entworfen, um von dem
Kriege abzuschrecken.

In dem alten Fouchard giebt uns Zola den Typus des engherzigen, selbst¬
süchtigen und geizigen Bauern, der mit der Doppelflinte in der Hand die
hungernden Franzosen von seinem Hofe vertreibt, mit den Franktireurs in
enger Verbindung steht und sich trotzdem die einträgliche Stelle eines Fleisch-
licferanten für das deutsche Heer zu verschaffe" weiß. Dabei bringt er alles
kranke Vieh, dessen er habhaft werden kann, an den Mann und rühmt sich,
mit diesem Geschüft mehr Deutsche getötet zu haben, als manches Großmaul
mit seinem Chassepot. Hier auf den Bauernhof bringt Maurice Levasseur
seinen verwundeten Freund Jean Macquart. Und während dieser von Maurieens
Schwester Henriette gepflegt wird, eilt der junge Advokat nach Paris, um
noch einmal für die Befreiung des Vaterlandes zu kämpfen. Nach dem Ende
des unglücklichen Kriegs tritt er auf die Seite der Kommune und will dort
sein Ideal vou Freiheit und Gleichheit verwirklichen helfen. Bei einem Straßen¬
kampf erhält er einen Vajvnettstoß, er sieht dem Gegner ins Auge und er¬
kennt seinen alten Kriegskameraden Jean Macquart. Der leichtlebige Aka¬
demiker und revolutionäre Schwärmer ist auf den Tod verwundet, verwundet
von dem einst mißachteten, ungebildeten Bauernknecht.

"Ich bin, ruft er ihm zu, das faule Glied, das du abgehauen hast. Der
gesunde Teil Frankreichs, der vernünftige und wichtige, das war der, der
unsrer Erde am nächsten geblieben war; der mußte deu Teil ausrotten, der
durch die Zeit des Empire verdorben und durch Hirngespinste und Üppig¬
keiten charakterlos geworden war. Das Blut mußte fließen, und zwar fran¬
zösisches, der Aderlaß war notwendig, notwendig der Opfertod Lebender in¬
mitten eines reinigenden Feuers. Und der Berg Golgatha wurde erstiegen
bis zur letzten Stufe des Todes; die Nation wurde gekreuzigt, sie führte ihr
Vergehen und wurde von neuem geboren.

Mein alter Jean, du bist der unverdorbne, der gesunde. Geh, geh! nimm
die Hacke, nimm die Schaufel und bestelle den Acker und baue die Häuser
wieder auf. . . . Und ich -- du hast gut gethan, mich niederzustoßen, ich war
das böse Geschwür an deinen Gebeinen! -- Er phantasirte noch weiter. Er
wollte sich erheben und sich am Fenster aufstützen. --

Paris brennt, ruft er aus, nichts soll übrig bleiben. O dieses Feuer,
das alles verschlingt, das alles heilt, ich habe es herbeigewünscht, ja, es be¬
sorgt das Geschäft gut. . . . Laßt mich hinunter, laßt mich das Werk der
Menschlichkeit und der Freiheit vollenden."

Diese letzten Szenen, der Kampf der Regiernngstruppen mit der Kom¬
mune, die Feuersbrunst in Paris, der Tod des unglücklichen Maurice Le-


Zolas Ariegsroman 1^-» VSdlrcle

Zola behauptet, es seien hauptsächlich Juden gewesen), alles erscheint vor
uns, und mau gewinnt den Eindruck, als habe Zola, wie Wereschagin mit
seinen Tendeuzgemälden, die entsetzlichen Bilder nur entworfen, um von dem
Kriege abzuschrecken.

In dem alten Fouchard giebt uns Zola den Typus des engherzigen, selbst¬
süchtigen und geizigen Bauern, der mit der Doppelflinte in der Hand die
hungernden Franzosen von seinem Hofe vertreibt, mit den Franktireurs in
enger Verbindung steht und sich trotzdem die einträgliche Stelle eines Fleisch-
licferanten für das deutsche Heer zu verschaffe» weiß. Dabei bringt er alles
kranke Vieh, dessen er habhaft werden kann, an den Mann und rühmt sich,
mit diesem Geschüft mehr Deutsche getötet zu haben, als manches Großmaul
mit seinem Chassepot. Hier auf den Bauernhof bringt Maurice Levasseur
seinen verwundeten Freund Jean Macquart. Und während dieser von Maurieens
Schwester Henriette gepflegt wird, eilt der junge Advokat nach Paris, um
noch einmal für die Befreiung des Vaterlandes zu kämpfen. Nach dem Ende
des unglücklichen Kriegs tritt er auf die Seite der Kommune und will dort
sein Ideal vou Freiheit und Gleichheit verwirklichen helfen. Bei einem Straßen¬
kampf erhält er einen Vajvnettstoß, er sieht dem Gegner ins Auge und er¬
kennt seinen alten Kriegskameraden Jean Macquart. Der leichtlebige Aka¬
demiker und revolutionäre Schwärmer ist auf den Tod verwundet, verwundet
von dem einst mißachteten, ungebildeten Bauernknecht.

„Ich bin, ruft er ihm zu, das faule Glied, das du abgehauen hast. Der
gesunde Teil Frankreichs, der vernünftige und wichtige, das war der, der
unsrer Erde am nächsten geblieben war; der mußte deu Teil ausrotten, der
durch die Zeit des Empire verdorben und durch Hirngespinste und Üppig¬
keiten charakterlos geworden war. Das Blut mußte fließen, und zwar fran¬
zösisches, der Aderlaß war notwendig, notwendig der Opfertod Lebender in¬
mitten eines reinigenden Feuers. Und der Berg Golgatha wurde erstiegen
bis zur letzten Stufe des Todes; die Nation wurde gekreuzigt, sie führte ihr
Vergehen und wurde von neuem geboren.

Mein alter Jean, du bist der unverdorbne, der gesunde. Geh, geh! nimm
die Hacke, nimm die Schaufel und bestelle den Acker und baue die Häuser
wieder auf. . . . Und ich — du hast gut gethan, mich niederzustoßen, ich war
das böse Geschwür an deinen Gebeinen! — Er phantasirte noch weiter. Er
wollte sich erheben und sich am Fenster aufstützen. —

Paris brennt, ruft er aus, nichts soll übrig bleiben. O dieses Feuer,
das alles verschlingt, das alles heilt, ich habe es herbeigewünscht, ja, es be¬
sorgt das Geschäft gut. . . . Laßt mich hinunter, laßt mich das Werk der
Menschlichkeit und der Freiheit vollenden."

Diese letzten Szenen, der Kampf der Regiernngstruppen mit der Kom¬
mune, die Feuersbrunst in Paris, der Tod des unglücklichen Maurice Le-


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[0374] Zolas Ariegsroman 1^-» VSdlrcle Zola behauptet, es seien hauptsächlich Juden gewesen), alles erscheint vor uns, und mau gewinnt den Eindruck, als habe Zola, wie Wereschagin mit seinen Tendeuzgemälden, die entsetzlichen Bilder nur entworfen, um von dem Kriege abzuschrecken. In dem alten Fouchard giebt uns Zola den Typus des engherzigen, selbst¬ süchtigen und geizigen Bauern, der mit der Doppelflinte in der Hand die hungernden Franzosen von seinem Hofe vertreibt, mit den Franktireurs in enger Verbindung steht und sich trotzdem die einträgliche Stelle eines Fleisch- licferanten für das deutsche Heer zu verschaffe» weiß. Dabei bringt er alles kranke Vieh, dessen er habhaft werden kann, an den Mann und rühmt sich, mit diesem Geschüft mehr Deutsche getötet zu haben, als manches Großmaul mit seinem Chassepot. Hier auf den Bauernhof bringt Maurice Levasseur seinen verwundeten Freund Jean Macquart. Und während dieser von Maurieens Schwester Henriette gepflegt wird, eilt der junge Advokat nach Paris, um noch einmal für die Befreiung des Vaterlandes zu kämpfen. Nach dem Ende des unglücklichen Kriegs tritt er auf die Seite der Kommune und will dort sein Ideal vou Freiheit und Gleichheit verwirklichen helfen. Bei einem Straßen¬ kampf erhält er einen Vajvnettstoß, er sieht dem Gegner ins Auge und er¬ kennt seinen alten Kriegskameraden Jean Macquart. Der leichtlebige Aka¬ demiker und revolutionäre Schwärmer ist auf den Tod verwundet, verwundet von dem einst mißachteten, ungebildeten Bauernknecht. „Ich bin, ruft er ihm zu, das faule Glied, das du abgehauen hast. Der gesunde Teil Frankreichs, der vernünftige und wichtige, das war der, der unsrer Erde am nächsten geblieben war; der mußte deu Teil ausrotten, der durch die Zeit des Empire verdorben und durch Hirngespinste und Üppig¬ keiten charakterlos geworden war. Das Blut mußte fließen, und zwar fran¬ zösisches, der Aderlaß war notwendig, notwendig der Opfertod Lebender in¬ mitten eines reinigenden Feuers. Und der Berg Golgatha wurde erstiegen bis zur letzten Stufe des Todes; die Nation wurde gekreuzigt, sie führte ihr Vergehen und wurde von neuem geboren. Mein alter Jean, du bist der unverdorbne, der gesunde. Geh, geh! nimm die Hacke, nimm die Schaufel und bestelle den Acker und baue die Häuser wieder auf. . . . Und ich — du hast gut gethan, mich niederzustoßen, ich war das böse Geschwür an deinen Gebeinen! — Er phantasirte noch weiter. Er wollte sich erheben und sich am Fenster aufstützen. — Paris brennt, ruft er aus, nichts soll übrig bleiben. O dieses Feuer, das alles verschlingt, das alles heilt, ich habe es herbeigewünscht, ja, es be¬ sorgt das Geschäft gut. . . . Laßt mich hinunter, laßt mich das Werk der Menschlichkeit und der Freiheit vollenden." Diese letzten Szenen, der Kampf der Regiernngstruppen mit der Kom¬ mune, die Feuersbrunst in Paris, der Tod des unglücklichen Maurice Le-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/374>, abgerufen am 21.05.2024.