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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Nberweisnngen von Staatseinkünften

Eine Gemeinde, die reichste des Kreises, und zwar eines Kreises, der in
einer fruchtbaren Gegend der Provinz Sachsen liegt, erhält solgende Zu¬
wendungen aus Staatsmittelin 400 Mark dauernden Zuschuß, 1100 Mark
Schullasteuerleichteruugsgelder, 400 Mark Alterszulagen für die Lehrer.
Das macht 1900 Mark. Dafür läßt die Gemeinde zwei ihrer Lehrer auf
dem Minimaleinkommen sitze" und buchstäblich hungern. Der dritte erhält
den Hauptteil seines Einkommens aus kirchlichen Mitteln. Um Schande halber
wenigstens etwas zu thun, wurde jedem der Lehrer eine Art Trinkgeld in
unwürdiger Form zugewiesen. Die Regierung wollte eingreifen und zu er¬
reichen suchen, daß die Zulagen in anstündiger Weise gewährt würden. Die
Folge war, daß der Schulvorstand beschloß, sich keine Vorschriften machen
zu lassen, und nun erhalten die Lehrer überhaupt nichts mehr. Und die
Regierung mußte schweigen und es geschehen lassen. Wie so etwas mög¬
lich ist? Es hat den gesetzgebenden Herren in Berlin so gefallen. Man hat
im Vertrauen auf die "glänzende Bewährung" der Selbstverwaltung Gelder
"überwiesen," ohne dafür zu sorgen, daß sie im Sinne des Staats ver¬
wendet werden. Mau hat bestimmt, daß der Staatsbeitrag verwendet werden
soll zur Bestreitung des baren Teils des Diensteinkommens der Lehrer, so¬
wie des anderweitigen Diensteinkommens, einschließlich der Aufwendungen für
Dienstwohnung, Feuerung und Bewirtschaftung des Dienstlandes, hat aber
die Form einer freundlichen Ermahnung, nicht die einer zwingenden Be¬
stimmung gewählt. Hierzu kommt, daß die Aufsichtsbehörde durch das Ge¬
setz, betreffend die Feststellung von Anforderungen für Volksschulen vom
26. Mai 1887, das man scherzweise das Gesetz gegen die gemeingefährlichen
Bestrebungen der Schulräte genannt hat, an Händen und Füßen gebunden
worden ist. Nach diesem Gesetze entscheidet, wenn von der SchulaufsichtS-
behörde Anforderungen um eine Schulgemeinde gestellt werden, in Ermange¬
lung des Einverständnisses der Verpflichteten bei Landschulen der Kreisaus¬
schuß, bei Stadtschulen der Bezirksausschuß. Diese Ausschüsse sind aber stets
geneigt, die Partei der Gemeinden zu nehmen. Die staatliche Behörde ist
nicht einmal imstande, ihre Meinung im Kreisausschusse wirksam geltend zu
machen, sie muß sich gefallen lassen, von einer Selbstverwaltuugslörperschaft
einfach abgewiesen werde". Sie handelt im Interesse des staatlichen An¬
sehens, wenn sie ihre Anforderungen lieber fallen läßt, als sie dem Urteile
einer untergeordneten und nicht sachverständigen Behörde zu unterbreiten. So
sieht es in Preußen aus!

Zweierlei hat man durch diese "Überweisungen" erreicht. Erstens hat man
Millionen zweckwidrig ausgegeben, und zweitens hat man die gesamte Lehrer¬
schaft wild gemacht. Die Preußische Lehrerzeitung schreibt: Aus dem Über¬
schusse des Staatseinkommens standen dem Staate 1888 zu Schulzwecken
zwanzig Millionen zur Verfügung. Noch nie ist eine preußische Regierung


Nberweisnngen von Staatseinkünften

Eine Gemeinde, die reichste des Kreises, und zwar eines Kreises, der in
einer fruchtbaren Gegend der Provinz Sachsen liegt, erhält solgende Zu¬
wendungen aus Staatsmittelin 400 Mark dauernden Zuschuß, 1100 Mark
Schullasteuerleichteruugsgelder, 400 Mark Alterszulagen für die Lehrer.
Das macht 1900 Mark. Dafür läßt die Gemeinde zwei ihrer Lehrer auf
dem Minimaleinkommen sitze» und buchstäblich hungern. Der dritte erhält
den Hauptteil seines Einkommens aus kirchlichen Mitteln. Um Schande halber
wenigstens etwas zu thun, wurde jedem der Lehrer eine Art Trinkgeld in
unwürdiger Form zugewiesen. Die Regierung wollte eingreifen und zu er¬
reichen suchen, daß die Zulagen in anstündiger Weise gewährt würden. Die
Folge war, daß der Schulvorstand beschloß, sich keine Vorschriften machen
zu lassen, und nun erhalten die Lehrer überhaupt nichts mehr. Und die
Regierung mußte schweigen und es geschehen lassen. Wie so etwas mög¬
lich ist? Es hat den gesetzgebenden Herren in Berlin so gefallen. Man hat
im Vertrauen auf die „glänzende Bewährung" der Selbstverwaltung Gelder
„überwiesen," ohne dafür zu sorgen, daß sie im Sinne des Staats ver¬
wendet werden. Mau hat bestimmt, daß der Staatsbeitrag verwendet werden
soll zur Bestreitung des baren Teils des Diensteinkommens der Lehrer, so¬
wie des anderweitigen Diensteinkommens, einschließlich der Aufwendungen für
Dienstwohnung, Feuerung und Bewirtschaftung des Dienstlandes, hat aber
die Form einer freundlichen Ermahnung, nicht die einer zwingenden Be¬
stimmung gewählt. Hierzu kommt, daß die Aufsichtsbehörde durch das Ge¬
setz, betreffend die Feststellung von Anforderungen für Volksschulen vom
26. Mai 1887, das man scherzweise das Gesetz gegen die gemeingefährlichen
Bestrebungen der Schulräte genannt hat, an Händen und Füßen gebunden
worden ist. Nach diesem Gesetze entscheidet, wenn von der SchulaufsichtS-
behörde Anforderungen um eine Schulgemeinde gestellt werden, in Ermange¬
lung des Einverständnisses der Verpflichteten bei Landschulen der Kreisaus¬
schuß, bei Stadtschulen der Bezirksausschuß. Diese Ausschüsse sind aber stets
geneigt, die Partei der Gemeinden zu nehmen. Die staatliche Behörde ist
nicht einmal imstande, ihre Meinung im Kreisausschusse wirksam geltend zu
machen, sie muß sich gefallen lassen, von einer Selbstverwaltuugslörperschaft
einfach abgewiesen werde». Sie handelt im Interesse des staatlichen An¬
sehens, wenn sie ihre Anforderungen lieber fallen läßt, als sie dem Urteile
einer untergeordneten und nicht sachverständigen Behörde zu unterbreiten. So
sieht es in Preußen aus!

Zweierlei hat man durch diese „Überweisungen" erreicht. Erstens hat man
Millionen zweckwidrig ausgegeben, und zweitens hat man die gesamte Lehrer¬
schaft wild gemacht. Die Preußische Lehrerzeitung schreibt: Aus dem Über¬
schusse des Staatseinkommens standen dem Staate 1888 zu Schulzwecken
zwanzig Millionen zur Verfügung. Noch nie ist eine preußische Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/118>, abgerufen am 27.05.2024.