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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Rindfleisch wollen wir nicht reden, obwohl in Schlesien in den dreißiger Jahren
das Pfund davon anderthalb bis zwei Silbergroschen, Kalbfleisch das Pfund
nenn Pfennige kostete; das Rindfleisch mag mehr in die Mode gekommen sein,
namentlich seitdem die Schafzucht abgenommen hat und das Hammelfleisch rar
geworden ist. Aber daß 1836. wo die Landbevölkerung noch überwog, wo
anch in der Stadt noch fast jeder Bürger sein Schweinchen mästete, der Durch-
schuittssachsc nicht halb so viel Schweinefleisch gegessen haben sollte als jetzt,
können wir nicht recht glauben; vielleicht ist es nicht der Fleischverbrauch,, der
zugenommen hat, sondern die Zahl der statistischen Aufnahmen, früher werdeu
ebeu mehr Schweine ungezählt verspeist worden sein als heute.

Ein Paradepferd Wolfs und Böhmerts wie aller Optimisten ist ferner
das Sparkassenwesen. Ja doch! Die Sparkassenkapitalien wachsen in allen
Staaten ins Riesige oder sind wenigstens bis zum vorigen Jahre gewachsen,
denn seit einem Jahre ist die Not so groß geworden, daß sogar sie hie und
da abzunehmen anfangen. Sogar sie, sagen wir, weil sie für die Millionen
der vom Grund und Boden losgelösten höhern und niedern Proletarier als
einzige Form des Besitzes übrig geblieben sind. Seitdem Deutschland voll¬
ständig verteilt und all sein Grund und Boden in festem Privat- und Staats¬
besitz ist, kann jeder Bevölkerungszuwachs nur das Proletariat vermehren, und
diesem ist als einzige Form des Erwerbs eines kleinen Kapitals ein durch die
Sparkasse vermittelter Hypothekenansprnch an den vaterländischen Boden übrig
geblieben. Durch Zerschlagung großen Besitzes könnte wohl noch kleiner für
den Nachwuchs geschaffen werden, aber weit entfernt davon, wächst vielmehr
überall in Deutschland -- mit Ausnahme der Provinzen Posen und West¬
preußen, wo die Ansiedlungskommission waltet -- der Großgrundbesitz auf
Kosten des kleinen. Wem das Material zu Gebote stünde, der würde ermit¬
teln können, wie das Wachstum des windigen Sparkassenkapitalbesitzes im ge¬
raden Verhältnis steht zur Abnahme des soliden Grundbesitzes. Selbst wenn
die Zahl der Haus- und Ackerbesitzer nicht absolut abnähme, würde sie schon
im Verhältnis zu der ja stetig wachsenden Gesamtbevölkerung abnehmen. Aber
in Sachsen wenigstens scheint sie sogar absolut abzunehmen. In der erwähnten
Statistik wird u. a. angegeben, in welchem Verhältnis die verschiednen Berufs-
stünde oder Erwerbsarten an dein sächsischen Volkseinkommen 187!) und 1890
teilgenommen haben. Es nahmen daran teil die Einkünfte aus:

1879 1890
Grundbesitz mit rund A>,9 Prozent 16,3 Prozent
Renten " " 10,7 " l1,et
Gehalten und Lohnen " " 34,9 ., 41,3
Handel und Gewerbe " " 33,5 " 3",8

Wolf ist entzückt von dieser Verschiebung. "Der verhältnismüßige Anteil
-- sagt er --, der aus dem Volkseinkommen den arbeitenden Klassen (im


Rindfleisch wollen wir nicht reden, obwohl in Schlesien in den dreißiger Jahren
das Pfund davon anderthalb bis zwei Silbergroschen, Kalbfleisch das Pfund
nenn Pfennige kostete; das Rindfleisch mag mehr in die Mode gekommen sein,
namentlich seitdem die Schafzucht abgenommen hat und das Hammelfleisch rar
geworden ist. Aber daß 1836. wo die Landbevölkerung noch überwog, wo
anch in der Stadt noch fast jeder Bürger sein Schweinchen mästete, der Durch-
schuittssachsc nicht halb so viel Schweinefleisch gegessen haben sollte als jetzt,
können wir nicht recht glauben; vielleicht ist es nicht der Fleischverbrauch,, der
zugenommen hat, sondern die Zahl der statistischen Aufnahmen, früher werdeu
ebeu mehr Schweine ungezählt verspeist worden sein als heute.

Ein Paradepferd Wolfs und Böhmerts wie aller Optimisten ist ferner
das Sparkassenwesen. Ja doch! Die Sparkassenkapitalien wachsen in allen
Staaten ins Riesige oder sind wenigstens bis zum vorigen Jahre gewachsen,
denn seit einem Jahre ist die Not so groß geworden, daß sogar sie hie und
da abzunehmen anfangen. Sogar sie, sagen wir, weil sie für die Millionen
der vom Grund und Boden losgelösten höhern und niedern Proletarier als
einzige Form des Besitzes übrig geblieben sind. Seitdem Deutschland voll¬
ständig verteilt und all sein Grund und Boden in festem Privat- und Staats¬
besitz ist, kann jeder Bevölkerungszuwachs nur das Proletariat vermehren, und
diesem ist als einzige Form des Erwerbs eines kleinen Kapitals ein durch die
Sparkasse vermittelter Hypothekenansprnch an den vaterländischen Boden übrig
geblieben. Durch Zerschlagung großen Besitzes könnte wohl noch kleiner für
den Nachwuchs geschaffen werden, aber weit entfernt davon, wächst vielmehr
überall in Deutschland — mit Ausnahme der Provinzen Posen und West¬
preußen, wo die Ansiedlungskommission waltet — der Großgrundbesitz auf
Kosten des kleinen. Wem das Material zu Gebote stünde, der würde ermit¬
teln können, wie das Wachstum des windigen Sparkassenkapitalbesitzes im ge¬
raden Verhältnis steht zur Abnahme des soliden Grundbesitzes. Selbst wenn
die Zahl der Haus- und Ackerbesitzer nicht absolut abnähme, würde sie schon
im Verhältnis zu der ja stetig wachsenden Gesamtbevölkerung abnehmen. Aber
in Sachsen wenigstens scheint sie sogar absolut abzunehmen. In der erwähnten
Statistik wird u. a. angegeben, in welchem Verhältnis die verschiednen Berufs-
stünde oder Erwerbsarten an dein sächsischen Volkseinkommen 187!) und 1890
teilgenommen haben. Es nahmen daran teil die Einkünfte aus:

1879 1890
Grundbesitz mit rund A>,9 Prozent 16,3 Prozent
Renten „ „ 10,7 „ l1,et
Gehalten und Lohnen „ „ 34,9 ., 41,3
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Wolf ist entzückt von dieser Verschiebung. „Der verhältnismüßige Anteil
— sagt er —, der aus dem Volkseinkommen den arbeitenden Klassen (im


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[0130] Rindfleisch wollen wir nicht reden, obwohl in Schlesien in den dreißiger Jahren das Pfund davon anderthalb bis zwei Silbergroschen, Kalbfleisch das Pfund nenn Pfennige kostete; das Rindfleisch mag mehr in die Mode gekommen sein, namentlich seitdem die Schafzucht abgenommen hat und das Hammelfleisch rar geworden ist. Aber daß 1836. wo die Landbevölkerung noch überwog, wo anch in der Stadt noch fast jeder Bürger sein Schweinchen mästete, der Durch- schuittssachsc nicht halb so viel Schweinefleisch gegessen haben sollte als jetzt, können wir nicht recht glauben; vielleicht ist es nicht der Fleischverbrauch,, der zugenommen hat, sondern die Zahl der statistischen Aufnahmen, früher werdeu ebeu mehr Schweine ungezählt verspeist worden sein als heute. Ein Paradepferd Wolfs und Böhmerts wie aller Optimisten ist ferner das Sparkassenwesen. Ja doch! Die Sparkassenkapitalien wachsen in allen Staaten ins Riesige oder sind wenigstens bis zum vorigen Jahre gewachsen, denn seit einem Jahre ist die Not so groß geworden, daß sogar sie hie und da abzunehmen anfangen. Sogar sie, sagen wir, weil sie für die Millionen der vom Grund und Boden losgelösten höhern und niedern Proletarier als einzige Form des Besitzes übrig geblieben sind. Seitdem Deutschland voll¬ ständig verteilt und all sein Grund und Boden in festem Privat- und Staats¬ besitz ist, kann jeder Bevölkerungszuwachs nur das Proletariat vermehren, und diesem ist als einzige Form des Erwerbs eines kleinen Kapitals ein durch die Sparkasse vermittelter Hypothekenansprnch an den vaterländischen Boden übrig geblieben. Durch Zerschlagung großen Besitzes könnte wohl noch kleiner für den Nachwuchs geschaffen werden, aber weit entfernt davon, wächst vielmehr überall in Deutschland — mit Ausnahme der Provinzen Posen und West¬ preußen, wo die Ansiedlungskommission waltet — der Großgrundbesitz auf Kosten des kleinen. Wem das Material zu Gebote stünde, der würde ermit¬ teln können, wie das Wachstum des windigen Sparkassenkapitalbesitzes im ge¬ raden Verhältnis steht zur Abnahme des soliden Grundbesitzes. Selbst wenn die Zahl der Haus- und Ackerbesitzer nicht absolut abnähme, würde sie schon im Verhältnis zu der ja stetig wachsenden Gesamtbevölkerung abnehmen. Aber in Sachsen wenigstens scheint sie sogar absolut abzunehmen. In der erwähnten Statistik wird u. a. angegeben, in welchem Verhältnis die verschiednen Berufs- stünde oder Erwerbsarten an dein sächsischen Volkseinkommen 187!) und 1890 teilgenommen haben. Es nahmen daran teil die Einkünfte aus: 1879 1890 Grundbesitz mit rund A>,9 Prozent 16,3 Prozent Renten „ „ 10,7 „ l1,et Gehalten und Lohnen „ „ 34,9 ., 41,3 Handel und Gewerbe „ „ 33,5 „ 3»,8 Wolf ist entzückt von dieser Verschiebung. „Der verhältnismüßige Anteil — sagt er —, der aus dem Volkseinkommen den arbeitenden Klassen (im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/130>, abgerufen am 23.05.2024.