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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Schulknlenoer

Jahreseinnahme von 500 bis 800 Mark ein Zuchthäuslerleben oder etwas
besseres bedeute, muß man eben fragen, in welcher Berufsart es erworben wird.

Wir sehen: bei aller Armut haben wir Deutschen weit mehr Wohlstand
und Glück im Lande, als die Sozialdemokraten und -- manche ihrer eifrigsten
Gegner ahnen und zu begreifen vermögen. Als Nation weit ärmer als
England, sind wir als Volk viel reicher, und unser Reichtum ruht auf einer
weit gesundem Grundlage. Noch über vier Fünftel unsrer Nahrungsmittel er¬
zeugen wir auf unserm heimischen Boden, die Engländer ^ nur noch wenig über
ein Fünftel. Unmittelbar im vaterländischen Boden wurzelt die große Mehrheit
unsers Volks mit ihrer Arbeit und ihrer Existenz, die Wurzeln des englischen
Lebens schwimmen im Wasser, schmarotzern in Indien, in Chile, in Deutsch¬
land, in der Türkei, in aller Welt; bekommen es die ausgebeuteten Völker
und Kolonisten satt, so genügt ein Ruck, diese Wurzeln zu zerreißen, und das
englische Volk ist zum Tode des Verschmachtens verurteilt. Eben weil wir
als Nation ärmer sind, sind wir als Volk reicher, und wollen wir die ge¬
sunden Grundlagen unsers Volkslebens, wo sie noch vorhanden sind, erhalten,
wo sie schon zerstört sind, wiederherstellen, so müssen wir vor allem daraus
verzichten, noch weiter nach englischem Muster reich werden zu wollen. Das
wird uns noch deutlicher werden, wenn wir nun auf die Spitze der Gesell¬
schaftspyramide einen Blick werfen.




Katholische ^chulkalender

ir möchten heute auf eine Erscheinung in unserm sehnlicher
hinweisen, die wohl jedermann bekannt ist, der als Lehrer oder
> Vater dem sehnlicher nahe steht, die aber in ihrer stillen und
im Verborgnen schleichenden Wirksamkeit viel zu wenig beachtet
kund gewürdigt zu werden scheint.MM

Es ist allbekannt, welch kräftiges Mittet, die breitern Schichten des
Volks in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen und zu bearbeiten und nach
einer bestimmten Richtung zu lenken, die Kalenderlitteratur ist, und wie sich
demgemäß die verschiedensten Strömungen und Parteien in unserm Volksleben
die Pflege dieses Mittels sorglich angelegen sein lassen, um geräuschlos in
ihrem Sinne zu agitiren. Agrarier und Sozialisten, Feudale und Demokraten,
Klerikale und Liberale, sie alle pflügen mit diesem Kalbe, mit mehr oder


Katholische Schulknlenoer

Jahreseinnahme von 500 bis 800 Mark ein Zuchthäuslerleben oder etwas
besseres bedeute, muß man eben fragen, in welcher Berufsart es erworben wird.

Wir sehen: bei aller Armut haben wir Deutschen weit mehr Wohlstand
und Glück im Lande, als die Sozialdemokraten und — manche ihrer eifrigsten
Gegner ahnen und zu begreifen vermögen. Als Nation weit ärmer als
England, sind wir als Volk viel reicher, und unser Reichtum ruht auf einer
weit gesundem Grundlage. Noch über vier Fünftel unsrer Nahrungsmittel er¬
zeugen wir auf unserm heimischen Boden, die Engländer ^ nur noch wenig über
ein Fünftel. Unmittelbar im vaterländischen Boden wurzelt die große Mehrheit
unsers Volks mit ihrer Arbeit und ihrer Existenz, die Wurzeln des englischen
Lebens schwimmen im Wasser, schmarotzern in Indien, in Chile, in Deutsch¬
land, in der Türkei, in aller Welt; bekommen es die ausgebeuteten Völker
und Kolonisten satt, so genügt ein Ruck, diese Wurzeln zu zerreißen, und das
englische Volk ist zum Tode des Verschmachtens verurteilt. Eben weil wir
als Nation ärmer sind, sind wir als Volk reicher, und wollen wir die ge¬
sunden Grundlagen unsers Volkslebens, wo sie noch vorhanden sind, erhalten,
wo sie schon zerstört sind, wiederherstellen, so müssen wir vor allem daraus
verzichten, noch weiter nach englischem Muster reich werden zu wollen. Das
wird uns noch deutlicher werden, wenn wir nun auf die Spitze der Gesell¬
schaftspyramide einen Blick werfen.




Katholische ^chulkalender

ir möchten heute auf eine Erscheinung in unserm sehnlicher
hinweisen, die wohl jedermann bekannt ist, der als Lehrer oder
> Vater dem sehnlicher nahe steht, die aber in ihrer stillen und
im Verborgnen schleichenden Wirksamkeit viel zu wenig beachtet
kund gewürdigt zu werden scheint.MM

Es ist allbekannt, welch kräftiges Mittet, die breitern Schichten des
Volks in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen und zu bearbeiten und nach
einer bestimmten Richtung zu lenken, die Kalenderlitteratur ist, und wie sich
demgemäß die verschiedensten Strömungen und Parteien in unserm Volksleben
die Pflege dieses Mittels sorglich angelegen sein lassen, um geräuschlos in
ihrem Sinne zu agitiren. Agrarier und Sozialisten, Feudale und Demokraten,
Klerikale und Liberale, sie alle pflügen mit diesem Kalbe, mit mehr oder


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[0140] Katholische Schulknlenoer Jahreseinnahme von 500 bis 800 Mark ein Zuchthäuslerleben oder etwas besseres bedeute, muß man eben fragen, in welcher Berufsart es erworben wird. Wir sehen: bei aller Armut haben wir Deutschen weit mehr Wohlstand und Glück im Lande, als die Sozialdemokraten und — manche ihrer eifrigsten Gegner ahnen und zu begreifen vermögen. Als Nation weit ärmer als England, sind wir als Volk viel reicher, und unser Reichtum ruht auf einer weit gesundem Grundlage. Noch über vier Fünftel unsrer Nahrungsmittel er¬ zeugen wir auf unserm heimischen Boden, die Engländer ^ nur noch wenig über ein Fünftel. Unmittelbar im vaterländischen Boden wurzelt die große Mehrheit unsers Volks mit ihrer Arbeit und ihrer Existenz, die Wurzeln des englischen Lebens schwimmen im Wasser, schmarotzern in Indien, in Chile, in Deutsch¬ land, in der Türkei, in aller Welt; bekommen es die ausgebeuteten Völker und Kolonisten satt, so genügt ein Ruck, diese Wurzeln zu zerreißen, und das englische Volk ist zum Tode des Verschmachtens verurteilt. Eben weil wir als Nation ärmer sind, sind wir als Volk reicher, und wollen wir die ge¬ sunden Grundlagen unsers Volkslebens, wo sie noch vorhanden sind, erhalten, wo sie schon zerstört sind, wiederherstellen, so müssen wir vor allem daraus verzichten, noch weiter nach englischem Muster reich werden zu wollen. Das wird uns noch deutlicher werden, wenn wir nun auf die Spitze der Gesell¬ schaftspyramide einen Blick werfen. Katholische ^chulkalender ir möchten heute auf eine Erscheinung in unserm sehnlicher hinweisen, die wohl jedermann bekannt ist, der als Lehrer oder > Vater dem sehnlicher nahe steht, die aber in ihrer stillen und im Verborgnen schleichenden Wirksamkeit viel zu wenig beachtet kund gewürdigt zu werden scheint.MM Es ist allbekannt, welch kräftiges Mittet, die breitern Schichten des Volks in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen und zu bearbeiten und nach einer bestimmten Richtung zu lenken, die Kalenderlitteratur ist, und wie sich demgemäß die verschiedensten Strömungen und Parteien in unserm Volksleben die Pflege dieses Mittels sorglich angelegen sein lassen, um geräuschlos in ihrem Sinne zu agitiren. Agrarier und Sozialisten, Feudale und Demokraten, Klerikale und Liberale, sie alle pflügen mit diesem Kalbe, mit mehr oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/140>, abgerufen am 29.05.2024.