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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Satze begründet. Aber 8i ano kavwnt iÄom. non oft ick"in. Auch die fort¬
geschrittenste griechische Demokratie, die ätherische, war gegenüber der weit
überwiegenden Masse der nünderberechtigten Freien und der Sklaven that¬
sächlich eine Massenaristokratie, und die römische Republik, die das auch war,
ist in ihrer größten Zeit nicht von den unberechenbaren Abstimmungen der
Volksversammlungen gelenkt worden, sondern von dem hocharistokratischen
Senat, also einer kleinen Anzahl vornehmer Geschlechter, die im Besitz einer
politischen Erbweisheit ohne gleichen waren. Überdies waren alle diese
Verfassungen auf verhältnismäßig kleine Menschengruppen, ans die Bevölkerung
einer nach modernen Begriffen höchstens mittelgroßen Stadt oder einer wenig
umfänglichen Lnndschaft berechnet, wo auch der Durchschnittsbürger recht
wohl imstande war, die Verhältnisse und Fragen, über die er mit entscheiden
sollte, zu übersehen, was übrigens much von den schweizerischen Demokratien
gilt, von denen Rousseau praktisch ausgegangen ist. Und doch ist die politische
Lebenskraft dieser antiken Stadtrepubliken zwar ungeheuer energisch gewesen,
hat aber, mit der Geschichte christlicher Völker verglichen, nur kurze Zeit vor¬
gehalten. Vorbilder für ein so großes Und so hoch knltivirtes Land wie
Frankreich konnten also weder die so gern von den "Freiheitshelden" nach¬
geäfften Römer und Athener, noch auch die Nvrdameriknner bieten.

Freilich war es gerade bei den französischen Zuständen begreiflich,
wenn die Idee von der Volkssouveränität vielen gebildeten Franzosen die
Köpfe so verrückte. Das war der Rückschlag ans die Überspannung der mon¬
archischen Gewalt und auf die Verquickung der Monarchie mit den Interessen
der privilegirten Stände, des Adels und des hohen Klerus. Der hohe fran¬
zösische Adel hatte im siebzehnten Jahrhundert in selbstsüchtigem Interesse dem
Königtum so hartnäckig widerstanden, daß dieses ihn nach dem Siege völlig
aus der Staatsverwaltung hinausdrängte und seine neue Ordnung mit Beamte"
bürgerlicher Abkunft durchführte. !><z rügwis ä'une vns vourg'eoiÄc! nannte
deshalb ein litterarischer Gegner Ludwigs des Vierzehnten dessen Regierung.
Entschädigung suchte und fand seitdem der Adel im Dienste des Hofes; nicht
ein thätiger, politischer Adel wurde der französische wie gleichzeitig der deutsche
im Staate des großen Kurfürsten und anderwärts, sondern ein schmarotzender
Hofadel. Das war ein Unglück für ihn selbst, für den Staat und für das
Königtum. Deun in dieser Umgebung vergaßen die Bourbonen allmählich die
Aufgabe der Monarchie, die harte Selbstsucht der Stände zu bändigen zum
Wohle des Ganze"; es ließ die Bauern, die Hauptmasse der Bevölkerung, in
ein beispielloses Elend hinabsinken und schien nnr noch dazu da zu sein, den
Privilegirten Ständen die Möglichkeit zu sichern, ein Dasein zu führen wie
die Drohnen im Bienenstock. Gewiß hat sich ein Teil des französischen Adels
von solchen Anschauungen fern gehalten und ist erst durch den entsetzlichen
Bauernaufstand des Jahres 1789 zur Verzweiflung, zur Auswanderung und


Satze begründet. Aber 8i ano kavwnt iÄom. non oft ick«in. Auch die fort¬
geschrittenste griechische Demokratie, die ätherische, war gegenüber der weit
überwiegenden Masse der nünderberechtigten Freien und der Sklaven that¬
sächlich eine Massenaristokratie, und die römische Republik, die das auch war,
ist in ihrer größten Zeit nicht von den unberechenbaren Abstimmungen der
Volksversammlungen gelenkt worden, sondern von dem hocharistokratischen
Senat, also einer kleinen Anzahl vornehmer Geschlechter, die im Besitz einer
politischen Erbweisheit ohne gleichen waren. Überdies waren alle diese
Verfassungen auf verhältnismäßig kleine Menschengruppen, ans die Bevölkerung
einer nach modernen Begriffen höchstens mittelgroßen Stadt oder einer wenig
umfänglichen Lnndschaft berechnet, wo auch der Durchschnittsbürger recht
wohl imstande war, die Verhältnisse und Fragen, über die er mit entscheiden
sollte, zu übersehen, was übrigens much von den schweizerischen Demokratien
gilt, von denen Rousseau praktisch ausgegangen ist. Und doch ist die politische
Lebenskraft dieser antiken Stadtrepubliken zwar ungeheuer energisch gewesen,
hat aber, mit der Geschichte christlicher Völker verglichen, nur kurze Zeit vor¬
gehalten. Vorbilder für ein so großes Und so hoch knltivirtes Land wie
Frankreich konnten also weder die so gern von den „Freiheitshelden" nach¬
geäfften Römer und Athener, noch auch die Nvrdameriknner bieten.

Freilich war es gerade bei den französischen Zuständen begreiflich,
wenn die Idee von der Volkssouveränität vielen gebildeten Franzosen die
Köpfe so verrückte. Das war der Rückschlag ans die Überspannung der mon¬
archischen Gewalt und auf die Verquickung der Monarchie mit den Interessen
der privilegirten Stände, des Adels und des hohen Klerus. Der hohe fran¬
zösische Adel hatte im siebzehnten Jahrhundert in selbstsüchtigem Interesse dem
Königtum so hartnäckig widerstanden, daß dieses ihn nach dem Siege völlig
aus der Staatsverwaltung hinausdrängte und seine neue Ordnung mit Beamte»
bürgerlicher Abkunft durchführte. !><z rügwis ä'une vns vourg'eoiÄc! nannte
deshalb ein litterarischer Gegner Ludwigs des Vierzehnten dessen Regierung.
Entschädigung suchte und fand seitdem der Adel im Dienste des Hofes; nicht
ein thätiger, politischer Adel wurde der französische wie gleichzeitig der deutsche
im Staate des großen Kurfürsten und anderwärts, sondern ein schmarotzender
Hofadel. Das war ein Unglück für ihn selbst, für den Staat und für das
Königtum. Deun in dieser Umgebung vergaßen die Bourbonen allmählich die
Aufgabe der Monarchie, die harte Selbstsucht der Stände zu bändigen zum
Wohle des Ganze»; es ließ die Bauern, die Hauptmasse der Bevölkerung, in
ein beispielloses Elend hinabsinken und schien nnr noch dazu da zu sein, den
Privilegirten Ständen die Möglichkeit zu sichern, ein Dasein zu führen wie
die Drohnen im Bienenstock. Gewiß hat sich ein Teil des französischen Adels
von solchen Anschauungen fern gehalten und ist erst durch den entsetzlichen
Bauernaufstand des Jahres 1789 zur Verzweiflung, zur Auswanderung und


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[0181] Satze begründet. Aber 8i ano kavwnt iÄom. non oft ick«in. Auch die fort¬ geschrittenste griechische Demokratie, die ätherische, war gegenüber der weit überwiegenden Masse der nünderberechtigten Freien und der Sklaven that¬ sächlich eine Massenaristokratie, und die römische Republik, die das auch war, ist in ihrer größten Zeit nicht von den unberechenbaren Abstimmungen der Volksversammlungen gelenkt worden, sondern von dem hocharistokratischen Senat, also einer kleinen Anzahl vornehmer Geschlechter, die im Besitz einer politischen Erbweisheit ohne gleichen waren. Überdies waren alle diese Verfassungen auf verhältnismäßig kleine Menschengruppen, ans die Bevölkerung einer nach modernen Begriffen höchstens mittelgroßen Stadt oder einer wenig umfänglichen Lnndschaft berechnet, wo auch der Durchschnittsbürger recht wohl imstande war, die Verhältnisse und Fragen, über die er mit entscheiden sollte, zu übersehen, was übrigens much von den schweizerischen Demokratien gilt, von denen Rousseau praktisch ausgegangen ist. Und doch ist die politische Lebenskraft dieser antiken Stadtrepubliken zwar ungeheuer energisch gewesen, hat aber, mit der Geschichte christlicher Völker verglichen, nur kurze Zeit vor¬ gehalten. Vorbilder für ein so großes Und so hoch knltivirtes Land wie Frankreich konnten also weder die so gern von den „Freiheitshelden" nach¬ geäfften Römer und Athener, noch auch die Nvrdameriknner bieten. Freilich war es gerade bei den französischen Zuständen begreiflich, wenn die Idee von der Volkssouveränität vielen gebildeten Franzosen die Köpfe so verrückte. Das war der Rückschlag ans die Überspannung der mon¬ archischen Gewalt und auf die Verquickung der Monarchie mit den Interessen der privilegirten Stände, des Adels und des hohen Klerus. Der hohe fran¬ zösische Adel hatte im siebzehnten Jahrhundert in selbstsüchtigem Interesse dem Königtum so hartnäckig widerstanden, daß dieses ihn nach dem Siege völlig aus der Staatsverwaltung hinausdrängte und seine neue Ordnung mit Beamte» bürgerlicher Abkunft durchführte. !><z rügwis ä'une vns vourg'eoiÄc! nannte deshalb ein litterarischer Gegner Ludwigs des Vierzehnten dessen Regierung. Entschädigung suchte und fand seitdem der Adel im Dienste des Hofes; nicht ein thätiger, politischer Adel wurde der französische wie gleichzeitig der deutsche im Staate des großen Kurfürsten und anderwärts, sondern ein schmarotzender Hofadel. Das war ein Unglück für ihn selbst, für den Staat und für das Königtum. Deun in dieser Umgebung vergaßen die Bourbonen allmählich die Aufgabe der Monarchie, die harte Selbstsucht der Stände zu bändigen zum Wohle des Ganze»; es ließ die Bauern, die Hauptmasse der Bevölkerung, in ein beispielloses Elend hinabsinken und schien nnr noch dazu da zu sein, den Privilegirten Ständen die Möglichkeit zu sichern, ein Dasein zu führen wie die Drohnen im Bienenstock. Gewiß hat sich ein Teil des französischen Adels von solchen Anschauungen fern gehalten und ist erst durch den entsetzlichen Bauernaufstand des Jahres 1789 zur Verzweiflung, zur Auswanderung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/181>, abgerufen am 06.06.2024.