Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Aufstand der Bergarbeiter

und von den Verbündeten Regierungen der 153 des vorjährigen Gesetzes
abgelehnt worden sei, bleibe nur übrig, daß der Staat wie der private Arbeit¬
geber den revolutionären Bestrebungen der Sozialdemokratie die Selbsthilfe
und der ungesetzlichen Gewalt die gesetzliche Gewalt entgegenstellen. Korne
der Staat das nicht, oder glaube er es mit seinen Auffassungen nicht ver¬
einigen zu können, dann müsse er aufhören, Arbeitgeber zu sein. Wenn der
Streik irgend etwas beweise, so beweise er, daß der Grundsatz: der Arbeiter
darf nur in Beziehung auf seine Arbeitsleistung beurteilt werden, was er aber
draußen thut, muß dem Staate als Arbeitgeber gleichgiltig sein, absolut Schiff-
bruch gelitten habe.

Dieser Grundsatz verdient in der That nichts besseres. Aber gerade er
ist einer Staatsverwaltung, die in der Hauptsache von Juristen geführt wird,
eigentümlich. Bei einer juristisch formalen Betrachtungsweise der Dinge werden
gar zu leicht die Kräfte übersehn, die die Dinge in Bewegung setzen. Und
darum ist der Staat zu einem Arbeitgeber weniger geeignet als der Privat¬
mann, der das wirkliche Leben, der das Fühlen und Wünschen seiner Arbeiter
kennt und in Rechnung ziehen kann.

Eine andre Frage ist es, ob der Staat nach dem Gesetze berechtigt ist,
Mitglieder von Parteien, die im Staate nicht verboten sind, von seinen Werk¬
stätten auszuschließen. Wünschenswert ist es unbedingt, daß die Arbeiter den
Ernst der Lage begreife", und daß ihnen klar gemacht werde, daß der Staat
nicht nötig hat, die zu ernähren, die ihn selbst umbringen wollen. Aber das
geht doch nur nnter der Herrschaft von Ausnahmegesetzen. Wollte der Staat
ohne ein solches Gesetz sich selbst helfen, so würde er alle Doktrinäre und alle
unzufriednen Parteien gegen sich haben. Jetzt zeigt es sich, ob es gut gewesen
ist, mit dem Ausnahmegesetze eine notwendige Waffe ans der Hand zu geben.

Ja selbst wenn der Staat das Gesetz klürlich auf seiner Seite hat, kann er
die widerstrebenden Elemente nicht einfach vor die Thür setzen. Er hat keine
Thür. Auch der entlassene Arbeiter bleibt ein Gegenstand seiner Fürsorge. Der
Preußische Handelsminister war vollkommen im Rechte, wenn er sagte: Eine
Belegschaft von 25000 Arbeitern können wir nicht für immer von der Arbeit
ausschließen. Der Staat würde, wenn der Steinkohlenbergbau monopolisirt
wäre, erst recht nicht so Verfahren können. Hieraus ist aber zu ersehen,
daß der Staat der Arbeiterfrage gegenüber mit größern Schwierigkeiten zu
kämpfen hat als die Privatindustrie. Man wird also von der Verstaatlichung
des Kohlenbergbaus kein Heilmittel gegen die Arbeiterbewegung erwarten dürfen.

Stellen wir uns nur einmal vor, was geschehen würde, wenn der Staat
alle Kohlenbergwerke übernähme. Es würde vermutlich eine Zeit der ersten
Liebe eintreten, in der man dem Arbeiter alle möglichen Vergünstigungen und
hohe Löhne zugestünde. Wenn dann der ungeheure Nachteil der dadurch
herbeigeführten Kohlenverteuernng dem ganzen kohleverbranchenden Volke


Der Aufstand der Bergarbeiter

und von den Verbündeten Regierungen der 153 des vorjährigen Gesetzes
abgelehnt worden sei, bleibe nur übrig, daß der Staat wie der private Arbeit¬
geber den revolutionären Bestrebungen der Sozialdemokratie die Selbsthilfe
und der ungesetzlichen Gewalt die gesetzliche Gewalt entgegenstellen. Korne
der Staat das nicht, oder glaube er es mit seinen Auffassungen nicht ver¬
einigen zu können, dann müsse er aufhören, Arbeitgeber zu sein. Wenn der
Streik irgend etwas beweise, so beweise er, daß der Grundsatz: der Arbeiter
darf nur in Beziehung auf seine Arbeitsleistung beurteilt werden, was er aber
draußen thut, muß dem Staate als Arbeitgeber gleichgiltig sein, absolut Schiff-
bruch gelitten habe.

Dieser Grundsatz verdient in der That nichts besseres. Aber gerade er
ist einer Staatsverwaltung, die in der Hauptsache von Juristen geführt wird,
eigentümlich. Bei einer juristisch formalen Betrachtungsweise der Dinge werden
gar zu leicht die Kräfte übersehn, die die Dinge in Bewegung setzen. Und
darum ist der Staat zu einem Arbeitgeber weniger geeignet als der Privat¬
mann, der das wirkliche Leben, der das Fühlen und Wünschen seiner Arbeiter
kennt und in Rechnung ziehen kann.

Eine andre Frage ist es, ob der Staat nach dem Gesetze berechtigt ist,
Mitglieder von Parteien, die im Staate nicht verboten sind, von seinen Werk¬
stätten auszuschließen. Wünschenswert ist es unbedingt, daß die Arbeiter den
Ernst der Lage begreife», und daß ihnen klar gemacht werde, daß der Staat
nicht nötig hat, die zu ernähren, die ihn selbst umbringen wollen. Aber das
geht doch nur nnter der Herrschaft von Ausnahmegesetzen. Wollte der Staat
ohne ein solches Gesetz sich selbst helfen, so würde er alle Doktrinäre und alle
unzufriednen Parteien gegen sich haben. Jetzt zeigt es sich, ob es gut gewesen
ist, mit dem Ausnahmegesetze eine notwendige Waffe ans der Hand zu geben.

Ja selbst wenn der Staat das Gesetz klürlich auf seiner Seite hat, kann er
die widerstrebenden Elemente nicht einfach vor die Thür setzen. Er hat keine
Thür. Auch der entlassene Arbeiter bleibt ein Gegenstand seiner Fürsorge. Der
Preußische Handelsminister war vollkommen im Rechte, wenn er sagte: Eine
Belegschaft von 25000 Arbeitern können wir nicht für immer von der Arbeit
ausschließen. Der Staat würde, wenn der Steinkohlenbergbau monopolisirt
wäre, erst recht nicht so Verfahren können. Hieraus ist aber zu ersehen,
daß der Staat der Arbeiterfrage gegenüber mit größern Schwierigkeiten zu
kämpfen hat als die Privatindustrie. Man wird also von der Verstaatlichung
des Kohlenbergbaus kein Heilmittel gegen die Arbeiterbewegung erwarten dürfen.

Stellen wir uns nur einmal vor, was geschehen würde, wenn der Staat
alle Kohlenbergwerke übernähme. Es würde vermutlich eine Zeit der ersten
Liebe eintreten, in der man dem Arbeiter alle möglichen Vergünstigungen und
hohe Löhne zugestünde. Wenn dann der ungeheure Nachteil der dadurch
herbeigeführten Kohlenverteuernng dem ganzen kohleverbranchenden Volke


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214009"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Aufstand der Bergarbeiter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_707" prev="#ID_706"> und von den Verbündeten Regierungen der 153 des vorjährigen Gesetzes<lb/>
abgelehnt worden sei, bleibe nur übrig, daß der Staat wie der private Arbeit¬<lb/>
geber den revolutionären Bestrebungen der Sozialdemokratie die Selbsthilfe<lb/>
und der ungesetzlichen Gewalt die gesetzliche Gewalt entgegenstellen. Korne<lb/>
der Staat das nicht, oder glaube er es mit seinen Auffassungen nicht ver¬<lb/>
einigen zu können, dann müsse er aufhören, Arbeitgeber zu sein. Wenn der<lb/>
Streik irgend etwas beweise, so beweise er, daß der Grundsatz: der Arbeiter<lb/>
darf nur in Beziehung auf seine Arbeitsleistung beurteilt werden, was er aber<lb/>
draußen thut, muß dem Staate als Arbeitgeber gleichgiltig sein, absolut Schiff-<lb/>
bruch gelitten habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_708"> Dieser Grundsatz verdient in der That nichts besseres. Aber gerade er<lb/>
ist einer Staatsverwaltung, die in der Hauptsache von Juristen geführt wird,<lb/>
eigentümlich. Bei einer juristisch formalen Betrachtungsweise der Dinge werden<lb/>
gar zu leicht die Kräfte übersehn, die die Dinge in Bewegung setzen. Und<lb/>
darum ist der Staat zu einem Arbeitgeber weniger geeignet als der Privat¬<lb/>
mann, der das wirkliche Leben, der das Fühlen und Wünschen seiner Arbeiter<lb/>
kennt und in Rechnung ziehen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_709"> Eine andre Frage ist es, ob der Staat nach dem Gesetze berechtigt ist,<lb/>
Mitglieder von Parteien, die im Staate nicht verboten sind, von seinen Werk¬<lb/>
stätten auszuschließen. Wünschenswert ist es unbedingt, daß die Arbeiter den<lb/>
Ernst der Lage begreife», und daß ihnen klar gemacht werde, daß der Staat<lb/>
nicht nötig hat, die zu ernähren, die ihn selbst umbringen wollen. Aber das<lb/>
geht doch nur nnter der Herrschaft von Ausnahmegesetzen. Wollte der Staat<lb/>
ohne ein solches Gesetz sich selbst helfen, so würde er alle Doktrinäre und alle<lb/>
unzufriednen Parteien gegen sich haben. Jetzt zeigt es sich, ob es gut gewesen<lb/>
ist, mit dem Ausnahmegesetze eine notwendige Waffe ans der Hand zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_710"> Ja selbst wenn der Staat das Gesetz klürlich auf seiner Seite hat, kann er<lb/>
die widerstrebenden Elemente nicht einfach vor die Thür setzen. Er hat keine<lb/>
Thür. Auch der entlassene Arbeiter bleibt ein Gegenstand seiner Fürsorge. Der<lb/>
Preußische Handelsminister war vollkommen im Rechte, wenn er sagte: Eine<lb/>
Belegschaft von 25000 Arbeitern können wir nicht für immer von der Arbeit<lb/>
ausschließen. Der Staat würde, wenn der Steinkohlenbergbau monopolisirt<lb/>
wäre, erst recht nicht so Verfahren können. Hieraus ist aber zu ersehen,<lb/>
daß der Staat der Arbeiterfrage gegenüber mit größern Schwierigkeiten zu<lb/>
kämpfen hat als die Privatindustrie. Man wird also von der Verstaatlichung<lb/>
des Kohlenbergbaus kein Heilmittel gegen die Arbeiterbewegung erwarten dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_711" next="#ID_712"> Stellen wir uns nur einmal vor, was geschehen würde, wenn der Staat<lb/>
alle Kohlenbergwerke übernähme. Es würde vermutlich eine Zeit der ersten<lb/>
Liebe eintreten, in der man dem Arbeiter alle möglichen Vergünstigungen und<lb/>
hohe Löhne zugestünde. Wenn dann der ungeheure Nachteil der dadurch<lb/>
herbeigeführten Kohlenverteuernng dem ganzen kohleverbranchenden Volke</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0217] Der Aufstand der Bergarbeiter und von den Verbündeten Regierungen der 153 des vorjährigen Gesetzes abgelehnt worden sei, bleibe nur übrig, daß der Staat wie der private Arbeit¬ geber den revolutionären Bestrebungen der Sozialdemokratie die Selbsthilfe und der ungesetzlichen Gewalt die gesetzliche Gewalt entgegenstellen. Korne der Staat das nicht, oder glaube er es mit seinen Auffassungen nicht ver¬ einigen zu können, dann müsse er aufhören, Arbeitgeber zu sein. Wenn der Streik irgend etwas beweise, so beweise er, daß der Grundsatz: der Arbeiter darf nur in Beziehung auf seine Arbeitsleistung beurteilt werden, was er aber draußen thut, muß dem Staate als Arbeitgeber gleichgiltig sein, absolut Schiff- bruch gelitten habe. Dieser Grundsatz verdient in der That nichts besseres. Aber gerade er ist einer Staatsverwaltung, die in der Hauptsache von Juristen geführt wird, eigentümlich. Bei einer juristisch formalen Betrachtungsweise der Dinge werden gar zu leicht die Kräfte übersehn, die die Dinge in Bewegung setzen. Und darum ist der Staat zu einem Arbeitgeber weniger geeignet als der Privat¬ mann, der das wirkliche Leben, der das Fühlen und Wünschen seiner Arbeiter kennt und in Rechnung ziehen kann. Eine andre Frage ist es, ob der Staat nach dem Gesetze berechtigt ist, Mitglieder von Parteien, die im Staate nicht verboten sind, von seinen Werk¬ stätten auszuschließen. Wünschenswert ist es unbedingt, daß die Arbeiter den Ernst der Lage begreife», und daß ihnen klar gemacht werde, daß der Staat nicht nötig hat, die zu ernähren, die ihn selbst umbringen wollen. Aber das geht doch nur nnter der Herrschaft von Ausnahmegesetzen. Wollte der Staat ohne ein solches Gesetz sich selbst helfen, so würde er alle Doktrinäre und alle unzufriednen Parteien gegen sich haben. Jetzt zeigt es sich, ob es gut gewesen ist, mit dem Ausnahmegesetze eine notwendige Waffe ans der Hand zu geben. Ja selbst wenn der Staat das Gesetz klürlich auf seiner Seite hat, kann er die widerstrebenden Elemente nicht einfach vor die Thür setzen. Er hat keine Thür. Auch der entlassene Arbeiter bleibt ein Gegenstand seiner Fürsorge. Der Preußische Handelsminister war vollkommen im Rechte, wenn er sagte: Eine Belegschaft von 25000 Arbeitern können wir nicht für immer von der Arbeit ausschließen. Der Staat würde, wenn der Steinkohlenbergbau monopolisirt wäre, erst recht nicht so Verfahren können. Hieraus ist aber zu ersehen, daß der Staat der Arbeiterfrage gegenüber mit größern Schwierigkeiten zu kämpfen hat als die Privatindustrie. Man wird also von der Verstaatlichung des Kohlenbergbaus kein Heilmittel gegen die Arbeiterbewegung erwarten dürfen. Stellen wir uns nur einmal vor, was geschehen würde, wenn der Staat alle Kohlenbergwerke übernähme. Es würde vermutlich eine Zeit der ersten Liebe eintreten, in der man dem Arbeiter alle möglichen Vergünstigungen und hohe Löhne zugestünde. Wenn dann der ungeheure Nachteil der dadurch herbeigeführten Kohlenverteuernng dem ganzen kohleverbranchenden Volke

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/217
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/217>, abgerufen am 13.05.2024.